Glück auf, Glück auf – das Ende naht im Tagebau Jänschwalde

Der Kohlevorrat im Tagebau Jänschwalde ist fast aufgebraucht, der Betrieb wird bald eingestellt

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Januar 1989 im Tagebau Jänschwalde: Ein Arbeiter bedient seinen Eimerkettenbagger, das sogenannte Eisenschwein.
Januar 1989 im Tagebau Jänschwalde: Ein Arbeiter bedient seinen Eimerkettenbagger, das sogenannte Eisenschwein.

Die Landtagsabgeordnete Anke Schwarzenberg (Linke) erinnert sich noch gut an ihren ersten Arbeitstag im Braunkohletagebau Jänschwalde. Aus dem Kopf nennt sie am Donnerstag das Datum: Es war der 1. Juni 1977. Der Tagebau war ab 1974 aufgeschlossen worden. Aber die Vorbereitungen der Kohleförderung dauern Jahre. Erst einmal muss zum Beispiel das Grundwasser abgesenkt werden. Als sie als frischgebackene Ingenieurin für Maschinenbau mit einem Abschluss der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt im Tagebau zu arbeiten begann, sei die riesige Förderbrücke F60, die bis heute ihren Dienst tut, gerade noch montiert worden, erzählt die inzwischen 69-jährige Schwarzenberg.

Sie hat im Tagebau Jänschwalde auf verschiedenen Positionen gewirkt, hat technische Störungen an den Maschinen ausgewertet, als Dispatcherin die Kohlezüge dirigiert und sich ab 1994 mit der Rekultivierung befasst. Denn wo die Bagger durch sind, wird schon begonnen, die tiefen Eingriffe in die Landschaft etwas zu heilen. Oft entstehen durch Flutung der Restlöcher Seen. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Die Flutung ist nur die billigste Lösung und deshalb die bevorzugte.

Verlassen hat Schwarzenberg den Tagebau erst 2015, als sie für Christian Görke in den Landtag nachrückte. Der hatte sein bei der Landtagswahl 2014 gewonnenes Mandat abgegeben, weil er Finanzminister der damals um eine zweite Legislaturperiode verlängerten rot-roten Koalition geblieben war. Bei der Landtagswahl 2019 verpasste Schwarzenberg den Wiedereinzug ins Parlament. Sie rückte aber erneut nach, als Görke in den Bundestag wechselte.

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Nun nähert sich der Moment, da der Tagebau Jänschwalde ausgekohlt ist. Gemäß der bergmännischen Tradition wird das an diesem Freitag ab 14 Uhr mit einem sogenannten Schichtwechsel gefeiert. Selbstverständlich wird dabei das Steigerlied gesungen: »Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt.« Es soll auch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kommen. Woidke ist wie Anke Schwarzenberg Ingenieur, allerdings in einer anderen Fachrichtung: der Landwirtschaft. Der Bauernhof bei Forst, auf dem Woidke aufgewachsen ist, stand aber nur anderthalb Kilometer von der Kante des Tagebaus Jänschwalde entfernt. Der 62-Jährige weiß, was der Kohleausstieg spätestens im Jahr 2038 für das Lausitzer Revier bedeutet.

»Diese Region ist durch Braunkohle groß und stark geworden«, sagt Woidke. Die Kohle sei Grundvoraussetzung für Glas- und Textilindustrie gewesen, die sich einst ansiedelten. Das habe die Menschen geprägt. Der Ministerpräsident steht aber zum Kohleausstieg. 10,3 Milliarden Euro Fördermittel erhält allein der brandenburgische Teil der Lausitz für den Strukturwandel. Woidke ist zuversichtlich, dass alles gut wird.

Auch Anke Schwarzenberg steht zum Kohleausstieg, den die Grünen am liebsten auf 2030 vorgezogen hätten. Doch die linke Oppositionspolitikerin hat Bedenken, ob der versprochene Ausbau der Bahnanbindung und der erneuerbaren Energien so schnell vorankommt wie nötig. Am Ausstiegsdatum will sie deshalb nicht rütteln, fordert aber eindringlich, dass bei den Strukturwandelprojekten mehr Tempo gemacht wird.

