Reparatur-Initiativen: Das zweite Leben der Dinge

Stopfen, leihen, reparieren: Initiativen in Dresden und Halle suchen Wege aus der Wegwerfgesellschaft

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 15 Min.
»Eigentlich müsste kein neues Geschirr mehr hergestellt werden«: Kristin Hofmann hat einen kostenlosen Verleih gegründet.
»Eigentlich müsste kein neues Geschirr mehr hergestellt werden«: Kristin Hofmann hat einen kostenlosen Verleih gegründet.

Das Kind wollte nicht schlafen. Also lief Kristin Hofmann mit ihm noch eine Runde durch ihr nächtliches Dresdner Viertel. Dort war im Juni 2015 gerade die Bunte Republik Neustadt zu Ende gegangen, ein Straßenfest mit viel Musik, bei dem aber auch Anwohner für Passanten kochen und Kneipen ihre Gäste auf der Straße bewirten. Die Folge waren Gehwege voller Müll. »Dort türmten sich Berge von Wegwerfgeschirr, das es ja damals noch gab«, sagt Hofmann: »Ich dachte: Das kann es ja wohl nicht sein.«

Ihre Antwort auf die Abfallberge der Wegwerfgesellschaft steht heute im Keller des »Hauses der Begegnung«. Oben sitzen die Dresdner Linkspartei sowie linke Vereine und Initiativen, unten ist »Tellertausch & Gläserrücken« zu finden, ein Service, den Hofmann in den vergangenen sieben Jahren aufgebaut hat. Sie führt zu Regalen, in denen sich Stapel von Abendbrottellern und Suppenschüsseln neben Kaffeetassen und Sektkelchen türmen. Dazwischen stehen Kisten voller Besteck. »Bei mir gibt es bis zum Fischmesser und zur Sauciere alles«, sagt Hofmann. Kaum ein Stück passt zum anderen. Es gibt Teller in Zwiebelmuster, mit Goldrand und Streublümchen. Wer in Dresden ein Fest ausrichten und Gäste bewirten möchte und sich dabei nicht daran stört, dass die Tafel bunter aussieht als üblich, wird hier fündig. Das Grundprinzip ist denkbar einfach: »Die Leute suchen sich Geschirr aus, das ihnen gefällt; sie feiern, waschen ab und bringen es zurück.« Und wenn einmal ein schönes Stück zu Bruch geht? »Macht nichts«, sagt Kristin Hofmann, »wir haben genug.«

Trotz alledem – Wie Menschen gemeinsam für ihre Rechte kämpfen

Für Millionen Menschen war 2023 geprägt durch Kriege, Flucht und materielle Unsicherheit. Hetze gegen die vermeintlich Anderen grassiert. Die EU grenzt Flüchtlinge zunehmend aus. Derweil steigen Mieten und Löhne sinken. Doch 2023 gab es auch Bewegungen, die sich all dem widersetzen


Russen wenden sich gegen den Krieg, Beschäftigte streiken gemeinsam für ihre Rechte, Mieterinnen kämpfen für bezahlbares Wohnen. In »nd.DieWoche« stellen wir einige Initiativen und Bewegungen vor, die auf Solidarität und Versöhnung setzen. Mehr auf www.nd-aktuell.de/die-woche

Wir haben genug – der Satz trifft auch auf die Gesellschaft und das Wirtschaftssystem als Ganzes zu. Um den Bedarf zu decken, sagt Hofmann, »müsste eigentlich kein neues Geschirr mehr hergestellt werden«. Dennoch werden weiter Unmengen von Tellern und Tassen gefertigt, genauso wie Stühle und Autos, Computer und Telefone, T-Shirts und Schuhe. Stetige Produktion und permanenter Konsum, so die Theorie, lassen die Wirtschaft weiter wachsen, was für Wohlstand sorgt, der sich wiederum in Besitz manifestiert. Zu den Begleiterscheinungen gehören überquellende Ladenregale und schrille Werbeangebote, die neue Geräte mit dem Versprechen noch extravaganterer Features anpreisen und das eben erst gekaufte Modell veraltet erscheinen lassen. Also wird es entsorgt. Auf den Wertstoffhöfen der 570 000 Einwohner zählenden Stadt Dresden landeten Tag für Tag zehn Tonnen Elektroschrott, sagt Erik Schanze: ein enormer Müllberg aus Kühlschränken, Waschmaschinen und Stereoanlagen.

