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Der Zorn der Enttäuschten
In Togo greift eine antiwestliche Stimmung um sich. Viele machen die ehemaligen Kolonialisten mit für ihr Leid verantwortlich
Vier junge Männer sitzen an einem Kiosk auf blauen Plastikstühlen. Zwei trinken Bier, die anderen beiden Wasser. Es ist heiß an diesem Vormittag. Schon gegen halb elf zeigt das Thermometer 30 Grad. Als ich mir an dem Kiosk auch ein Wasser kaufe, komme ich mit den düster dreinblickenden Männern ins Gespräch. Sie fragen mich, woher ich komme und was ich hier, vor den Toren Lomés, der Hauptstadt Togos, mache. Und ob ich alleine keine Angst habe.
»Wieso?«, frage ich auf Französisch, der Amtssprache in der früheren französischen Kolonie. Der Anführer der Gruppe – ein am linken Oberarm tätowierter und nicht gerade sympathisch wirkender Mann, womöglich leicht angetrunken – erklärt mir, dass er eigentlich keine Weißen mag. Er könne mich »jederzeit töten«, droht er. Knast kenne er bereits. Egal sei ihm auch, wenn er dann seine sieben Kinder nicht mehr sehen könne.
Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich zwar, aber Angst habe ich nicht. Ich will wissen, wieso der Mann Weiße nicht mag. Er nippt an seinem Becher und erklärt, dass »die Weißen« schuld an der Misere Afrikas seien. »Ihr behandelt uns immer von oben herab.« Da kommt es also wieder zum Vorschein, das durch Kolonialverbrechen und Praktiken des Neokolonialismus verursachte, noch immer präsente Leid.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Dass ich mir dieser Ungerechtigkeit bewusst bin und die Kolonialverbrechen ebenso wie er verurteile, beruhigt den aufgebrachten Mann nicht. »Wir werden euch Weißen das Gleiche antun, was ihr uns antut«, verspricht er mir. Eine antiwestliche, vor allem antifranzösische Stimmung ist längst auch am Golf von Guinea angekommen. In Togo, das siebenmal kleiner als Deutschland ist, hegt nicht nur der Mann am Kiosk Ressentiments gegen Weiße.
Vor einigen Jahren sei das noch anders gewesen, erklärt Brigita Trzeczak. Vor allem Deutsche seien in Togo beliebt gewesen. Wohl auch, weil die Beziehung zwischen Togo und Deutschland eine besondere ist. Das Land war von 1884 bis 1920 Teil des deutschen Kaiserreiches und galt als »Musterkolonie«. Im Bereich des Schul- und Gesundheitswesens unternahmen die Kolonialherren größere Anstrengungen als in den anderen annektierten Besitzungen in Afrika. Gleichwohl es auch Unterdrückung und Gewaltexzesse gab.
Der deutsche Einfluss von einst sei noch heute zu sehen, erzählt Trzeczak – wie etwa die 44 Kilometer lange Kokosnusseisenbahn zwischen Lomé und Anécho. Die pensionierte Grundschullehrerin aus dem Ruhrgebiet pendelt seit mehr als 20 Jahren zwischen beiden Welten, lebt in Oberhausen und in Togo und hat im Land Schulen und Kindergärten mit aufgebaut. Vereinzelt wird In Togo noch Deutsch gesprochen, als Fremdsprache wird es in der Schule unterrichtet.
Nach der deutschen Inbesitznahme erlebte das Land einen Handelsaufschwung, besonders um die Stadt Lomé. Demnach sollen deutsche Firmen wie die Bremer Tabakhändlerfamilie Friedrich M. Vietor vor allem Alkohol in die Küstenregion exportiert haben. Da aber Alkohol in den französischen und britischen Nachbarkolonien mit hohen Zöllen belegt war, entwickelte sich ein reger Schwarzhandel von Lomé in die umliegenden Regionen. Lokale Machthaber wurden für ihre Treue zu den deutschen Handelshäusern mit Alkohol und mit modernen Waffen bezahlt, was die deutsche Herrschaft festigte. Einige profitierten also durchaus von der deutschen Besatzung. Aber es gab auch immer wieder Aufstände, die von Polizeitruppen brutal niedergeschlagen wurden.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, übernahmen die Briten die Herrschaft. Nach Kriegsende erteilte der Völkerbund den Briten und Franzosen ein Mandat für das Land, das fortan geteilt und getrennt verwaltet wurde. Der britische Teil schloss sich 1956 Ghana an, der französische Teil wurde vier Jahre später unabhängig.
