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Tarifabschluss Awo Berlin: »Wir haben was Supergutes erstreikt«
Der Tarifabschluss zwischen Awo und Verdi bringt die Löhne des freien Trägers in die Nähe des öffentlichen Dienstes
Nach acht Monaten Tarifauseinandersetzung gibt es nun einen Abschluss für die Arbeiterwohlfahrt Berlin. Wie blicken Sie auf das Ergebnis, wie ist die Stimmung unter den Kolleg*innen?
Es ist für die jüngere Geschichte der Awo ein historisches Ergebnis. Wir haben viel erreicht und dabei rund 230 neue Mitglieder gewonnen. Wir haben Stärke gezeigt und die Arbeitgeber*innen dazu bewegt, ihre Angebote stetig nachzubessern. Im Prinzip wurde das Ergebnis des öffentlichen Dienstes der Länder mit einer zeitlichen Verzögerung auf die Awo übertragen.
Was heißt mit einer Verzögerung?
Das ist ein kleiner bitterer Beigeschmack: Unsere Löhne erhöhen sich orientiert am Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes der Länder (TV-L), aber später. Das Ziel auf der Langstrecke ist, dass wir diese Verzögerungen immer weiter minimieren. Es ging uns erst mal um die Inhalte, damit die Beschäftigten merken: Uns steht das Gleiche zu wie den Mitarbeitern aus dem öffentlichen Dienst. Ich glaube, die meisten Kolleginnen sind erst mal glücklich, dass es die gleichen Inhalte sind wie im TV-L.
Inwieweit haben sich die überlagernden Krisen auf die Arbeitsbedingungen ausgewirkt? Und wie wird dem jetzt Rechnung getragen?
In der Branche herrscht Fachkräftemangel. Neue Mitarbeitende, die im Sinne der Kinder und Klient*innen qualitativ hochwertig arbeiten, findet man nicht durch ein Fingerschnipsen. Auf Ausbildungsmessen wurde ich konkret gefragt, was die Awo zahlt. Sobald ich gesagt habe: »Wir haben schon noch eine Lücke«, wurde klar: Leute suchen eine Entlohnung, die sich am öffentlichen Dienst orientiert. Wenn wir weniger Mitarbeiter*innen finden, sind die Teams viel belasteter, weil sie die Verantwortung bei der Betreuung von Kindern, von Familien, in der Pflege, in den Geflüchtetenunterkünften nicht auf viele Schultern verteilen können. Ich bin davon überzeugt, dass wir für die freien Träger als Leuchtturm in Berlin fungieren und zeigen: Wir haben was Supergutes erstreikt.
Es gab elf Warnstreiktage. Welche Erfahrungen und Szenen aus dem Arbeitskampf nehmen Sie mit?
Desiree Aust arbeitet als kitaübergreifende Praxisanleiterin für die Arbeiterwohlfahrt (Awo) Berlin-Mitte und ehrenamtlich für Verdi in der Tarifkommission.
Der Tarifabschluss sieht ab 2024 mehr Lohn durch eine Hauptstadtzulage über 150 Euro pro Monat vor. 2025 gibt es einen Sockelbetrag von monatlich 200 Euro und 5,5 Prozent mehr Geld, 2024 einen Inflationsausgleich von 3000 Euro.
Für mich stechen zwei Sachen hervor: Anfang November hatten wir Streiktage und eine große Streikversammlung, zu der 400 Beschäftigte kamen. Da haben wir uns gegenseitig gestärkt und Erfahrungsberichte ausgetauscht. Wir haben Besuche der Einrichtungen geplant, da habe ich diese Stärke ganz deutlich gespürt. Der zweite Moment war der gemeinsame Streik am 16.11., mit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zusammen. Da konnten wir zeigen, dass das Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit gesamtgesellschaftlich gestärkt werden muss.
Was denken Sie, wie konnten Sie 230 neue Mitglieder gewinnen? Haben Sie ein Rezept, wie Sie eine*n Kolleg*in von der Gewerkschaft überzeugen?
Verdi hatte zwei Untersützer*innen von einem externen Organizingprojekt engagiert. Die haben uns als Tarifgemeinschaft noch einmal sehr in der Struktur und Organisation geholfen. Zum Beispiel hatten wir ein Einrichtungs-Mapping, um von allen Awo-Einrichtungen einen Überblick zu bekommen. Wir hatten Arbeitsstreiktage, an denen sind wir gezielt in Einrichtungen gegangen und haben mit Kolleg*innen gesprochen, wo wir gerade stehen, wie sich die Arbeitgeberseite verhält, wie unsere Reaktion darauf ist. Das hat die Komplexität verringert, sodass viele sich noch mal mehr mit dem Arbeitskampf auseinandersetzen konnten.
Für Kolleg*innen, die neu aktiv werden sollen: Es ist wichtig, sich gemeinsam zu organisieren. Wir sind mit einem Organisationsgrad von über 40 Prozent schon sehr gut organisiert. Aber um die Gleichstellung zum öffentlichen Dienst zu schaffen, müssen wir einfach immer wieder stark sein und uns immer wieder stärker präsentieren, uns gegenseitig Mut machen, gegenseitig auffangen und gegenseitig unterstützen.
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