Zum Schichtwechsel im Tagebau Jänschwalde hat sie als langjährige Mitarbeiterin von der Lausitzer Energie AG (Leag) eine Einladung erhalten und will auch hingehen. »Das ist emotional. Das macht was mit einem«, beschreibt sie die Gefühle der Kollegen bei so einem Schichtwechsel. »Man hat da eine ganze Menge erlebt.« Sie erinnert sich, wie im Dorf Horno, das abgebaggert wurde, die Straßenbäume gefallen sind – »eine wunderschöne Allee«. Das sei »schmerzlich« gewesen. »Bergleute sind nicht kalt in solchen Dingen.« Dass irgendwann Schluss ist, sei aber jedem Bergmann von Anfang an klar. Die Grenze, bis zu der gebaggert wird, habe schon seit den 70er Jahren festgestanden.

Der Hauptbetriebsplan sieht ein Ende der Kohleförderung in Jänschwalde am 31. Dezember 2023 vor. Das Landesbergamt hat allerdings verfügt, dass die Großgeräte ab 1. Januar noch einige Monate in Betrieb bleiben. Hierbei geht es um die Standsicherheit der Grube. Aber bei der Gelegenheit wird auch noch weiter Braunkohle aus der Erde gewühlt, zum Kraftwerk Jänschwalde transportiert und dort zur Stromerzeugung verfeuert.

Für René Schuster von der Grünen Liga ist diese Verfahrensweise kein Zufall. Das Kraftwerk Jänschwalde soll 2028 abgeschaltet werden. 2018 war bereits der erste von sechs 500-Megawatt-Blöcken vom Netz gegangen und genau ein Jahr später der zweite. 2021 stellte die Leag die Kohleförderung im Tagebau Jänschwalde vorübergehend ein. Das Geschäft lohnte sich zeitweise nicht mehr, weil Erdgas billig zu haben war – russisches Erdgas.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 und wegen der daraus erwachsenen Energiekrise wurden die beiden in Reserve gehaltenen Blöcke wieder hochgefahren – mit Sondererlaubnis, da sie im Gegensatz zu den vier anderen Blöcke nicht mehr mit den inzwischen erforderlichen Anlagen zur Luftreinhaltung ausgerüstet waren.

»Die Leag darf noch bis Ende März 2024 alle sechs Blöcke des Kraftwerks Jänschwalde betreiben«, erläutert Sprecherin Kathi Gerstner. »Danach endet die durch die Bundesregierung beschlossene Versorgungsreserve und die Blöcke E und F werden wieder vom Netz genommen.«

Dem hält René Schuster von der Grünen Liga entgegen: »Wenn sie gewollt hätten, hätten sie pünktlich zum 31.12. die Kohle da rausholen können.« Aber wenn das Kraftwerk noch bis Ende März 2024 in Volllast gefahren werden solle, benötige man rund 24 Millionen Tonnen Braunkohle im Jahr. Der Tagebau Welzow-Süd, nach der Schließung des Tagebaus Jänschwalde der letzte in Brandenburg, liefere jedoch nur 16 Millionen Tonnen im Jahr. Schuster erinnert daran, dass einst argumentiert wurde, das Dorf Horno müsse für den Tagebau Jänschwalde abgebaggert werden, weil der Transport der Kohle vom Tagebau Welzow-Süd zum Kraftwerk Jänschwalde so teuer sei.

Die Einwohner von Horno waren bis auf zwei schon umgesiedelt, als am 20. Oktober 2005 der Vorschnittbagger 50 Meter vor dem Haus von Ursula und Werner Domain stoppen musste. Werner Domains Großvater hatte es im Jahr 1907 gebaut. Seitdem lebte die Familie dort. Rund 164 000 Euro wollte der schwedische Energiekonzern Vattenfall, der die Tagebaue und Kraftwerke in der Lausitz 2016 an die tschechische Energie- und Industrieholding EPH abtrat, den Domains geben, wenn sie weichen. Weil sie das nicht freiwillig taten, verfügte das Landesbergamt die Enteignung. Schließlich einigten sich beide Seiten im November 2005 während einer Verhandlungspause des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, und der Vorschnittbagger konnte weiterfahren.

René Schuster erinnert am Donnerstag daran, dass der Umgang mit den Domains verfassungswidrig gewesen sei, wie sich im Nachhinein bestätigt habe. An der aktuellen Vorgehensweise rügt der Naturschützer, mit Jänschwalde werde »ausgerechnet der Tagebau länger betrieben, der den größten Grundwasserentzug aus der Region verursacht«. So verzögere sich der Wiederanstieg des Grundwassers noch weiter.

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