Universitäre Arbeitskämpfe

Ein Rückblick auf ein Jahr der Kämpfe für Tarifverträge, Entfristung und bessere Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen

  • Simone Claar
  • Lesedauer: 7 Min.
Streik an den Unis? Am 20. November 2023 mobilisierten zahlreiche Initiativen und Verbände zum bundesweiten Hochschulaktionstag.
Streik an den Unis? Am 20. November 2023 mobilisierten zahlreiche Initiativen und Verbände zum bundesweiten Hochschulaktionstag.

Es war ein ereignisreiches Jahr für die Beschäftigten an den Hochschulen. Prekäre Arbeit an den Universitäten wurde nicht mehr nur breit diskutiert, sondern es kam zu öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen und Warnstreiks. Im englischsprachigen Raum ist der universitäre Arbeitskampf schon länger selbstverständlich. So überzog etwa seit Beginn 2023 eine Streikwelle und ein Benotungsboykott die britischen Universitäten und in den USA votierten jüngst die akademischen Beschäftigten der National Institutes of Health für die Gründung einer Gewerkschaft, um für bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

Auch an deutschen Hochschulen bewegte sich dieses Jahr einiges. Aus meiner Sicht gab es drei entscheidende hochschulpolitische Momente im Jahr 2023, die zeigen, dass sich das Verständnis der Hochschulen als Arbeitsplatz in den letzten Jahren deutlich verändert hat.

Trotz alledem – Wie Menschen gemeinsam für ihre Rechte kämpfen

Für Millionen Menschen war 2023 geprägt durch Kriege, Flucht und materielle Unsicherheit. Hetze gegen die vermeintlich Anderen grassiert. Die EU grenzt Flüchtlinge zunehmend aus. Derweil steigen Mieten und Löhne sinken. Doch 2023 gab es auch Bewegungen, die sich all dem widersetzen.

Russen wenden sich gegen den Krieg, Beschäftigte streiken gemeinsam für ihre Rechte, Mieterinnen kämpfen für bezahlbares Wohnen. In »nd.DieWoche« stellen wir einige Initiativen und Bewegungen vor, die auf Solidarität und Versöhnung setzen. Mehr auf www.nd-aktuell.de/die-woche

Dauerthema WissZeitVG

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) veröffentlichte am 17. März 2023 Eckpunkte zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), die einen Sturm der Entrüstung auslösten. Der Entwurf beinhaltete nur wenige Forderungen der Gewerkschaften und #IchbinHanna-Aktivist*innen, stattdessen sollten Befristungsregeln und Unsicherheit vor allem für Promovierte weiter verschärft werden. Im Wissenschaftsbetrieb regelt das WissZeitVG Verträge während der Qualifikationsphasen wie Promotion, Habilitation oder im Zusammenhang mit Drittmittelfinanzierung. Nach zwölf Jahren befristeter Beschäftigung an Hochschulen endet die Karriere für Wissenschaftler*innen, wenn sie bis dahin keine Professur oder eine der wenigen Dauerstellen ergattern konnten oder wiederholt bei einem Drittmittelprojekt angestellt werden. De facto werden die Kolleg*innen in einem Qualifikationssystem gehalten, obwohl die Qualifikation nicht sachgerecht ist. Erst in den Vierzigern werden sie auf Professuren berufen.

Die Eckpunkte des BMBF führten dazu, dass wenige Tage später, am 24. März 2023, in Berlin eine Kundgebung vor dem Ministerium stattfand. Allen Beteiligten war klar, dass der Protest auf die Straße getragen werden muss. Trotz vieler Gespräche und vorgebrachter Argumente von Gewerkschaften und Initiativen schienen vor allem die Perspektiven der Arbeitgeber und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) das Ministerium in Bezug auf die Befristung von Post-Docs zu überzeugen beziehungsweise deren feststehende Annahmen zu bestätigen. Die HRK hatte den Vorschlag einer dreijährigen Höchstbefristungsdauer für Post-Docs im Eckpunktepapier kritisiert und eine vierjährige Befristungsmöglichkeit ohne Anschlusszusage gefordert. Und genau das kam im Referentenentwurf vom 6. Juni 2023 mit der Option, die Frist um weitere zwei Jahre zu verlängern, wenn es denn eine Anschlusszusage der Hochschule gäbe.

