- Kultur
- Ein ganz besonderer Museumsspaziergang
Hinweg mit Tint’ und Feder!
Museyroom (Teil 12): Das Schreibmaschinenmuseum in Wattens, Tirol
Im Museum liegt die Kraft. Glauben Sie nicht? Gehen Sie doch mal rein! Jeden Monat stellen wir eins vor, in Text und Bild. So wie James Joyce es in »Finnegans Wake« geschrieben hat: »This is the way to the museyroom.«
Der Tiroler Ort Wattens ist vor allem bekannt wegen des dort ansässigen, allerdings kriselnden Glitzersteinimperiums Swarovski. Wattens verfügt seit 2002 jedoch auch über ein kleines, aber feines Schreibmaschinenmuseum, dessen 600 Sammlerstücke der Büromaschinen-Mechanikermeister Jörg Thien der Gemeinde überließ.
Der Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker Friedrich Kittler bezeichnete einst Phonograph, Kino und Schreibmaschine als »die drei technischen Urmedien«. Als Erfindungsjahr des Urmediums Schreibmaschine gilt das Jahr 1714: Der englische Wasserwerksingenieur Henry Mill erhielt ein Patent auf »eine Maschine oder ein künstliches Verfahren, um Buchstaben drucken oder schreiben zu können, einzeln oder nacheinander, wie in der üblichen Schrift«. Im ausgehenden 18. Jahrhundert konstruierte Giuseppe Ravizza ein »Cembalo scrivano« für Blinde mit zweireihiger Tastatur in alphabetischer Reihenfolge.
Das erste bekannte, mit einer Schreibmaschine hergestellte Schriftstück schuf 1808 der Italiener Pellegrino Turri. 1821 baute Karl von Drais (1785–1851) für seinen erblindenden Vater eine »Schreibclavier« genannte Maschine, die vermutlich Buchstaben in einen Papierstreifen prägte und bereits eine Tastatur hatte.
Während seiner Arbeit an einer Taubstummenschule stellte der junge dänische Pastor Rasmus Malling-Hansen (1835–1890) fest, dass man mit der Fingersprache zwölf Lautzeichen in einer Sekunde wiedergeben konnte, während mit der gewöhnlichen Schrift lediglich vier Lautzeichen pro Sekunde zu Papier gebracht werden konnten. Es musste also möglich sein, eine Maschine zu konstruieren, mit der man die Geschwindigkeit möglichst aller Finger zum Schreiben nutzen konnte.
Malling-Hansen entwickelte 1865 die »Skrivekugle« (Schreibkugel), die erste in Serie hergestellte Schreibmaschine der Welt. Sie bestand aus 54 konzentrischen Tastenstangen und druckte Großbuchstaben, Zahlen und Interpunktionszeichen auf ein zylindrisch eingespanntes Blatt Papier. Der prominenteste Kunde von Malling-Hansen war Friedrich Nietzsche. Der Philosoph tippte 1882: »SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR: VON EISEN UND DOCH LEICHT ZU VERDREHN ZUMAL AUF REISEN. GEDULD UND TAKT MUSS REICHLICH MAN BESITZEN UND FEINE FINGERCHEN, UNS ZU BENUETZEN.«
Bereits 1864 hatte der Südtiroler Tischler und Zimmermann Peter Mitterhofer (1822–1893) eine Schreibmaschine aus Holz präsentiert und »Modell Wien« getauft. Im Museum ist ein Exemplar zu sehen. Bis zum Ende des Jahrzehnts konstruierte Mitterhofer weitere Modelle, die als Prototypen der Typenhebelschreibmaschine gelten. Zwei dieser Modelle ließ er am kaiserlichen Hof in Wien begutachten – die zuständige Kommission befand aber, dass die Apparate »zu dem Zweck, den der Erfinder im Auge hat, nicht geeignet« seien.
Mitterhofers fünftes Modell erwarb der Hof schließlich, es ging als Geschenk des Kaisers an die Modellsammlung des Polytechnischen Instituts Wien. Eine angemessene Würdigung seiner Erfindungen blieb ihm jedoch versagt. Das Aufkommen der Schreibmaschine in den USA kommentierte der enttäuschte Erfinder in Versform: »Schreibmaschinen danken rechtlich ihren Ursprung in Meran, 1864 ersann sie dort ein Zimmermann.«
Das Patent auf ihre Schreibmaschine erhielten Christopher Latham Sholes und Carlos Glidden am 23. Juni 1868 in den USA. Der Waffenhersteller Remington Arms erkannte sehr schnell, welch ungeheures Potenzial im Medium Schreibmaschine steckt. Er ließ das Gerät ab 1876 in Serie produzieren, bald auch mit der noch heute in vielen Ländern gebräuchlichen QWERTY-Tastatur. Werbung für seine Maschinen machte Remington mit dem Schriftsteller Mark Twain, der 1874 eine Schreibmaschine erwarb und mit »Life on the Mississippi« als erster Autor seinem Verlag ein maschinengeschriebenes Buchmanuskript ablieferte. Im Museum wird neben einer Remington-Schreibmaschine irrtümlicherweise darauf hingewiesen, er habe sein Werk »Tom Sawyer« auf einer Remington getippt.