Auf die ehemalige Besatzungsmacht ist Bienvenue nicht gerade gut zu sprechen. »Lass uns bitte nicht über die Franzosen reden«, sagt der Maurer beim Abendessen und winkt ab. Frankreich macht er dafür mitverantwortlich, dass sein Leben nicht gerade einfach ist. Er fühlt sich im Stich gelassen, und er ist nicht der Einzige, der so denkt. Seit die drei nördlich gelegenen Länder Mali, Niger und Burkina Faso besonders den Franzosen den Kampf angesagt und sie des Landes verwiesen haben, ist eine antiwestliche Stimmung auch nach Togo übergeschwappt.
Dabei braucht Togo als eines der ärmsten Länder der Welt Hilfe – auch aus Europa. Das weiß eigentlich jeder im Land. Und das wird auch erwartet. Die Europäische Union hat im April 2023 in einem Partnerschaftsabkommen 70 Millionen Euro zugesagt. Die Mittel sollen für eine nachhaltige Landwirtschaft und den Aufbau einer sozialen Infrastruktur verwendet werden. Deutschland hatte sich bereits im Mai 2021 dazu bereit erklärt, 53,6 Millionen Euro für die Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Weitere 89,3 Millionen Euro sollen folgen.
In seiner Entwicklung bleibt Togo aber im Vergleich zum westlichen Nachbarn Ghana zurück. Noch immer lebt fast die Hälfte der 8,6 Millionen Einwohner in Armut. »Wir brauchen dringend bessere Straßen, Jobs für die Jugend und ein Gesundheitssystem, das seinen Namen wert ist«, sagt Bienvenue. Er weiß, wovon er spricht. Der 38 Jahre alte Familienvater verlor eines seiner beiden Kinder. Es sei im Krankenhaus gestorben, erzählt er. »Richtig helfen konnten die Ärzte nicht.« Viele Menschen gehen bei Krankheiten nicht in die Klinik oder zum Arzt, weil sie sich eine Behandlung nicht leisten können. »So werden chronische Krankheiten nicht behandelt, und nicht selten ist etwa Bluthochdruck der Grund für einen späteren Tod«, meint Trzeczak, die ehrenamtlich in togoischen Krankenhäusern gearbeitet hat. Immerhin soll bald eine kostenlose Krankenversicherung für alle eingeführt werden.
Präsident Faure Gnassingbé, Sohn des früheren Diktators Gnassingbé Eyadéma, galt lange als Hoffnungsträger. 2005 kam er an die Macht und ist inzwischen einer der dienstältesten Präsidenten Afrikas – mit nur 57 Jahren. International machte er sich jüngst einen Namen als Mediator im Ecowas-Konflikt mit den abtrünnigen Sahelstaaten Mali und Niger. Sein Verhältnis zu den Regierungen der Länder gilt als gut. Togo beteiligte sich nicht an den Sanktionen der westafrikanischen Staatengemeinschaft gegen diese Länder, in denen das Militär die Macht an sich gerissen hat. Das brachte ihm Kritik, aber auch Zuspruch ein. Fürsprecher sagen, dass Togo dank Gnassingbé im krisengebeutelten Westafrika eine stabilisierende Rolle einnimmt.
Mit dem Amtsantritt des Präsidenten vor 18 Jahren wurde in Togo ein Wandel eingeleitet. »Es werden heute keine Kritiker mehr hingerichtet oder an Beinen und Armen gefesselt aus einem Helikopter ins offene Meer geworfen«, sagt Trzeczak. Fortschritte sieht auch das deutsche Entwicklungsministerium: »Die Regierung in Togo bemüht sich, politische und institutionelle Reformen auf den Weg zu bringen, soziale Schlüsselbereiche wie Bildung, Gesundheit und Infrastruktur zu stärken und die Geschäftsbedingungen für die private Wirtschaft zu verbessern«, heißt es in einer Einschätzung. Rund um den Hafen von Lomé, einer der größten in Westafrika, haben sich inzwischen chinesische Firmen sowie deutsche Baustoffunternehmen angesiedelt.