Mit solch einer Regelung würde der Druck und die Erwartungshaltung an Promovierte noch weiter erhöht, gleichzeitig ändert dieser Vorschlag nichts an der grundsätzlichen Personalpolitik der Hochschulen und Forschungseinrichtungen: Entfristungen sind schon jetzt möglich, aber nicht gewollt. Bisher ist im WissZeitVG auch festgelegt, dass die Regelungen nicht durch Tarifverhandlungen verändert werden dürfen, also eine Tarifsperre vorliegt. In dem Referentenentwurf wird die Tarifsperre für einzelne Themenbereiche wie Mindestvertragslaufzeiten gelockert. Allerdings greift selbst diese Lockerung aus Sicht der Gewerkschaften weiterhin in die Tarifautonomie ein und bedarf der völligen Streichung im Gesetz.

Seit Juni ist es aus dem Ministerium eher still geworden, und man hört im Flurfunk, dass es unterschiedliche Sichtweisen auf den Entwurf bei den Koalitionspartnern gibt. Im Herbst gab es erneut eine Debatte im Bundestag, aber auch dabei kam nicht viel Neues. Momentan wird erwartet, dass kein Gesetz vor Sommer 2024 verabschiedet wird, aber bei der aktuellen Lage der Koalition ist selbst das fraglich. Die Gewerkschaften und Beschäftigteninitiativen haben nicht aufgehört, prekäre Arbeit an den Hochschulen zu thematisieren, und im September wurde eine Petition »Stoppt die Dauerbefristung« an die Ministerin gestartet. Bis dato haben über 40 000 Menschen diese Petition unterschrieben, oder sich daran beteiligt, den damit verbundenen Hochschulaktionstag gemeinsam zu planen.

Hochschulaktionstag

Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Beschäftigteninitiativen, Studierendenvertretungen und hochschulpolitischen Organisationen rief am 20. November 2023 zu einem bundesweiten #Hochschulaktionstag auf, um prekäre Arbeits- und Studienbedingungen zu beenden. Politische Forderungen rund um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sollten mit tariflichen Forderungen in der Tarifrunde der Länder nach höheren Gehältern und einem Tarifvertrag für studentische Beschäftigte vereint werden. Studierende, studentische Beschäftigte, Beschäftigte in Verwaltung, Forschung, Lehre und Wissenschaftsmanagement wurden so gemeinsam vor Ort aktiv zusammengebracht. Die Wahl des Termins ermöglichte den Gewerkschaften GEW und Verdi, im Rahmen der Tarifrunde den Hochschulaktionstag zum Warnstreiktag zu machen.

Es gab bundesweit an über 100 Orten Aktionen, Kundgebungen und Demonstrationen mit über 80 Warnstreiks. Und genau diese Kombination hat funktioniert, am 20. November 2023 waren rund 14 000 Menschen bundesweit aus der Hochschule auf der Straße. Das hat es, aus meiner Sicht, noch nie in der Form gegeben. Es zeigt, dass viel gewerkschaftspolitisches Potenzial an den Hochschulen liegt, das von den Gewerkschaften solidarisch und gemeinsam weiter ausgebaut werden muss. Klar wurde, dass wir gemeinsam stark sein können und dass sich die Kolleg*innen für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen wollen.

