Teilweiser Winter-Abschiebestopp: Viele müssen weiter zittern

Ab Freitag gilt der Winter-Abschiebestopp in Berlin – allerdings mit etlichen Ausnahmen

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 3 Min.

Ab Freitag gilt der Winter-Abschiebestopp in Berlin. Bis zum 28. Februar setzt das Land Berlin damit Abschiebungen teilweise aus. Es gelten weitgefasste Ausnahmen, doch wen genau diese Ausnahmen betreffen, bleibt bis zum Beginn des Stopps unklar. Dies erschwere unter anderem erheblich die Beratung von Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, kritisiert der Berliner Flüchtlingsrat.

Die Deutsche Presse-Agentur schreibt am Donnerstag, dass sogenannte Gefährder und Menschen, die wiederholte oder schwere Straftaten begangen haben, weiterhin abgeschoben werden können. Der »Tagesspiegel« berichtete jedoch bereits am Samstag über ein Schreiben des Innenstaatssekretärs Christian Hochgrebe (SPD) an Ausländerbehörde und Polizei, das die Kriterien für die Ausnahmen vom Abschiebestopp genauer definiere. Bis Redaktionsschluss lag keine Stellungnahme der Innenverwaltung vor.

»Bis jetzt ist die Regelung auch noch nicht in den Verfahrensrichtlinien des Landesamtes für Einwanderung (Lea) festgeschrieben«, bemerkt Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat Berlin gegenüber »nd«. So könne auch niemand zum Abschiebestopp beraten werden. »Es scheint, als ob der Senat will, dass niemand davon richtig mitbekommt«, sagt Barnickel.

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Aus dem Schreiben des Innenstaatssekretärs geht eine starke Aufweichung des Abschiebestopps hervor. Es sollen wie schon vergangenen Winter Menschen mit einer strafrechtlichen Verurteilung zu über 50 Tagessätzen – beziehungsweise 90 im Falle aufenthalts- und asylrechtlicher Vergehen – weiter abgeschoben werden dürfen.

Neu ist, dass schon Strafermittlungen ohne Urteil als Abschiebegrund gelten: Bei geringfügigen Delikten brauche es demnach mindestens drei Fälle pro Person, bei dem Verdacht auf ein Verbrechen reiche ein Ermittlungsverfahren. So werden möglicherweise auch zu Unrecht verdächtigte Unschuldige als Straftäter abgestempelt und abgeschoben.

»Wie sollen Menschen wissen, ob ein Verfahren eingeleitet wurde?«, fragt Barnickel. Teils werde bereits durch Überlastung der Behörden und ewige Wartezeiten für Termine eine Abschiebung nach diesen Kriterien möglich. Sie nennt ein Beispiel: »Wenn mir das Lea den Ausweis nicht verlängert, das Sozialamt dann keinen Berechtigungsschein für das Berlin-Ticket S ausstellt, ich es mir trotzdem kaufe und von der BVG kontrolliert werde, kann es zu einem Verfahren kommen.« Bei der aktuellen Lage in den Ämtern sei es nicht unrealistisch, dass jemand dadurch drei Verfahren am Laufen habe, obwohl er nicht ein einziges Mal ohne Ticket gefahren ist.

Auch die Grenze von 50 Tagessätzen sei ungerechtfertigt, kritisiert Barnickel. Beim Flüchtlingsrat seien Menschen in der Beratung, die schon bei einem einfachen Ladendiebstahl eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen bekommen hätten.

Berlin ist in diesem Winter das einzige Bundesland, das Abschiebungen aussetzt. Abschiebestopps sind grundsätzlich im Bundesaufenthaltsgesetz geregelt, die obersten Landesbehörden können sie aber für maximal drei Monate selbst beschließen.

Auch im vergangenen Winter hatte es für drei Monate einen solchen Stopp gegeben, allerdings mit 157 Ausnahmefällen. Bei insgesamt 897 Abschiebungen 2022 unter Rot-Grün-Rot wurden also während des angeblichen Stopps monatlich nur 30 Prozent weniger Menschen abgeschoben als sonst.

Mit den zusätzlichen Ausnahmen bei laufenden Verfahren ohne Verurteilung und den ohnehin noch größeren Abschiebezahlen unter Schwarz-Rot steht es um das Bleiberecht von Geflüchteten vermutlich noch schlechter.

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