Schanze engagiert sich in einer Initiative, die helfen will, den Müllberg zumindest ein wenig zu reduzieren: das »Repair Café«, das 2009 nach holländischem Vorbild von einigen Studenten gegründet wurde und heute mehrmals wöchentlich an verschiedenen Orten in und um Dresden dazu einlädt, defekte Geräte zu reparieren statt in den Müll zu werfen. Schanze erklärt den Grundgedanken: »Man sitzt zusammen bei einer Tasse Kaffee und schaut, wie man den Defekt beheben kann.«

Ursprünglich geht es dabei um Hilfe zur Selbsthilfe: Die im »Repair Café« engagierten Tüftler, derzeit insgesamt 15 und allesamt im Ehrenamt tätig, helfen den Besuchern mit ihrem Fachwissen, aber letztere behalten die Verantwortung. »Jeder, der Neugier, Spürsinn und keine zwei linken Hände hat, kann selbst anfassen«, sagt Schanze, der tagsüber Software programmiert, aber neben der Arbeit am Computer gern auch mit seinen Händen tätig sein will und deshalb bis zu sechsmal im Monat im »Repair Café« mitwirkt. Das öffnet jeweils für ein paar Stunden in Stadtteilhäusern; die Kisten mit Werkzeugen und Ersatzteilen müssen so dimensioniert sein, dass sie in einen Kofferraum passen: »Wir wollen den Leuten lange Wege ersparen.« Vom Mittüfteln aber befreit man sie nicht. Auf einem mit »Unsere Bedingungen« überschriebenen Aushang werden die gemeinsamen Wiederbelebungsversuche für die Geräte als »Gefälligkeit« bezeichnet; einen Service wie eine kommerzielle Werkstatt, betont Schanze, biete man nicht.

»Reparaturen erzählen die Lebensgeschichte eines Kleidungsstücks« - die finnische Kunststudentin flickt Kleidung für Kinder bei »Räubersachen« in Halle.
»Reparaturen erzählen die Lebensgeschichte eines Kleidungsstücks« - die finnische Kunststudentin flickt Kleidung für Kinder bei »Räubersachen« in Halle.

Also schraubt der ältere Hobbymusiker, der an einem regnerischen Abend in das Vereinshaus »Aktives Leben« in der Dresdner Johannstadt gekommen ist, selbst die Bodenabdeckung von seinem defekten Keyboard. Danach ist er angesichts winziger Leiterplatten freilich bald mit seinem Latein am Ende. Das elektronische Klavier, gefertigt in China, habe nach dem Anschalten einen Kurzschluss verursacht, erzählt er. Der Händler habe ihm anstandslos den Kaufpreis erstattet; eigentlich könnte er sich ein neues Instrument kaufen. Er hoffe trotzdem, dass sich noch etwas machen lasse. »Das ist ja kein Billig-Gerät«, sagt er und erklärt, »kein Freund dieser Wegwerfgesellschaft« zu sein. In einer professionellen Werkstatt habe man allerdings die Hände gehoben. Nun sitzt er schon zum zweiten Mal im »Repair Café«. Bei einem ersten Besuch habe sich ein elektronisch versierter Bastler des Klaviers angenommen, gemessen, gelötet und schließlich ein Ersatzteil bestellt: »Wir waren guter Hoffnung.«

