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Besinnung auf das Gemeinsame
In dieser Woche schreibt die Aktivistin und armutsbetroffene Auszubildende Genoveva Jäckle einen Brief an nd-Kolumnisten Olivier David
Hallo Olivier,
seit wir zuletzt im Austausch standen, ist eine ganze Weile vergangen und es ist kalt geworden in Deutschland: Populistische Narrative und multiple Krisen auf der ganzen Welt füllen die Nachrichten und flimmern über die Bildschirme in den Wohnungen, und das, wo Weihnachten doch eigentlich eine Zeit der Ruhe und des Friedens sein sollte. Eine Zeit der Besinnung, eine Zeit, um dankbar zu sein und sie mit geschätzten Menschen zu verbringen. Doch der Geist der Weihnacht scheint sich mehr und mehr im Konsum zu verlieren.
Menschen brechen in Kitas ein, um dort einen Weihnachtsbaum zu platzieren, gegen den man sich zuvor gemeinsam mit den Kindern entschieden hatte, worin sie jedoch den Untergang guter christlicher Tradition sehen. Wenn denen, die im Bürgergeldbezug leben, jedoch kaum das Geld für Lebensmittel bleibt, dann interessiert das kaum einen. Sollen sie doch arbeiten gehen. Ein Weihnachtsbaum ist für diesen Personenkreis schon lange nicht mehr vorgesehen.
Hochrangige Mitglieder einer Partei, die sich eben noch laut gegen die Kindergrundsicherung ausgesprochen haben, stehen am nächsten Tag auf dem Roten Teppich einer Spenden-Gala mit dem Titel »Ein Herz für Kinder« und die Ironie scheint an ihnen vorbei zu gehen.
Genoveva Jäckle macht derzeit eine Ausbildung zur Veranstaltungstechnikerin auf der Messe in Köln
Den Zusammenhalt und Frieden, den der christliche Glaube predigt, die Nächstenliebe, vermisse ich in diesen Zeiten. Die Menschen sind erschöpft und müde, dauerkrank, das System stockt langsam aber merklich und bei vielen wird die Zündschnur immer kürzer. Der Frust greift um sich und niemand scheint so recht eine Lösung an der Hand zu haben. Dafür werden aus gewissen Richtungen fleißig Nebenschaukämpfe aufgemacht: Sind es nicht die Armen, die das Land ruinieren, so sind es die Ausländer, die uns unseren Reichtum angeblich nehmen wollen. Oder Frauen, die keine Kinder mehr kriegen. Nicht, dass wir Schulen oder Lehrer hätten, um diese Kinder vernünftig großzuziehen. Die Pisa-Studie war für viele ein unerwarteter Schlag. Schuld sind angeblich auch die, die nicht arbeiten wollen, auch wenn keiner so ganz genau sagen kann, wer »die« eigentlich sind.
Für mich persönlich wird es mit etwas Glück das letzte Weihnachten in Armut sein. Meine Ausbildung steht kurz vor dem Ende. Und auch wenn ich nicht weiß, was danach kommt, sollte es doch mit einer erheblichen Verbesserung meiner finanziellen Lage einhergehen. Schließlich leiste ich ja jetzt etwas. Es fällt mir schwer, nicht zynisch zu werden, bei all dem, was in Deutschland im Moment passiert. Und noch schwerer fällt es mir, in eine Zukunft zu schauen, in der vielleicht bald eine AfD in der Regierung sitzt.
In der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« schreibt üblicherweise Olivier David über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Er ist Autor und Journalist. 2022 erschien sein erstes Buch »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen reflektiert. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. David studiert in Hildesheim literarisches Schreiben.
Diesmal überlässt er seinen Kolumnenplatz der Aktivistin und armutsbetroffenen Auszubildenden Genoveva Jäckle. Unser Kolumnist wird ihn in der nächsten Folge von »Klassentreffen«, am 27.12.23 beantworten.
Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen.
Dennoch gibt es Hoffnung. Dort, wo Menschen der Spaltung entgegenwirken. Dem Hass und den Lügen über die vermeintlich Anderen mit Neugier und Offenheit entgegentreten. Bereit sind zu teilen, was sie haben, und Menschen wie mich teilhaben zu lassen. Vielleicht können wir uns zurückbesinnen auf das, was Weihnachten bedeutet. Können dankbar sein für den Luxus, den wir haben, trotz der Mängel, die jeder von uns irgendwo erfährt. Vielleicht können wir uns zusammentun. Jeder Mensch braucht etwas. Die einen wünschen sich in Zeiten des Klimawandels eine Zukunft für ihre Kinder, die anderen menschenwürdige Sozialsätze und ein Ende von Armut. Wieder andere möchten gerne mit der Hautfarbe, Religion, Liebe und dem Körper leben können, der zu ihnen gehört. Oder auch im Rollstuhl sitzend an der Weihnachtsfeier teilhaben können.
Anstatt Hass zu schüren, könnten wir diesen Menschen zuhören. Vielleicht würden wir dann erfahren, dass alles, was sie sich wünschen, auch unser eigenes Leben bereichert. Wir könnten zusammen an einer Zukunft arbeiten, in der für jeden Menschen Platz ist.
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