- Kultur
- Neu im Kino: Veni Vidi Vici
Würstchen, hört die Signale!
In ihrer Satire »Veni Vidi Vici« rechnet das Regieduo Daniel Hoesl und Julia Niemann mit dem neoliberalen Menschenbild ab
In Donald Trumps erstem Wahlkampf als Präsidentschaftskandidat verkündete dieser in einer seiner wirren Reden, möglicherweise selbst verblüfft angesichts seiner stetig wachsenden Anhängerschaft: »Ich könnte quasi mitten auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschießen und würde trotzdem keine Wähler verlieren.« Klingt nach Stoff für einen Film, oder? Gleich zu Beginn von »Veni Vidi Vici« macht sich irgendwo in Österreich Milliardär Amon (Laurence Rupp) jedenfalls auf, die rhetorische Figur Trumps in die Realität zu überführen und erschießt ein nichtsahnendes Liebespaar im Wald aus dem Hinterhalt. Einfach so, ohne böse Hintergedanken. Anschließend fährt ihn der Butler heim in sein schlossähnliches Anwesen, wo schon seine entzückende Frau (Ursina Lardi) und die Kinder auf den begeisterten Familienvater warten.
Nun ist Amon Maynard beileibe kein Trump und schon gar kein Unmensch; er ist einfach nur sehr sehr reich. Als Ausgleich für den anstrengenden Alltag als Investor/Unternehmer und für seine Work-Life-Balance muss er nur eben ab und an ins Grüne und auf die Jagd gehen. Tiere töten geht freilich gar nicht, also müssen unschuldige, zufällig ausgewählte Menschen dran glauben. Die Öffentlichkeit ist beunruhigt, zumal sich die Fälle häufen. Das Irre: die Verantwortlichen wissen im Grunde, was vor sich geht, auf Dauer lässt sich die unheimliche Mordserie kaum vertuschen. Die Polizei ermittelt auf Hochtouren, doch merkwürdigerweise verlaufen alle Fortschritte im Sande und so richtig interessiert an einer Aufklärung und vor allem Dingfestmachung des Übeltäters scheint niemand zu sein.
Auch der brave Jagdaufseher als zufälliger Zeuge obigen (Doppel-)Mordes stößt auf eine Mauer von Ungläubigkeit und Ablehnung, als er mit Penetranz sein Wissen an die Obrigkeit bringen will. Er will die Spielregeln einfach nicht kapieren. Schließlich winkt das Milliardeninvestment einer nagelneuen Batteriefabrik – allerdings mitten im Naturschutzgebiet, was aber mit den entsprechenden Beziehungen auch nicht wirklich ein Problem ist.
»Veni Vidi Vici« kommt aus Österreich, und nur dort scheint die Fähigkeit zu solch morbiden, schwarzhumorigen Filmen verbreitet.
Klingt ziemlich dick aufgetragen? Ist es auch, aber überzeugend in der Umsetzung. »Veni Vidi Vici« kommt aus Österreich, und nur dort scheint die Fähigkeit zu solch morbiden, schwarzhumorigen Filmen verbreitet, zumindest im deutschsprachigen Raum. Ulrich Seidl (der den Film mitproduziert hat), Michael Haneke, Wolfgang Murnberger, Josef Hader – alles Österreicher. Und jetzt eben die beiden jungen Regisseure Daniel Hoesl und Julia Niemann. In ihren bisherigen filmischen Arbeiten richteten sie immer wieder den Fokus auf das Kapital und seine Triebkräfte, die dabei sind, das System des sozialen Ausgleichs zu zerstören.
Ihr aktueller Film will uns aufrütteln, und das tut er mit beißendem Zynismus. Dabei ist nur wenig übertrieben. Es entspricht ja der Realität, dass Gesetze, die eigentlich für alle gelten, für eine kleine Elite schnell außer Kraft gesetzt sind. Man denke nur an das System der Steueroasen sowie all die Steuervermeidungsstrategien, die dazu führen, dass Reiche sich aus der Verantwortung für das Gemeinwesen stehlen können. Es braucht lediglich ein kleines bisschen Überhöhung, um daraus Satire zu machen.
Freimütig erzählen die beiden Filmemacher, dass sie den Typus eines Nicolas Berggruen im Hinterkopf hatten, als ihr Protagonist im Drehbuch Gestalt annahm. Wir erinnern uns, das war jener sympathische Strahlemann, der 2010 die insolventen Karstadt-Kaufhäuser für einen Euro übernahm und dafür wie ein Erlöser gefeiert wurde. Nachdem er das Unternehmen filetiert und das Letzte aus ihm herausgepresst hatte, verscherbelte er es vier Jahre später an den Signa-Chef René Benko, eine ebenso zwielichtige Figur, wie wir heute wissen. Das Nachsehen hatten die Menschen, deren Existenz durch Sparprogramme und Entlassungswellen auf dem Spiel stand.
