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Weihnachten in queerer Wahlfamilie

Das SchwuZ, Deutschlands ältester LGBTQIA*-Club, und auch der Sonntags-Club haben Heiligabend geöffnet

  • Christina Focken
  • Lesedauer: 7 Min.
Weihnachten tratitionell, aber die Familie nicht.
Weihnachten tratitionell, aber die Familie nicht.

Sonntag, 17. Dezember, eine Woche vor Heiligabend. Auf dem queeren Winterwunderland, einem Weihnachtsmarkt an der Jannowitzbrücke in Mitte, erzählen einige Besucher*innen, was Weihnachten für sie als Teil der LGBTQIA*-Community bedeutet. Eine Person sagt, die Weihnachtszeit sei eine schöne Zeit für queere Menschen, denn sie erinnere daran, Zeit mit denen zu verbringen, die einem nahestünden. Er freue sich darauf, die Feiertage mit dem Partner und den Eltern zu verbringen.

»Es ist eine Drag-Version aller Feiertage!«, sagt eine andere Person. »Viel Alkohol, Essen, Geschenke … und Cher hat jetzt ein Weihnachtsalbum rausgebracht!« Nicht alle sind Weihnachten gegenüber so positiv eingestellt. Eine Person möchte lieber nicht darüber sprechen. Das Thema sei zu emotional.

»Mein Eindruck ist, es gibt entweder Leute, die sind familiär eingebunden. In dem Sinne, was viele unter einer klassischen Familie verstehen. Dann sind die ›all in‹, mit Tannenbaum und Schmuck und Familie sehen«, sagt Sascha Osmialowski, auch bekannt unter dem Namen Daddy Disco. Er ist seit etwa 20 Jahren Resident-DJ im SchwuZ, Deutschlands ältestem LGBTQIA*-Club.

»Dann kenne ich aber auch noch genau das Gegenteil. Leute, die neu und allein sind in dieser Stadt und gar nicht zur Familie fahren können. Oder andere, die aus welchen Gründen auch immer nur sehr wenig Anbindung an Eltern und Geschwister haben.« Osmialowskis Eltern sind verstorben, die Brüder berufstätig mit eigener Familie. »Dann sucht man sich halt Strukturen, damit man nicht allein ist. Denn ich kenne eigentlich kaum jemanden, der Bock hat, an Heiligabend allein zu sein.«

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Osmialowski lädt deshalb am 24. Dezember Menschen zu sich nach Hause ein oder legt als DJ auf – so wie dieses Jahr bei der Holy Homo-Party im SchwuZ. Schon seit vielen Jahren hat der Club auch an Heiligabend geöffnet. »Wir haben gesagt, es muss ganz konkret ein Angebot geben, damit man da stranden kann und einen Hafen findet. Und genau deswegen kommen die Leute auch«, erklärt LCavaliero Mann, Künstlerischer Leiter des SchwuZ.

Die Veranstaltung unterscheide sich stark von anderen Abenden im SchwuZ, erklärt Mann. »Weil da Leute zusammenkommen, die vielleicht keinen Kontakt mehr zur Geburtsfamilie haben oder genug von ihrer Familie haben. Oder die mit Weihnachten gar nichts anfangen können. Die kommen dann ins SchwuZ und sind einfach in erster Linie total froh, dass es diesen Ort gibt, wo sie ihre Wahlfamilie, also die queere Community, treffen können.« Denn, so erklärt er: »Wenn man in Europa aufgewachsen ist, hat Weihnachten meistens einen Stellenwert. Das ist das Fest der Liebe und der Familie. Aber wenn man als queere Person seine Familie verloren hat, weil die zum Beispiel transfeindlich oder homophob ist, dann ist es wichtig, die Wahlfamilie erreichen zu können.«

Rund 600 bis 700 Menschen kamen bei den vergangenen Veranstaltungen an Heiligabend. Das entspricht in etwa der Besucher*innenzahl im SchwuZ an einem Freitag. Für so einen Feiertag sei das sehr viel, sagt Mann. »Es fahren ja viele weg, und es sind auch nicht so viele Touris in der Stadt. Dafür ist das schon erstaunlich.«

Am diesjährigen Heiligabend gibt es im SchwuZ eine Weihnachtsshow. Neben Popmusik werden auf den Dancefloors auch Habibi Beats gespielt, Musik aus südwestasiatischen und nordafrikanischen Sprachregionen. »Das habe ich extra so gebucht, weil ich weiß, dass sich viele Menschen, die aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak et cetera kommen, dann ganz besonders freuen.« Denn seit einigen Jahren kommen an Heiligabend auch viele Menschen mit Wurzeln aus diesen Regionen in den Club. »Die waren besonders glücklich über die Veranstaltung, weil viele ja auch oft ihre Familie verloren haben, in der Heimat. Das SchwuZ wurde ihre neue Heimat. Und gerade an so einem Termin nicht allein zu Hause zu hocken, ist schon gut.«

