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BKA-Gesetz: Datenhalde vor Gericht
Gesellschaft für Freiheitsrechte klagt gegen exzessive Polizeidatenbanken
Unterstützt durch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) haben fünf Bürger*innen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen einzelne Regelungen des 2017 geänderten BKA-Gesetzes eingereicht. Am Mittwoch haben die Richter in Karlsruhe darüber verhandelt. Die Klage richtet sich gegen eine Verletzung des informationellen Rechts auf Selbstbestimmung. Dieses Grundrecht hatte das Bundesverfassungsgericht dereinst aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und dem Menschenwürdegebot hergeleitet.
Gegenstand der Klage sind Bestimmungen zur Überwachung der Kontaktpersonen von »Gefährdern« mittels Observation, das Filmen und Abhören außerhalb von Wohnungen sowie der Einsatz von verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen. Ebenfalls geklärt werden soll die Verarbeitung personenbezogener Daten im Informationssystem des Bundeskriminalamtes (BKA) und im Informationsverbund der deutschen Polizeibehörden, der vom BKA geführt wird.
Sogenannte Kontaktpersonen dürfen nach gegenwärtiger Rechtsauffassung vom BKA ins Visier genommen werden, wenn es sich von der Überwachung dieser Personen Erkenntnisse über mögliche Anschlagspläne des eigentlichen »Gefährders« verspricht. Es ist dabei nicht einmal erforderlich, dass diese Kontaktperson in die Pläne eingeweiht ist – es reicht, wenn sie beispielsweise ohne Vorsatz ein Zimmer zur Verfügung stellt oder als Nachrichtenüberbringer dient. Auch Anwälte können so ins Visier geraten, zwei von ihnen sind deshalb Teil der Gruppe der Klagenden. Sie befürchten, dass deutlich mehr Menschen über diese Regelung ins Visier der Polizei geraten könnten als erforderlich, und dabei die Rechte von Berufsgeheimnisträger*innen verletzt werden.
Deutlich mehr Menschen sind aber von der Datenverarbeitung im BKA betroffen. Die Behörde speist ihre selbst erhobenen Informationen aus Ermittlungsverfahren und aus Gefahrenabwehrvorgängen in eigene Dateien ein. Ein Teil dieser Informationen fließt dann in Zentral- und Verbunddateien, in denen sie mit Informationen aus allen Landeskriminalämtern (LKÄ) zusammengeführt werden.
Die größte dieser Datenbanken ist das Polizeiliche Informationssystem INPOL, das Millionen personenbezogene Datensätze enthält. Darauf können sämtliche deutsche Polizeibeamt*innen zugreifen, wenn sie bei einer Personalienfeststellung, einer Festnahme oder einer Sicherheitsüberprüfung Daten zu einer bestimmten Person abfragen. Daneben existieren Datenbanken für spezielle Deliktbereiche.
Viele der gespeicherten Personen wissen gar nicht, dass ihre Daten bei der Polizei gespeichert sind und weiterverarbeitet werden. Bijan Moini von der GFF weist auf die Effekte hin, die eine solche Speicherung nach sich ziehen kann: Eine normale Verkehrskontrolle kann dann zu Befragungen, Durchsuchungen und anderen Maßnahmen führen. Im Zusammenspiel mit rassistischen Kontrollpraktiken verstärkt sich diese Wirkung: »Weil ausländisch wirkende Menschen häufiger kontrolliert werden als andere, stehen sie außerdem häufiger in Datenbanken und leiden häufiger unter den genannten Maßnahmen«, sagt Moni.
Weiter kritisiert die GFF, dass bei der Polizei Daten von Personen gespeichert werden, ohne dass es Hinweise gibt, dass von ihnen in Zukunft eine Gefahr ausgeht (die sogenannte »Negativprognose«). Ein Beispiel ist die »Falldatei Rauschgift«: Darin wurden zahlreiche Menschen eingespeichert, die irgendwie mit Drogendelikten zu tun hatten – selbst Apotheker, die Opfer eines Einbruchsdiebstahls geworden waren. Erst nach einer umfassenden Prüfung durch die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern 2016 wurde die Datei aufgeräumt: die 680 000 Datensätzen wurden auf 422 000 geschrumpft.
Problematisch ist dabei auch der lange Speicherzeitraum. Erst nach zehn Jahren wird geprüft, ob ein Datensatz noch weiter benötigt wird. Durch eine »Mitziehautomatik« können die Daten aber deutlich länger gespeichert bleiben: Wenn es innerhalb dieser zehn Jahre eine weitere Speicherung in INPOL gibt, wird das alte Datum »mitgezogen« und bleibt bis zum Ende der ebenfalls zehnjährigen Speicherfrist des neueren Datums gespeichert. Wenn also jemand mit Anfang 20 bei einer Antifa-Demo auffällt, mit 30 mit zwei Gramm Haschisch erwischt wird und mit fast 40 gegen Corona-Auflagen bei einer Versammlung verstößt, bleibt die Person mit diesem Profil in der BKA-Datenbank gespeichert. Gelöscht werden all diese Informationen erst, wenn die Person fast 50 ist.
In polizeilichen Informationssystemen werden auch Daten verarbeitet, die aus sehr eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen stammen, etwa aus langfristigen Observationen oder dem Abhören von Telefonen. Das Bundesverfassungsgericht hatte deshalb 2015 unter dem sperrigen Titel »hypothetische Datenneuerhebung« eine einfache Regel aufgestellt: Diese Daten dürfen in anderen Verfahren nur dann verwendet werden, wenn es um ähnlich schwerwiegende Taten geht.
Das Problem hierbei ist, dass mit dem BKA-Gesetz von 2017 zwar eine Rechtsgrundlage für einen polizeilichen Informationsverbund geschaffen wurde, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen soll. Aber tatsächlich ist der Verbund (als »Datenhaus der deutschen Polizei«) noch weit von seiner Umsetzung entfernt. BKA und LKÄ arbeiten deshalb weitgehend noch mit den alten Datenbanken. Anders gesagt: Während die GFF mit ihrer Klage bezweifelt, dass das BKA-Gesetz bereits den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die polizeiliche Datenverarbeitung genügt, schafft es die deutsche Polizei nicht einmal, die technischen und organisatorischen Voraussetzungen einer entsprechenden Datenverarbeitungspraxis zu schaffen.
Auch mit dieser komplexen Lage muss sich das Bundesverfassungsgericht nun auseinandersetzen. Es muss die rechtlichen Grundlagen einer Datenverarbeitungspraxis prüfen, die im BKA noch gar nicht umgesetzt worden ist und von der man also nur spekulieren kann, welche Auswirkungen sie auf die Grundrechte haben wird. Es bleibt abzuwarten, welche Schlüsse das Gericht aus den Erkenntnissen der Anhörung ziehen wird. Mit einer Entscheidung ist erst in der zweiten Jahreshälfte 2024 zu rechnen.
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