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Seiner eigenen Unangreifbarkeit überdrüssig, drängt Maynard seiner korrupten Umgebung die Wahrheit über die seltsamen Morde regelrecht auf, erntet jedoch nur verständnisvolles Schulterklopfen und betretene Blicke. Lediglich der investigative Journalist, der den Fall recherchiert, bleibt unbestechlich, allerdings nur so lange, bis er die Vergeblichkeit seines Tuns begriffen hat und die Konsequenzen zieht.
Der Film moralisiert und psychologisiert nicht, es gibt nicht einmal einen klassischen Konflikt und die Hauptfigur macht keinerlei Entwicklung durch – sie kommt, sieht und siegt. Changierend zwischen Komik und bitterböser Groteske muss man »Veni Vidi Vici« vielmehr als Gleichnis für die moralische Verkommenheit des Spätkapitalismus verstehen – welches gleichwohl sehr unterhaltsam daherkommt und nichts von der drögen Thesenhaftigkeit besitzt, die linken Botschaften leider so häufig innewohnt.
Die These des Films ist an Aktualität kaum zu überbieten. Der politische und wirtschaftliche Einfluss einer globalen Kaste von Superreichen ist längst wirkmächtiger als jede Demokratie. Für Leute wie Musk, Bezos oder Trump gilt kein Gesetz, die Macht des Geldes macht sie zu Gottgleichen, egal, wie amoralisch ihr Tun und Handeln daherkommt. Die Frage, die Hoesl und Niemann in den Raum stellen, ist simpel: Wer wird diesen Leuten Einhalt gebieten – wer, wenn nicht wir?! Nun ließe sich kritisieren, dass ihre Message recht überdeutlich daherkommt, ein wenig mehr Subtilität hätte dem Film gewiss gutgetan. Andererseits überzeugt die Ernsthaftigkeit des Anliegens, anders als etwa Ruben Östlunds »Triangle of Sadness«, dessen Kapitalismuskritik allzu harmlos und gefällig daherkommt und der am Ende keine Fragen aufwirft.
Worauf aber beruht die Verführungskraft der neoliberalen Ideologie, sodass die meisten Menschen sich mit ein paar herabfallenden Krümeln des Kuchens begnügen und kaum jemand noch auf die Idee kommt, der Kuchen selbst müsste anders verteilt werden? Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn amoralisches Verhalten zur Norm wird? Es ist ja nicht so, dass der stets nahbare und charmante Amon Maynard ein Unsympath vor dem Herrn wäre. Im Gegenteil, zu Hause wird Mozart gehört, seine Frau kümmert sich rührend um die beiden farbigen Adoptivkinder und darüber hinaus als Menschenrechtsanwältin um die Erniedrigten dieser Erde. Selbst der Butler gehört irgendwie mit zur Familie. Kann man solcherart Sympathieträger denn hassen, wo sie doch eigentlich so sind wie wir alle? Selbst die Schauspieler haben erkennbar Spaß an der ihnen auferlegten Rolle als Superreiche. Am Ende ist wahrscheinlich genau das der Trick der Neoliberalen: Uns glauben zu machen, wir säßen doch irgendwie alle im selben Boot, und wer sich nur genügend anstrenge, dürfe auch irgendwann mal ans Steuer.
Erzählt wird die Geschichte ganz aus der Perspektive der ältesten Tochter Paula (Olivia Goschler), die das Geschehen aus dem Off kommentiert. In ihrer moralischen Abgründigkeit verkörpert sie die nächste Generation des Neoliberalismus, und auch der Gebrauch der Schusswaffe ist ihr trotz ihres jugendlichen Alters nicht mehr fremd. Sie ist es, die uns am Ende zuruft: »Also steht auf, ihr Würstchen dieser Erde, ihr könnt mich jederzeit stoppen. Sonst seid ihr vielleicht die nächsten.« Nun denn, worauf warten wir eigentlich?
»Veni Vidi Vici«: Österreich 2024, Regie: Daniel Hoesl und Julia Niemann, Drehbuch: Daniel Hoesl. Mit: Laurence Rupp, Ursina Lardi, Olivia Goschler. 86 Minunten. Läuft im Kino.
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