In den Schreibstuben der vorindustriellen Zeit wurde mit höchster Konzentration, doch leise gearbeitet. Nachdem die Schreibmaschine ihren Siegeszug angetreten hatte, wurde der männliche Kopist durch weibliche Maschinenschreiber ersetzt. In den modernen Bureaus herrschte ein höllisches Geklapper. Allnächtlich, so Friedrich Kittler, musste das Spielfilm-Kontinuum Wunden pflastern, die eine Maschine den Sekretärinnen alltäglich beibrachte. Am 26. Mai 1929 berichteten Schreibmaschinenfrauen in einem Leserbrief an die »Frankfurter Zeitung« davon: »Wenn wir Stenotypistinnen wenig, manche gar nichts lesen, wissen Sie, warum? Weil wir abends viel zu müde und abgehetzt sind, weil wir das Klappern der Schreibmaschine, das wir acht Stunden lang hören müssen, noch den ganzen Abend über in den Ohren haben, weil noch stundenlang jedes Wort, das wir hören oder lesen, sich uns in seine Buchstaben zerlegt. Deshalb können wir unsere Abende nicht anders verbringen, als dass wir ins Kino oder mit unserem unvermeidlichen Freund spazieren gehen.«
Die Schreibmaschinen waren zunächst schwere Geräte. Im Museum sind die ersten kleineren und leichteren Modelle zu sehen, wie etwa eine Perkeo von 1913 oder eine Adler von 1912. Schon 1910 hatte die Dresdner Firma Seidel & Naumann die Erika Nr. 1 auf den Markt gebracht. In einem Koffer konnte man sie überallhin mitnehmen. Erika sollte in der DDR große Karriere machen, sie wurde zur meistproduzierten Schreibmaschine der Republik. »Hinweg mit Tint’ und Feder, mit Erika schreibt jeder!«, warb die Deutsche Werbe- und Anzeigegesellschaft. Insgesamt liefen von 1910 bis 1991 mehr als acht Millionen Exemplare vom Band.
Die industrielle Massenfertigung von Schreibmaschinen begann in Deutschland erst, nachdem auf der ersten Schreibmaschinenausstellung in Berlin 1899 ein umfassender Überblick über die auf dem Markt befindlichen Schreibmaschinen präsentiert worden war. Der aus der Pfalz stammende Amerikaner George Blickensderfer hatte 1893 mit seiner Typenrad-Maschine spätere Entwicklungen vorweggenommen. 1902 erschien in den USA mit der Blickensderfer Electric die erste elektrische Schreibmaschine. Sie war der Konkurrenz um Jahrzehnte voraus, konnte sich jedoch nicht auf dem Markt durchsetzen. Die Mercedes Elektra der Mercedes Bureau-Maschinen-AG, Berlin, war 1921 die erste leistungsfähige Schreibmaschine europäischer Herstellung mit elektrischem Typenhebel-Antrieb. Den ästhetischen Vorstellungen der Zeit genügte der Stettiner Hersteller Stoewer von 1907 bis 1909 mit seinem Schreibmaschinenmodell Nr. 4 im Jugendstil-Design.
Eine im Museum ausgestellte Remington von 1899 verfügte bereits über das heute aus der Computerwelt bekannte At-Zeichen @. Als kaufmännisches Zeichen wurde es »Commercial a« genannt. Aus Preisangaben wie »5 apples @ 10p« ergibt sich die Bedeutung: »Five apples at 10 pence each« (Fünf Äpfel zu 10 Pence pro Stück). Auf einer italienischen Olivetti aus den 40er Jahren ließen sich die SS-Runen tippen. Schreibmaschinen mit SS-Rune lieferten auch die Werke Continental, Ideal, Rheinmetall, Groma, Olympia, Kappel und Triumph.
Hou Kun Chow erfand 1916 die erste mechanische chinesische Schreibmaschine mit 4000 Zeichen. Mit dieser Maschine waren nach einiger Übung mehr Zeichen pro Stunde möglich als mit dem Schreibpinsel. Bekannt sind über 60 verschiedene Versionen der chinesischen Schreibmaschine. In Wattens ist ein Modell mit 2500 Zeichen zu sehen.
Neben den Schreibmaschinen sind im Schreibmaschinenmuseum auch eigens für die Buchhaltung entwickelte Maschinen, Telexgeräte sowie ein »Musicwriter« ausgestellt, auf dem Noten getippt werden können. Kinder- und Minischreibmaschinen sowie Tipp-Ex, Kugelköpfe und andere Utensilien ergänzen die sehenswerte Sammlung. Der Eintritt ist frei, die Führung durch den Museumsraum und das Depot erkenntnisstiftend und unterhaltsam zugleich.
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