An diesem Abend beugen der Musiker und sein »Reparaturhelfer« freilich eine Stunde später immer noch die Köpfe über das Gerät. »Ein Härtefall«, sagt letzterer, während er den Schaltplan studiert, den er im Internet gefunden hat. Ob das Instrument je wieder Töne von sich gibt, bleibt unklar. Das kommt vor, sagt Schanze. Im »Repair Café« werden alle Reparaturversuche gut dokumentiert. Ein Viertel scheitere daran, dass Schäden zu gravierend, technische Angaben nicht zu bekommen seien oder sich Geräte nur unter Zerstörung des Gehäuses öffnen ließen. Bei Küchengeräten vom Discounter etwa seien diese oft verklebt. »Jede Schraube erhöht den Preis«, sagt Schanze. Er kann nicht belegen, dass Geräte bewusst so konstruiert sind, dass sie nach kurzer Zeit ihren Dienst versagen. Über dieses Phänomen namens »geplante Obsoleszenz« wird viel spekuliert; nachweisen lässt es sich kaum. Generell aber führe die in den 1990er Jahren aufgekommene »Geiz ist geil«-Mentalität zu einem Produktdesign, das auf billigen Materialien und möglichst schneller Fertigung beruht. Das Ergebnis sind Produkte, bei denen Reparaturversuche oft von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.

Die meisten aber hätten Erfolg, sagt Schanze: »Zwei Drittel der Geräte reparieren wir am gleichen Tag, und mit einem Folgetermin kommen wir auf drei Viertel.« Manchmal ist es ganz einfach. Bei dem Papierschredder, mit dem eine alte Dame an diesem Tag das »Repair Café« verlässt, hatte sich eine Metallklammer quer gestellt, die schnell entfernt war. Die Besitzerin ist glücklich, steckt ein wenig Geld in die bereitstehende Spendenbox und sagt: »Das Kommen hat sich gelohnt.«

Reparaturen, wie sie die Dresdner Initiative anbietet, waren bis vor nicht allzulanger Zeit selbstverständlich und notwendig. Geräte und Maschinen waren teuer in der Anschaffung und sollten idealerweise viele Jahre ihren Dienst verrichten. Bei Defekten wurde repariert, wobei Besitzer oft auch selbst Hand anlegten. Einen solchen »Bastlerhintergrund« beobachtet Schanze bei älteren Besuchern des »Repair Cafés«, die in der DDR aufgewachsen sind und dort keine Überfluss-, sondern eher eine Mangelgesellschaft erlebten. Während heute Küchengeräte oder TV-Geräte beim Discounter zwischen Milch und Mehl stehen und quasi im Vorbeigehen gekauft werden, waren Haushaltgeräte oder Heimelektronik damals gemessen am Einkommen teuer; zudem war das Angebot knapp. Man musste auf einen Kauf sparen und womöglich lange warten. Das präge das Verhältnis zu den Dingen bis heute, sagt Schanze: »Sie hatten eine höhere Wertigkeit.«

»Bei uns soll jeder in den Genuss kommen« - Pepe Kirchhoff (links) und zwei seiner Mitstreiter vom Kunstcafé »Tag2wo« in Dresden.
»Bei uns soll jeder in den Genuss kommen« - Pepe Kirchhoff (links) und zwei seiner Mitstreiter vom Kunstcafé »Tag2wo« in Dresden.

Ganz ähnlich formuliert es Ilva, die im Hallenser Stadtteil Kanena in einem alten Schulgebäude aus gelbem Backstein an einer Nähmaschine sitzt. Die Studentin, die an der Hochschule Burg Giebichenstein im Fach Textile Künste eingeschrieben ist, stammt aus Finnland, hat aber eine Großmutter, die zu sowjetischen Zeiten in Lettland lebte. Ilva erinnert sich an deren unmodische Kleidungsstücke, die dennoch immer wieder ausgebessert, umgearbeitet und geflickt wurden. Sie habe die Mäntel, Blusen und Röcke »manchmal peinlich und bizarr, manchmal lustig« gefunden, sagt sie – und erst viel später verstanden, warum die Großmutter daran festhielt: Hätte sie die Textilien entsorgt, hätte sie auch »den Jahrzehnten ihres Lebens den Sinn aberkannt, in denen sie in die Jagd nach der Mangelware so viel Mühe investiert hatte«.

Die Kleidungsstücke, die ihre Enkelin dieser Tage repariert, sind alles andere als altmodisch: schicke Kinderkleidung, oft aus Merino- oder Baumwolle, nicht selten in Bio-Qualität. Eltern können sie bei dem Unternehmen ausleihen, das in der alten Schule von Kanena seinen Sitz hat: »Räubersachen«, ins Leben gerufen 2015 von einem jungen Paar, das damals Strampler und Matschanzüge für seinen eigenen Nachwuchs auch gern befristet geliehen hätte, statt sie zu kaufen, nur um das Kind dann binnen kürzester Zeit herauswachsen zu sehen. »Sie haben den Service gegründet, den sie sich selbst gewünscht hätten«, sagt Nele, die bei »Räubersachen« für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.

