Im Chaos schnell zum Bahnwerk

Neue Halle zur Wartung von ICE-Zügen in Cottbus in Rekordzeit gebaut und eröffnet

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Luzie Bobusch hat bei der Lausitzer Energie AG Industriemechanikerin gelernt und in den Braunkohletagebauen Nochten und Reichwalde an den großen Kohlebaggern herumgeschraubt. Jetzt schraubt sie an ICE-Zügen der Deutschen Bahn (DB), die in der neuen Instandhaltungshalle des Bahnwerks am Cottbuser Hauptbahnhof gewartet werden. Mit erst 21 Jahren ist Bobusch dort Teamleiterin, hat sechs Kollegen unter sich, alles Männer. Im August 2022 ist sie zum DB-Konzern gewechselt. Einen neuen Beruf musste sie dafür nicht erlernen. Luzie Bobusch und die neue Halle sind Musterbeispiele für den Strukturwandel im Lausitzer Revier.

Am Donnerstag gibt die 21-jährige Bobusch dem mehr als dreimal so alten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen großen Drehmomentschlüssel, eine Ratsche. Der Politiker zieht damit symbolisch und tatsächlich eine Schraube am Rad eines Fernzugs vom Typ ICE4 fest. »Das Werk ist eröffnet, jetzt geht’s los«, sagt er unter dem Jubel der geladenen Gäste und der Beschäftigten. Schon als Scholz noch Bundesfinanzminister war, befasste er sich mit dem Projekt. »Ich bin ja schon dreimal hier gewesen. Beim fünften Mal möchte ich einen Mitarbeiterausweis und eine Einladung in die Kantine«, sagte er im Mai 2022 beim ersten Spatenstich. Dessen eingedenk überreicht DB-Vorstandschef Richard Lutz am Donnerstag eine Chipkarte für die Kantinen des Konzerns, mit der Scholz dort ermäßigt essen könnte. Er müsse allerdings noch Guthaben aufladen, stellt Lutz klar.

Die neue Halle entstand in 20 Monaten Bauzeit und wurde damit zwei Jahre früher fertig als ursprünglich geplant. Das war möglich, weil ähnlich wie bei der 2022 eröffneten Tesla-Autofabrik in Grünheide mit den Bauarbeiten nicht abgewartet wurde, bis auch die letzte Genehmigung vorlag. Die Stadtverwaltung Cottbus und eine Taskforce in der Potsdamer Staatskanzlei machten das möglich. DB-Vorständin Daniela Gerd tom Markotten und Ministerpräsident Dietmar Wodike (SPD) leiteten die Einsatzgruppe. »Wir waren sogar schneller als manch anderer Bauherr«, freut sich Gerd tom Markotten mit Blick auf Tesla-Boss Elon Musk. Die gewonnenen Erfahrungen sollen genutzt werden, um bei anderen Bauprojekten Tempo zu machen.

In die 445 Meter lange Halle mit zwei Gleisen können 374 Meter messende ICE-Züge hineinfahren. »Wir müssen nicht rangieren, wir müssen auch nicht koppeln«, erläutert Gerd tom Markotten, warum alles ganz fix geht. Es sind außerdem spezielle technische Lösungen ausgetüftelt worden, um Drehgestelle beim turnusgemäßen Austausch nach 1,65 Millionen Kilometern Laufzeit bequem seitlich herausziehen zu können. Das alles spart Zeit. So können die Züge schon nach zwei Wochen sogenannter schwerer Wartung wieder auf die Strecke geschickt werden. In anderen Bahnwerken dauert das fast doppelt so lange.

Mit der Halle sind 450 Arbeits- und Ausbildungsplätze entstanden. Insgesamt 1200 werden es mit einer zweiten Halle sein, deren Bau gerade startete. Diese Halle mit vier Gleisen soll 2026 vollendet sein. Dann wäre das Bahnwerk Cottbus nicht nur das modernste, sondern auch das größte in Deutschland, hebt Bahnchef Lutz hervor.

Das letzte Kohlekraftwerk in der Lausitz wird spätestens 2038 abgeschaltet und sicher nicht vor 2030. »Ich bin glücklich«, sagt Ministerpräsident Woidke, »dass wir es in einer gemeinsamen Kraftanstrengung in kürzester Zeit geschafft haben, unser Versprechen einzuhalten: Wir schaffen neue und zukunftsfeste Arbeitsplätze vor dem Ausstieg aus der Kohleverstromung.« Von einzelnen Rückschlägen habe man sich nicht entmutigen lassen. »Die gab es auch bei diesem Projekt.«

Kanzler Scholz schwärmt: »Deutschland hat die höchste Beschäftigtenzahl in der Geschichte des Landes. Das ist etwas Bemerkenswertes.« Am Büfett gibt es Schnittchen, Gulasch und Erbsensuppe gratis. Dafür braucht der Kanzler seine Kantinenkarte nicht zu zücken. Draußen hupen die Traktoren, mit denen die Bauern die Straße vor dem Werk blockieren. Sie nehmen den Besuch des Kanzlers zum Anlass, um auch hier gegen den Wegfall der Steuerermäßigung für Agrardiesel zu protestieren. Zeitgleich streiken die Lokführer. Bahnchef Lutz ist froh, dass es die Gäste es trotz dieser Umstände zum Termin geschafft haben. Das war gar nicht so einfach.

Gewöhnlich gibt es eine stündliche Bahnverbindung von Berlin, wobei sich die Züge allerdings wegen der ab Lübbenau nur eingleisigen Strecke beinahe immer verspäten. Am Donnerstag fährt zwar trotz des Lokführerstreiks früh wenigstens ein Zug nach Cottbus, aber unter welchen Umständen ...

Um 7.25 Uhr wird am Ostbahnhof per Lautsprecher durchgesagt, der Regionalexpress RE2 nach Cottbus fahre von Gleis 1. So weisen es auch die elektronischen Anzeigetafeln auf dem Bahnsteig aus. Tatsächlich steht der Zug aber auf Gleis 3 bereit. Es sitzt nur niemand drin, nicht einmal der Lokführer. Personal, das Auskunft geben könnte, ist nicht aufzufinden. Irgendwann ruft irgendjemand, der Zug nach Cottbus fahre wirklich von Gleis 3. Ob das ein Gerücht ist oder eine zuverlässige Angabe aus berufenem Munde? Schließlich versichert ein Fahrgast den anderen: »Die Schaffnerin hat das gerufen.« Auf den Monitoren im Zug ist jedoch zu lesen, hier sei Endstation. Sie werden erst später richtig eingestellt. Es kommt dann auch die beruhigende Durchsage, dieser Zug werde in Kürze nach Cottbus abfahren. Mit sechs Minuten Verspätung geht es los. Auf den Sitzen am Gang ist es drückend warm, an den Fensterplätzen zieht es kalt. Einziger Lichtblick: Die freundliche Zugbegleiterin, die schwört, zurück fahre um 13.04 Uhr, wie in der Fahrplanauskunft vermerkt, wieder ein Zug.

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