Allerdings läuft die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft nicht immer reibungslos. Das Tochterunternehmen des deutschen Konzerns Heidelberg Cement war der Grund für Proteste vor drei Jahren. Kritiker bezichtigen es, in Togo die Umwelt zu verschmutzen und ganze Bevölkerungsgruppen ohne Entschädigung zu enteignen. Der Konzern baut dort auf Kosten der lokalen Bevölkerung Kalkstein ab und stellt Klinker her.
Über den Präsidenten Gnassingbé spricht man dagegen wenig in der Öffentlichkeit. »Die Beziehungen und Verbindungen zwischen Politik und Öffentlichkeit sind nicht einfach bei uns«, sagt die Journalistin Accru, die ich beim Besuch eines großen Rotary-Clubs kennenlerne. Im bunten Stadtbild von Lomé tragen Menschen vereinzelt T-Shirts mit dem Konterfei des Präsidenten. In den Zeitungen liest man kaum Kritik an seiner Politik. Zwar habe der Demokratisierungsprozess in Togo in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, meint das Entwicklungsministerium. Es betont aber auch, dass es »bei der Regierungsführung und der Achtung der Menschen- und Grundrechte noch Defizite« gebe.
»Wir sind auch noch hier« steht auf einem Plakat, das eine Gruppe von jungen Menschen durch die überfüllten sandigen Straßen der Kleinstadt Anécho trägt, unweit von Lomé. Es sind vorwiegend Frauen, und es geht ihnen um Aufmerksamkeit. Später singen und tanzen sie auf einem Platz. Sie fühlen sich übergangen, erklärt Georges, der als Fotograf arbeitet. Frauen sind in der Gesellschaft und in der Politik unterrepräsentiert, obwohl mit Victoire Tomegah Dogbé eine Frau als Premierministerin die Regierung führt.
»Es ist nicht üblich, dass Mädchen lange zur Schule gehen«, sagt Brigita Trzeczak. Die Rollenverteilung ist insbesondere auf dem Land noch allgegenwärtig. Frauen fangen in der Regel schon als Jugendliche an zu arbeiten. Später ziehen sie die Kinder groß und kümmern sich um den Haushalt, während die Männer auf den Feldern oder als Verkäufer arbeiten.
Vielen oppositionellen Kräften gehen die Reformvorhaben der Regierung nicht weit genug. Deshalb kam es 2017 und 2018 landesweit zu Protesten. Da wurde nicht nur getanzt wie in Anécho, sondern es wurden Steine geworfen. Menschen starben. »Damals brannte Lomé«, sagt Georges lakonisch. Gnassingbés Macht sollte eingeschränkt und vor allem eine vierte Amtszeit verhindert werden. Die kam aber trotzdem im Februar 2020.
Vor einer Reise in den Norden Togos wird oft gewarnt. Auch das Auswärtige Amt weist auf die Gefahren hin. Es ist von Kämpfen zwischen Togos Militär und Islamisten an der Grenze zu Burkina Faso die Rede. De facto gebe es eine Nachrichtensperre, heißt es beim Besuch der deutschen Botschaft in Lomé. In der Tat liest man wenig über den Konflikt. Man merkt aber, dass Togoer aus dem Süden die nördlichen Gebiete meiden. »Ich weiß nicht viel darüber«, sagt der Taxifahrer, der mich zum Flughafen bringt. »Ich hoffe, dass die Islamisten nicht zu uns in den Süden kommen.«
Die ersten islamistischen Angriffe mit Todesopfern gab es im Mai 2022. Damals wurden acht Soldaten getötet. Togo hatte daraufhin sein Militär an der nördlichen Grenze zu Burkina Faso verstärkt, um zu verhindern, dass die Islamisten aus dem Sahel in die südlichen Nachbarländer kommen. Inzwischen haben die Gewaltausbrüche Zehntausende Geflüchtete aus Burkina Faso nach Togo getrieben, wo sie auf eine ohnehin arme Bevölkerung treffen.
Die deutsche Regierung steht an der Seite Togos und hat als Hauptursache für Ausgrenzung und Ungleichheit im Land die grassierende Armut ausgemacht. Mit der Entwicklungszusammenarbeit sollen künftig neue Perspektiven für die Gesellschaft geschaffen werden. Darauf warten viele Menschen in Togo. Der Maurer Bienvenue ebenso wie Georges, der Fotograf, und sicherlich auch der antiwestlich gestimmte Mann vom Kiosk.
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