Die Idee kam gut an, die Nachfrage überstieg schnell das Angebot, die Firma wuchs zügig. Heute hat sie 20 Beschäftigte. Einige von ihnen waschen Kindersachen, die von der Ausleihe zurückkommen; danach ziehen sie die Strampler und Jacken in Form und entfernen mit speziellen Bürsten die Flusen und Kügelchen, die auf Wollsachen beim Tragen unweigerlich entstehen. Später werden diese bis zur nächsten Leihe in Regalen verstaut. Nebenan wienert ein Mitarbeiter in einer Wolke aus Schuhcremeduft Kinderschuhe. Die Gummistiefel seien am pflegeleichtesten, sagt er: »Die kommen einfach in die Waschmaschine.«

Im Erdgeschoss mit Blick auf den Hof sitzen schließlich Ilva und ihre Kollegin Maiko vor Tischen voller Nadelkissen, Zwirnrollen und Scheren. Sie sind für Reparaturen an Kleidungsstücken zuständig. Das passiert immer wieder. Ärmelbündchen nüffeln ab, Ellenbogen wetzen durch, in Knie werden Löcher gerissen. »Wir bitten unsere Kunden, die Stücke mit Respekt zu behandeln, aber wir sagen auch: Klettert auf Bäume, springt in Matschpfützen!«, sagt Nele. »Das soll ausdrücklich Kleidung sein, in denen man Räuber sein darf.«

Auch »Räubersachen« entstand, wie der Dresdner Tellertausch und das »Repair Café«, als Antwort auf die Wegwerfgesellschaft. Gerade in der Textilbranche sei der Kleiderkauf »mittlerweile vom Bedarf entkoppelt«, heißt es in einem 2022 in zweiter Auflage gedruckten Buch zweier Autorinnen, die bei »Räubersachen« tätig waren. Ines Labedzki und Sybille Mittag verweisen im Vorwort darauf, dass extrem preiswerte Kleidung dazu anregen solle, schnell ausgetauscht zu werden. So habe sich binnen 20 Jahren die Menge der gekauften Kleidung pro Person verdoppelt, gleichzeitig würden Stücke immer kürzer getragen. Die Folge seien übervolle Altkleidercontainer und Millionen Tonnen Textilmüll, die kaum sinnvoll zu nutzen seien: »Nur wenn wir nichts Überflüssiges mehr kaufen, produzieren wir weniger Müll.« Aus solchen ökologischen Überlegungen entstand das Buch, das sich im Kern aber um Reparaturtechniken dreht. Sie sind Voraussetzung, um Kleidung länger tragen zu können. Erklärt wird, wie Knöpfe angenäht und Löcher gestopft werden; wie sich mit den »4 Stichen des Lebens« alle Arten von Reparaturen ausführen und mit anspruchsvollen Techniken wie »Swiss Darning« Löcher in Stricktextilien so reparieren lassen, das sie »nahezu unsichtbar« werden.

Allerdings legt man bei Räubersachen gar keinen gesteigerten Wert darauf, Reparaturen immer dezent auszuführen. Manchmal sei das angebracht, sagt Maiko und nimmt einen Pullover vom Tisch, der ein Loch in der einfarbigen Fläche neben einer Musterborte hatte: »Da habe ich mich bemüht, dass man es nicht sieht.« Ansonsten aber regiert bei »Räubersachen« der Mut zum Flicken. Ilva repariert das eingerissene Knopfloch eines Kindershirts, indem sie mit buntem Garn ein auffälliges, spiralförmiges Muster aufstickt. Nele trägt einen Pullover, in dem ein Brandfleck am hinteren Saum durch eine aufgestickte Sonne ausgebessert wurde. Von der »Schönheit des Unvollkommenen« ist in dem Buch die Rede, das einen programmatischen Titel trägt: »Nach kaputt kommt schöner«.

