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Zweite Wahl für den Bundestag

Knapp 550 000 Berliner sind aufgerufen, bei der Teilwiederholungswahl am 11. Februar noch einmal ihre Stimme abzugeben

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Besonders viel nachgewählt werden muss in Pankow. Deshalb hängen hier auch mehr Wahlplakate als anderswo - bzw. stecken bereits wieder im Müll. Beispiel: Berliner Straße
Besonders viel nachgewählt werden muss in Pankow. Deshalb hängen hier auch mehr Wahlplakate als anderswo - bzw. stecken bereits wieder im Müll. Beispiel: Berliner Straße

Anderthalb Stunden musste Professor Stephan Bröchler am 26. September 2021 vor seinem Wahllokal im Berliner Bezirk Pankow anstehen, bis er seine Stimmen abgeben durfte. Darum war ihm jetzt gleich vorher klar: Wenn die damalige Bundestagswahl in einer Reihe von Berliner Wahllokalen wiederholt werden muss, dann wird sein eigenes ganz sicher dabei sein. Bröchler hat nachgeschaut und sich nicht geirrt. Es ist wirklich so: Er gehört zu den 548 675 Wahlberechtigten, die aufgerufen sind, am 11. Februar noch einmal abzustimmen.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 19. Dezember entschieden, dass die Bundestagswahl in 455 der 2256 Wahlbezirke wiederholt werden muss. September 2021 waren in Berlin neben dem Bundestag auch das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen gewählt worden. Außerdem wurde über den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen abgestimmt. Die Bürger durften fünf Kreuze auf sechs verschiedenen Stimmzetteln machen. Das dauerte seine Zeit.

Doch die Bezirke hatten angesichts der Corona-Pandemie fälschlicherweise angenommen, dass viel mehr Menschen die Möglichkeit der Briefwahl nutzen würden, als es dann tatsächlich der Fall war. Deswegen gab es zu wenige Wahllokale und zu wenige Wahlkabinen, und es bildeten sich lange Schlangen. Mancher konnte seine Stimme deshalb erst weit nach 18 Uhr abgeben, mancher hat nach langem Warten vielleicht aufgegeben und gar nicht gewählt.

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Wegen dieser und anderer Pannen musste am 12. Februar 2023 bereits die Abgeordnetenhauswahl im gesamten Stadtgebiet wiederholt werden. Das hatte der Berliner Verfassungsgerichtshof verfügt. Es war die Feuertaufe für den neuen Landeswahlleiter Stephan Bröchler. Der Professor hatte in einer Expertenkommission die Ursachen der Chaoswahl von 2021 mit aufgearbeitet und Vorschläge unterbreitet. Danach erhielt er das Angebot, es besser zu machen – und nahm die Herausforderung an. Seine nächste Bewährungsprobe wird nun die Teilwiederholung der Bundestagswahl am 11. Februar 2024.

Eine gute Nachricht gibt es schon: Rund 9000 Wahlhelfer werden benötigt – und wie Bröchler aus den Bezirken gemeldet wurde, sind überall genug Freiwillige beisammen. Diese erhalten für ihren Einsatz am Wahltag eine Erfrischungsgeld genannte Aufwandsentschädigung von diesmal 120 Euro. Für die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl im Februar 2023 hatte das Land Berlin den Wahlhelfern noch 240 Euro spendiert. Das war eine ungewöhnlich hohe Summe. Aber es gab die Befürchtung, dass sich nach den schlimmen Erfahrungen 2021 sonst nicht genug Freiwillige melden. »Darum sind wir in die Vollen gegangen«, erinnert Wahlleiter Bröchler am Freitag. Die Strategie hatte Erfolg: Es meldeten sich dann mehr Helfer, als benötigt wurden.

Bröchler informiert am Freitag über den Stand der Vorbereitungen zur Teilwiederholung der Bundestagswahl. Er tut das in die Hochschule für Wirtschaft und Recht in der Badenschen Straße. Dort lehrt der Professor seit Oktober 2020 Politik- und Verwaltungswissenschaften. »Der Ort ist auch diesmal nicht ganz unbedacht gewählt. Der Landeswahlleiter ist ja unabhängig«, erklärt Bröchler, warum er nicht in ein Senatsgebäude eingeladen hat.

Auf Unabhängigkeit kommt es ihm auch bei der Auswahl der Persönlichkeiten an, die in kurzen Videobotschaften für die Teilnahme an der Wiederholungswahl werben sollen. Schauspielerin Katrin Sass, Sänger Tim Bendzko und Fernsehmoderatorin Hadnet Tesfai haben sich bereitgefunden, dabei mitzumachen. Sie werden sagen, warum sie Wählen wichtig finden. Montag soll der erste Spot gedreht werden. Eine Aufwandsentschädigung bekommen die Prominenten nicht. Sie tun es für den guten Zweck gratis. Parteipolitiker wären für eine solche Aufgabe fehl am Platze gewesen, weiß Stephan Bröchler.

