Friedensbewegung in Israel: Der gleiche Schmerz

Kundgebungen und Notfall-Nummer: Wie sich die Initiative »Standing Together« in Israel für Frieden einsetzt

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.
Rula Daood und Alon-Lee Green von »Standing Together«, einer Friedensinitiative mit jüdischen und palästinensischen Israelis
Rula Daood und Alon-Lee Green von »Standing Together«, einer Friedensinitiative mit jüdischen und palästinensischen Israelis

Es fing hoffnungsvoll an, Ende 2015, Anfang 2016, als sich linksorientierte jüdische und palästinensische Israelis zusammenschlossen, um gemeinsam für Frieden zu streiten. Der Name der daraus entstandenen Graswurzelbewegung »Standing Together« deutet an, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Die ersten Treffen der sich sozialistisch verstehenden Bewegung fanden auch in den Räumen des Israel-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung statt. Am 6. Dezember dieses Jahres waren die beiden Ko-Direktoren Rula Daood und Alon-Lee Green auf Einladung der Stiftung in Berlin; sie Palästinenserin, er jüdischer Israeli. Der Saal war gerammelt voll, das Interesse so groß, dass viele Anmeldungen abgelehnt wurden. Offenbar ist das Bedürfnis groß, miteinander zu sprechen und sich gemeinsam zu versichern, dass es trotz des blutigen Kriegs noch Hoffnung gibt.

Trotz alledem – Wie Menschen gemeinsam für ihre Rechte kämpfen

Für Millionen Menschen war 2023 geprägt durch Kriege, Flucht und materielle Unsicherheit. Hetze gegen die vermeintlich Anderen grassiert. Die EU grenzt Flüchtlinge zunehmend aus. Derweil steigen Mieten und Löhne sinken. Doch 2023 gab es auch Bewegungen, die sich all dem widersetzen.

Russen wenden sich gegen den Krieg, Beschäftigte streiken gemeinsam für ihre Rechte, Mieterinnen kämpfen für bezahlbares Wohnen. In »nd.DieWoche« stellen wir einige Initiativen und Bewegungen vor, die auf Solidarität und Versöhnung setzen. Mehr auf www.nd-aktuell.de/die-woche

Das von der Islamisten-Miliz Hamas begangene Massaker an Israelis vom 7. Oktober hat viele israelische wie palästinensische Aktivisten, die sich gemeinsam für mehr Gleichberechtigung in der israelischen Gesellschaft einsetzen, buchstäblich gelähmt. Die Stimmung in der israelischen Gesellschaft ist auf Krieg getrimmt, Friedensinitiativen, besonders unter Beteiligung von Palästinensern, fallen schnell unter den Generalverdacht des Vaterlandsverrats. So wurden im Oktober zwei Aktivisten von »Standing Together«, die sich für die Verbesserung der Beziehungen zwischen jüdischen und palästinensischen Bürgern Israels einsetzten, von der israelischen Polizei in Jerusalem festgenommen. Sie haben bloß Plakate aufgehängt mit der Aufschrift »Wir stehen das gemeinsam durch« – auf Arabisch und Hebräisch.

»Im Moment gibt es sehr wenig Geduld mit der Friedensbewegung«

Rula Daood berichtet, wie die Behörden kurz nach Kriegsbeginn mit den palästinensischen Bürgern umsprangen oder mit jedem, der etwas anderes sagten als die Regierung vorgab. »Selbst wenn man geschrieben hat ›Mein Herz ist mit Gaza‹ oder ›Wir wollen keine weiteren Kriege‹, oder irgendwas anderes, was nicht mit der Regierungslinie übereinstimmte, wurden wir verfolgt.« In der ersten Kriegswoche seien sogar bekannte palästinensische Schauspieler und Fußballer verhaftet worden, nur weil sie etwas zu Gaza gesagt hatten. »Sie wurden in Handschellen zur Polizeistation gebracht, vor eine israelische Flagge gestellt und so fotografiert«, erzählt Rula. Das Bild sei dann überall verbreitet worden als deutliche Warnung an alle Palästinenser: Wer Kritik äußert oder sich auf das Leiden der Menschen in Gaza bezieht, wird verhaftet. Sie erinnert daran, dass rund 20 Prozent der israelischen Bevölkerung palästinensische Araber sind.

Derzeit ist es schwer, in Israel für Frieden zu werben. Zu groß ist die Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung zum Krieg gegen die Hamas, zu klein der Anteil derer, die für einen Ausgleich eintreten, arabische bzw. jüdische Israelis nicht als Gegner, sondern gleichberechtigte israelische Staatsbürger sehen, die ein gemeinsames Interesse haben: das Ende der Gewalt. Die Zustimmung zur sogenannten Zwei-Staaten-Lösung ist unter Israelis massiv geschrumpft auf magere 25 Prozent. Das ergab eine Gallup-Umfrage, die in der Zeit vom 13. Oktober bis 3. Dezember durchgeführt wurde; bei der letzten Erhebung 2012 waren es noch 61 Prozent.