Die angehende Textilkünstlerin Ilva teilt die Überzeugung, dass auch sichtbare Reparaturen den Wert eines Kleidungsstückes nicht mindern müssen. »Sie erzählen dessen Lebensgeschichte, so wie die Falten in unserem Gesicht von unserem Leben zeugen«, sagt sie und verweist auf Beobachtungen des Künstlers Kader Attia. Der französische Installationskünstler und Fotograf, dessen Werke aktuell in der bis Ende Januar laufenden Ausstellung »The Great Repair« in der Berliner Akademie der Künste zu sehen sind, sieht unterschiedliche Haltungen zu Reparaturen innerhalb und außerhalb Europas. »Hierzulande sollen Sachen stets wie neu aussehen«, sagt Ilva, »anderswo betont man reparierte Stellen bewusst.« Das gilt für Textilien, aber etwa auch für Geschirr. In Japan wird gesprungene Keramik mit goldenem Kleber zusammengefügt; die derart reparierten Bruchstellen adeln das Geschirr gewissermaßen. Die »Kintsugi« genannte Technik sei Ausdruck einer Ästhetik, die Gegenständen eine »bestmögliche Wertschätzung« entgegenbringen wolle, heißt es.

Bei »Räubersachen« versucht man derlei Wertschätzung mit Wirtschaftlichkeit zu verbinden – was an Grenzen stößt, wie Sprecherin Nele einräumt. Generell sei das Geschäft zunehmend schwierig, weil junge Familien in Zeiten der Inflation sparsamer wirtschafteten. Schon lange aufgegeben hat man die Reparatur von Kleidungsstücken, die nicht aus dem eigenen Verleih-Sortiment stammten: »Da standen der zeitliche Aufwand und der Preis, den wir verlangen konnten, in keinem Verhältnis.« Es ist eine Beobachtung, die auch Erik Schanze vom »Repair Café« teilt. »Die Hälfte der Reparaturen, die wir hier erledigen, wäre kommerziell nicht darstellbar«, sagt er und verweist auf das Verhältnis von niedrigen Kaufpreisen und hohen Lohnkosten. Die Politik versucht, Reparaturen mit Blick auf Nachhaltigkeit und Ressourcenverbrauch dennoch attraktiver zu machen. Sachsens Landesregierung hat kürzlich einen Reparaturbonus aufgelegt. Verbraucher können sich bis zu 75 Euro erstatten lassen, wenn sie Geräte in einer zertifizierten Werkstatt reparieren lassen. Reparaturcafés können den Bonus bisher nicht in Anspruch nehmen. In einem Brief an das zuständige Ministerium fordern sie, auch berücksichtigt zu werden, womöglich mit einem niedrigeren Fördersatz von 15 Euro: »Bei uns fallen ja keine Lohn-, sondern nur Ersatzteilkosten an«, sagt Schanze. Wirtschaftlich tragen müssen sich derlei ehrenamtliche Initiativen nicht.

Diesen Anspruch erhebt eine andere Initiative, die einen Eckladen in der Dresdner Neustadt betreibt. »Tag2wo« heißt sie und bezeichnet sich als »Vortagsbäckerei und Kulturcafé«. Die Grundidee der Betreiber: Sie wollen Lebensmittel, genauer gesagt Backwaren, vor der Mülltonne retten. Abends nach Ladenschluss oder im Morgengrauen schwärmen sie mit Lastenrädern und einem Transporter zu Bäckern in Dresden und Umgebung aus und holen dort Brötchen und Brote, die diese nicht verkauft haben. »Dafür erstatten wir den Bäckern ihre Produktionskosten und sichern sie so vor Umsatzverlusten ab«, sagt Pepe Kirchhoff, einer der Betreiber von »Tag2wo«. Dort werden die Backwaren dann zu sehr sozialen Einheitspreisen angeboten: ein Brot zwei Euro, jede Semmel 50 Cent. Der Kaffee kostet einheitlich zwei Euro, egal ob schwarz oder mit Milchschaum, Hafer- oder Mandelmilch: »Bei uns soll jeder in den Genuss kommen.«