Er macht sich Sorgen, dass die Wahlbeteiligung sehr niedrig ausfallen könnte. Das wäre ein schlechtes Signal für die Europawahl am 9. Juni und auch für die Landtagswahlen am 1. September in Sachsen und Thüringen sowie am 22. September in Brandenburg. 75,2 Prozent betrug die Wahlbeteiligung in Berlin bei der Chaoswahl im September 2021, bei 62,9 Prozent lag diese, als am 12. Februar 2023 die Berliner Abgeordnetenhauswahl wiederholt wurde.

Aber damals ging es um etwas. Die Einwohner konnten maßgeblich über die künftige Regierungspolitik in der Hauptstadt bestimmen. Und die Änderungen kamen: Der rot-grün-rote Senat unter Franziska Giffey (SPD) wurde abgelöst durch den neuen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), der sich auf eine Koalition mit der SPD stützt. Wenn auch rechnerisch eine Fortsetzung der alten Koalition möglich gewesen wäre, die Wiederholungswahl bedeutete das Ende von Rot-Grün-Rot.

Eine vergleichbare Möglichkeit besteht jetzt nicht. »Die Teilwiederholungswahl wird an den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag nichts verändern«, bestätigt Landeswahlleiter Bröchler. Deswegen und weil der Wahltermin auf das Ende der Winterferien fällt, könnte die Beteiligung gering ausfallen. Bröchler wäre mit 60 Prozent schon sehr zufrieden. Er rechnet wegen der Ferien auch damit, dass jede zweite Stimme per Briefwahl abgegeben wird.

Im Prinzip müssen am 11. Februar nur zwei Bundestagsabgeordnete bangen: Pascal Meiser (Linke), ob er mit ausreichend Zweitstimmen für seine Partei als Listenkandidat im Parlament verbleibt, und Stefan Gelbhaar (Grüne), der im Wahlkreis Pankow sein Direktmandat einbüßen könnte. Die Parteien dieser beiden Männer befinden sich gerade in einer schwierigen Phase: Die Linke muss die Abspaltung von zehn Abgeordneten rund um Sahra Wagenknecht verkraften. Den Grünen bläst der Wind scharf ins Gesicht.

In den Meinungsumfragen bewegen sich die Grünen allerdings sowohl auf Bundesebene als auch in Berlin etwa auf dem Niveau von 2021. Damals erzielten sie bundesweit 14,8 Prozent bei der Bundestagswahl und bei der zeitgleichen Berliner Abgeordnetenhauswahl 18,9 Prozent. Stefan Gelbhaar hatte seinerzeit den Bundestagswahlkreis Pankow mit 25,5 Prozent der Erststimmen gewonnen. Klaus Mindrup (SPD) lag 4,0 Prozentpunkte hinter ihm. Udo Wolf (Linke) hatte mit seinen 16,2 Prozent keine Chance, obwohl sein Genosse Stefan Liebich diesen Wahlkreis zuvor dreimal in Folge gewonnen hatte.

Wiederholt werden muss die Bundestagswahl in sämtlichen zwölf Berliner Bezirken, aber sie sind unterschiedlich betroffen. So wird die Wahl in Pankow in 85 Prozent aller Wahllokale wiederholt. Es folgen der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf mit 42 Prozent und Friedrichshain-Kreuzberg mit 31 Prozent. Dagegen sind es in Lichtenberg nur 2,9 Prozent der Wahllokale und in Treptow-Köpenick ähnlich wenig.

Letzteres ist der Grund, warum die dort gewonnenen Direktmandate von Gesine Lötzsch und Gregor Gysi (beide Linke) nicht in Gefahr sind. Bei einer kompletten Wahlwiederholung im gesamten Stadtgebiet hätte das anders ausgesehen.

Weil die Bundestagswahl 2021 schon mehr als sechs Monate zurückliegt, wird für die Teilwiederholung ein neues Wählerverzeichnis erstellt. Das bedeutet: Wer zwischenzeitlich weggezogen ist, darf nicht erneut wählen. Dagegen darf nun abstimmen, wer inzwischen 18 Jahre alt geworden ist und auch, wer in einen der 455 betroffenen Wahlbezirke zugezogen ist. Er darf es auch, wenn er 2021 schon woanders den Bundestag gewählt hat, wo die Abstimmung nun nicht wiederholt wird.

Dass einige zweimal mitbestimmen dürfen und andere nun gar nicht, ist eine Ungerechtigkeit, die nach Einschätzung von Landeswahlleiter Bröchler und auch nach Überzeugung seines Stellvertreters Roland Brumberg leider hinzunehmen sei. Die Wahl ließe sich deswegen zwar anfechten, erläutert Brumberg. Die Sache würde dann wieder beim Bundesverfassungsgericht landen. Das Gericht habe jedoch bereits entschieden, dass es so laufen solle. Die Wahlanfechtung hätte also sicher keine Aussicht auf Erfolg.

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