»Die Atmosphäre in Israel ist im Moment so, dass es sehr wenig Geduld mit der Friedensbewegung gibt. Und das sage ich als jemand, der sein ganzes Erwachsenenleben lang Teil der Friedensbewegung war«, sagte Yossi Mekelberg, der beim britischen Thinktank Chatham House zum israelisch-palästinensischen Konflikt forscht, dem US-Magazin »Time«.

Diese Aussage verwundert nicht, wenn man sich Ergebnisse des Peace Index Survey zum Einsatz von Gewalt in Gaza anschaut: 57,5 Prozent der israelischen Juden gaben an, dass die israelischen Streitkräfte ihrer Meinung nach zu wenig militärische Gewalt in Gaza einsetzen, während nur 1,8 Prozent der Meinung waren, die Armee setzte zu viel ein; für 36,6 Prozent seien die Mittel angemessen.

Große Friedensbewegung in Tel Aviv

Dennoch ist die Friedenbewegung nicht tot, und gerade »Standing Together« hat nach der anfänglichen Schockstarre alle Ressourcen mobilisiert. Am Donnerstagabend gab es in Tel Aviv eine große Friedensdemo: »Tausende jüdische und palästinensische Bürger Israels versammeln sich in Tel Aviv gegen diesen endlosen Krieg und fordern ein Waffenstillstandsabkommen, das die Geiseln zurückbringt und das Töten in Gaza beendet« berichtete Alon-Lee Green live von der Kundgebung über X und unterstreicht, dass es die »größte Kundgebung für den Frieden seit Beginn des Krieges« gewesen sei.

Die Graswurzelbewegung bietet Israelis, Juden wie Arabern, vor allem einen geschützten Rahmen, in dem sie über ihre Ängste und ihr Leid sprechen können. Eine der ersten Maßnahmen waren Kundgebungen, die nach Kriegsbeginn dank eines Netzwerks Tausender Aktivisten in verschiedenen Städten organisiert wurden. »Die Menschen bei diesen Kundgebungen wollten keine Politik, sondern nur reden. Sie wollten verstehen, dass das Leid ein gegenseitiges ist. Sie wollten sehen, dass jeder von uns seine eigene Geschichte hat, aber den gleichen Schmerz spürt, den wir auch spüren«, sagt Rula Daood.

Notfall-Telefon für Menschen, die Diskriminierung erfahren

Ein zweites Instrument ist eine Art Notfall-Telefonnummer, bei der Menschen, die Diskriminierung erfahren, erzählen können, was ihnen widerfahren ist. »Viele wurden von ihrem Betrieb gefeuert, palästinensische Studenten ihrer Hochschule verwiesen«, erzählt Rula Daood. »Mit unserer Notfallnummer konnten wir den Menschen politische und rechtliche Unstützung anbieten.«

Denn das gegenseitige Misstrauen wächst in den Betrieben, speziell in gemischten jüdischen und arabischen Belegschaften. Gruppen wie »Standing Together« haben Berichte erhalten über jüdische Arbeitnehmer, die ihre Chefs und die Polizei über palästinensische und manchmal auch jüdische Kollegen informieren, weil die sich in einer Weise über Gaza geäußert haben, die abseits der offiziellen Regierungspolitik liegt. Rechtsextreme jüdische Gruppen sollen Facebook und andere Social-Media-Konten durchforsten auf der Suche nach vermeintlich »belastenden« Aussagen.

Zwischen dem 7. Oktober und 13. November wurden bereits über 100 arabische Israelis wegen angeblicher Verstöße gegen die israelischen Gesetze gegen Aufwiegelung und Rassismus verhaftet – für Dinge, die sie in sozialen Medien gesagt oder gepostet haben, berichtet Adalah, Zentrum für die Rechte arabischer Minderheiten in Israel. »Ich verstehe die Ängste der Juden«, sagt Rula Daood, »aber für uns Palästinenser fühlt sich das wie eine Hexenjagd an.«

Einen Ausweg zu finden aus dem jahrzehntelangen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern erfordert viel Mühe und mutige Vorschläge, »aber für einige Leute scheint es wichtiger zu sein, ihre historische Gerechtigkeit zu bewahren, anstatt eine Lösung zu finden«, beklagt Alon-Lee Green. Klar sei jedoch: »Die Palästinenser verdienen die Freiheit, die Israelis verdienen Sicherheit.«

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