Kirchhoff ist Anfang dieses Jahres bei »Tag2wo« eingestiegen. Zuvor gab es an gleicher Stelle schon eine Verkaufsstelle für Backwaren vom Vortag, die aber nach der Insolvenz und dem Ausstieg mehrerer Lieferanten in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war. Kirchhoff, der auch Musiker und Künstler ist, übernahm mit einigen Mitstreitern das Geschäft und erweiterte das Konzept. Jetzt gibt es regelmäßig auch Lesungen und Vorträge; freitags wird in einer »Küche für alle« gemeinsam gekocht, im Geschäft, das mit Sesseln und Sofas gemütlich eingerichtet wurde und dessen Wände mit Bildern dekoriert sind, laden Instrumente zum gemeinsamen Musizieren ein. Ein Crowdfunding im Spätsommer half, die Kosten für den Umbau aufzubringen. Das »Tag2wo« sei jetzt »ein ökologisches und soziales Projekt«, sagt Kirchhoff und betont: »Wir schließen niemanden aus.« Auch Besucher, die sehr wenig Geld haben – Wohnungslose, Studierende, Alleinerziehende –, müssten das Geschäft nicht hungrig verlassen. Das sei jetzt weniger eine Verkausstelle als »ein offenes Wohnzimmer« im Stadtteil. Dessen ungeachtet ist es freilich auch ein Wirtschaftsbetrieb. Zehn Menschen arbeiten derzeit mit; sie werden mit Einheitslohn bezahlt, »dazu gibt es Kaffee und Brot«, sagt Kirchhoff. Bisher geht das Konzept auf: »Wir kommen bei plus/minus null heraus.«

Auch Kristin Hofmann ist der soziale Gedanke äußerst wichtig. »Geschirrverleih für lau« steht auf ihren Flyern, und das meint sie ernst: Wer bei ihr Teller, Tassen und Gläser abholt, muss nichts zahlen und eigentlich nicht einmal eine Spende hinterlassen. »Ich möchte niemanden ausschließen«, sagt sie. Manchmal kämen Alleinerziehende, die sich für einen Kindergeburtstag acht Teller und Becher ausleihen. »Anfangs fragte ich: Habt ihr nicht so viel Geschirr zu Hause?!«, sagt sie, »und sie antworteten: Nein, haben wir nicht.«

Also bietet sie ihren Service »für lau« an und betreibt ihn in ihrer Freizeit: »Das ist mein Haupt-Ehrenamt«, sagt die vielseitig engagierte Frau. Eine ebenfalls ehrenamtliche Helferin unterstützt sie beim Sortieren und Räumen. Gleichzeitig hat der Geschirrverleih »eine Dimension erreicht, die ich mir nie hätte träumen lassen«, sagt Hofmann. Eine Förderung der Landeshauptstadt Dresden ermöglichte neben der Gestaltung einer Homepage die Eröffnung von Außenstellen, von denen es derzeit vier gibt. Ihr Ziel sei es, in jedem Dresdner Stadtteil präsent zu sein. Sie würde sich zudem freuen, wenn Aktivisten oder Vereine das Konzept in anderen Städten nachahmten. Einige hat sie angesprochen bei der Festveranstaltung, nachdem sie einen Förderpreis des Freistaats erhalten hatte, bisher ohne Resonanz.

Über solche Preise freut sie sich. Noch mehr würde sie sich freilich freuen, wenn ihren Service mehr Menschen in Anspruch nehmen würden, die sich nicht ohnehin schon Gedanken über ihren ökologischen Fußabdruck machen. »Wir kommen zu wenig aus unseren Blasen raus«, sagt Hofmann: »Einen Garten- oder Fußballverein habe ich noch nie mit Geschirr ausgestattet.« Generell sei ihr Geschirrverleih nur »ein kleiner Beitrag« zu mehr Nachhaltigkeit. Das gilt für vergleichbare Projekte generell. Im »Repair Café« hat Erik Schanze einmal ausgerechnet, wie viele Geräte er und seine Mitstreiter im Jahr reparieren: »Ungefähr eine Tonne.« Zur Erinnerung: In Dresden fallen zehn Tonnen Elektroschrott an – am Tag! »Wenn man realistisch ist«, sagt Schanze, »sind wir ein kleiner Tropfen auf einem sehr heißen Stein.«

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