Auch der Sonntags-Club, ein queerer Verein mit Café in Prenzlauer Berg, bietet am 24. Dezember eine Weihnachtsfeier an. Das Plakat kündigt an: Singen, schweigen, lachen, reden, Dackel, Kekse, Kerzenschein – der Sonntags-Club lässt Weihnachten niemanden allein. »Die Idee kam von einer Ehrenamtlichen, dass sie und ihre Partnerin das anbieten wollen«, erklärt Serena Raucci, Projektleiterin im Frauen-/Lesbenbereich des Sonntags-Clubs. »Dann haben wir geschaut: Was sind die Möglichkeiten? Wie kann man das umsetzen? Wir fanden das eine schöne Idee.«

Vor der Corona-Pandemie gab es bereits Veranstaltungen an Heiligabend im Sonntags-Club. Man sei dafür aber auf Ehrenamtliche angewiesen. »Wir würden das schon gerne regelmäßig machen, aber manchmal fehlt es an den Kapazitäten.« Es sei jedoch wichtig, dass es Angebote für die Community gebe. »In der queeren Szene gibt es viel Einsamkeit an Weihnachten. Es gibt viele ältere Menschen, die keinen Kontakt zur Familie haben. Oder auch junge Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität keinen Kontakt haben. Oder die an Weihnachten nicht zu ihrer Familie fahren können.«

Ella Strübbe wird dieses Jahr zum ersten Mal Heiligabend im Sonntags-Club verbringen. Bei einer offenen Bühne in dem LGBTQIA*-Zentrum hatte sie davon erfahren. »Ich stand da im Sonntags-Club mit meinen Freund*innen und dachte, das ist der Ort, an dem ich an Weihnachten sein möchte.« Bis jetzt hat sie Heiligabend mit ihrer Familie verbracht. Gerne hätten sie Ella auch dieses Jahr dabei. Doch sie hat sich dagegen entschieden. »Wir feiern Weihnachten immer im großen Stil, dann ist da eine Menge Trubel und mir ist das meistens einfach zu viel.« Im Sonntags-Club fühle sie sich sicherer. »Ich hatte das Gefühl, hier werden meine Grenzen respektiert, hier werde ich gesehen, hier darf ich sein.«

Strübbe sagt, Weihnachten bei der Familie sei für sie, und womöglich auf für so einige andere, mit dem Zwang verbunden, sich an eine heteronormative Gesamtgesellschaft anzupassen. »Wenn wir uns die Märchen angucken, die in der Vorweihnachtszeit im Fernsehen laufen, dann sind das ja immer männlich und weiblich gelesene Personen, die zueinanderfinden. Und das ist das, was ich in der Vorweihnachtszeit immer mit meinen Eltern geschaut habe«, erklärt Strübbe. Queerness oder nicht-heteronormative Beziehungskonzepte kämen bei ihr zu Hause nicht vor. »Was ich aber auch gar nicht schlimm finde. Aber ich habe für mich festgestellt, mir fehlt das.« Sie wolle Weihnachten deshalb gerne unter Gleichgesinnten verbringen.

Für einige Menschen aus der LGBTQIA*-Community machen auch die christlichen Bezüge Weihnachten zu einem schwierigen Termin, sagt LCavaliero Mann. »Es gab und gibt ja auch einige reaktionäre Strömungen in den Kirchen. Das wird langsam besser, aber es ist eben ein langer Prozess.«

Ella Strübbe hat das anders erlebt. »Ich bin in einer sehr offenen Kirchengemeinde groß geworden, in der verschiedene Themen von Homoehe bis Abtreibung kontrovers diskutiert wurden, in der Queerness gelebt werden konnte und in der alle die Möglichkeit hatten, zu sein, wie sie sind.« Nach dem Fest im Sonntags-Club wird Strübbe wahrscheinlich einen Abendgottesdienst besuchen.

Generell habe die Anzahl der queeren Orte in Berlin abgenommen, sagt Sascha Osmialowski. »Früher war das definitiv bunter, aus meiner Sicht.« Auch er ist der Meinung, dass es weniger LGBTQIA*-Veranstaltungen an Heiligabend gibt. »Mir persönlich würde jetzt gar nichts anderes einfallen außer dem SchwuZ.«

In der Weihnachtszeit entstehe viel Druck, sagt Osmialowski. »Du bist halt gerade an Feiertagen so umringt von einer, und ich will sie nicht schlecht reden, heteronormativen Welt. Jeder Werbespot zeigt dir: So soll es sein. Leuchtende Kinderaugen, Oma macht Bockwurst und Kartoffelsalat. Und dann sitze ich da und denke: Über 50 Prozent in diesem Land sind Single, 10 bis 15 Prozent sind queer.« Für viele Menschen sei das, was dargestellt wird, nicht ihre Lebensrealität. Und es sei wichtig, dass es mehr Räume für die gäbe, die dem Ganzen entfliehen wollen.

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