Die TVStud-Kampagne »Jetzt oder nie!«

TVStud ist eine gewerkschaftliche Gemeinschaftskampagne, die vor allem von sehr engagierten ehrenamtlichen Aktiven unterstützt, entwickelt und immer wieder in den Mittelpunkt der tarifpolitischen Diskussionen gerückt wird. Die bundesweite Kampagne für die Tarifrunde 2023 begann nicht erst 2023 mit der Konferenz zur Vorbereitung einer bundesweiten Streikbewegung studentischer Beschäftigter, sondern schon 2021. Bei den Tarifverhandlungen im Herbst 2021 wurde eine »Bestandsaufnahme über die Beschäftigungsbedingungen der studentischen Hilfskräfte« mit den Arbeitgebern vereinbart. Das Institut für Arbeit und Wirtschaft in Bremen veröffentlichte Anfang 2023 die Studie »Jung, akademisch, prekär«, die als Grundlage für Gespräche mit den Arbeitgebern diente. Die Arbeitgeber, die ihrer Verantwortung für diese Bestandsaufnahme nicht nachgekommen waren, sahen trotz der mehr als 11 000 Befragten keine strukturellen Probleme, lediglich »Einzelfälle«.

Das Sommersemester 2023 wurde proaktiv genutzt, um studentische Beschäftigte gewerkschaftlich zu organisieren und sie auf die Tarifrunde im Herbst 2023 vorzubereiten. Auch die Forderung nach einem Tarifvertrag für studentische Beschäftigte innerhalb der Gewerkschaften wurde vorangetrieben. Eine klare und deutliche Forderung aus dem Hochschulkontext gab es für den Tarifvertrag der Länder bisher nicht. Daher war es ein Erfolg, dass diese Forderungen prominent von GEW und Ver.di gesetzt wurden. Obwohl sich zehn Landesregierungen, darunter allein sieben in ihren Koalitionsverträgen, zu der Tarifierung bekannten, sprachen sich in der dritten Verhandlungsrunde alle geschlossen dagegen aus. Am Ende wurde mit einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den Gewerkschaften und der Tarifrunde erstmals überhaupt eine – nicht nur einseitige und unverbindliche – Regelung zu den Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter erzielt. Dazu gehören in der Regel Mindestvertragslaufzeiten von 12 Monaten und Mindeststundenlöhne sowie die Zusage, dass in der kommenden Tarifrunde erneut über unter anderem die Entgelte verhandelt wird.

Die Bewertung des Ergebnisses fiel sehr unterschiedlich aus und viele Aktive hatten sich mehr erhofft – verständlicherweise. Dennoch handelt es sich um einen wichtigen Schritt in Richtung Tarifierung. Natürlich wird es auch hier weiter Druck von den betroffenen Kolleg*innen benötigen, aber ich persönlich bin zuversichtlich, dass im Herbst 2023 das Fundament für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte gelegt wurde.

Ausblick auf 2024

Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde. Da Hessen nicht Teil der Tarifgemeinschaft der Länder ist, stehen für mich und meine Kolleg*innen in Hessen die Tarifverhandlungen für den TV-Hessen an, ebenso wie an der TU Darmstadt und der Frankfurter Goethe-Universität, wo getrennt verhandelt wird. In Hessen geht es neben der Forderung nach höheren Gehältern auch um die Erwartung, Befristungen einzudämmen und einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte einzuführen.

Es wird eine spannende Zeit, denn Verhandlungspartner wird eine neue christlich-soziale Landesregierung, inklusive schwierigen Koalitionsvertrags und neuen Innenministers. Gleichzeitig ist es von zentraler Bedeutung, dass die TVStud-Kampagne bundesweit weiterentwickelt und eine Perspektive für die Tarifrunde der Länder im Jahr 2026 geschaffen wird. Neben den tarifpolitischen Auseinandersetzungen bleiben auch die politischen Diskussionen um die Grundfinanzierung der Hochschulen und das Wissenschaftszeitvertragsgesetz von besonderer Bedeutung. In all diesen Belangen sind wir als Gewerkschaftsgemeinschaft gefordert, uns gesellschaftlich und gewerkschaftspolitisch für alle einzusetzen und unsere Stärke zu zeigen.

Simone Claar ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachgruppe Politikwissenschaft der Universität Kassel. Sie ist zudem Vizevorsitzende der GEW in Hessen.

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