Agrardiesel als Schlüsselfrage

Die internationale Agrarmesse Grüne Woche steht im Zeichen der Bauernproteste

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit einem Spaziergang eröffnet Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir am Freitag die internationale Agrarmesse Grüne Woche. Doch der Grünenpolitiker steht derzeit schwer in der Kritik: Seit Ende des vergangenen Jahres sind Bauern und Bäuerinnen in Deutschland auf den Straßen. Erst am Montag endete eine Aktionswoche. Auch für die kommenden Wochen sind weitere Proteste geplant, sollte die Bundesregierung ihre Pläne beim Agrardiesel nicht zurücknehmen.

Auf diese Forderung hat sich der Präsident des Deutschen Bauernverbandes am Donnerstag in Berlin bei der Pressekonferenz der Agrarjournalist*innen erneut festgelegt. »Es brodelt gewaltig in der Branche«, sagte Joachim Rukwied. Nur eine Rücknahme der Beschlüsse beim Agrardiesel »wird die Leute von der Straße zurückholen«.

Zur Erinnerung: Im Dezember hatte die Bundesregierung im Zuge der Haushaltsentscheidungen kurzfristig beschlossen, Steuerbegünstigungen beim Agrardiesel und bei der KfZ-Steuer für landwirtschaftliche Geräte aufzuheben. Die Befreiung von der Fahrzeugsteuer ist nach den ersten Protesten vom Tisch, beim Agrardiesel liegt ein Kompromiss vor. Die Vergünstigungen sollen nun schrittweise abgeschafft werden.

»Kein Tod auf Raten«, sagt der DBV-Präsident dazu. Alle anderen Themen könnten später verhandelt werden. »Der Agrardiesel muss vom Tisch, dann reden wir über die Gesamtstrategie«, so Rukwied. Im »Morgenmagazin« gestand auch Özdemir am Donnerstag ein, die Politik habe mit der Entscheidung einen großen Fehler gemacht. »Wir haben gegen das Prinzip der Planungssicherheit verstoßen.«

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Welche anderen Themen in der Landwirtschaft angegangen werden müssen, das hat am Donnerstag auch die Bundestagsdebatte um den bereits im November vorgestellten Agrarpolitischen Bericht 2023 der Bundesregierung gezeigt. CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz hatte die Aussprache zu einer Generalabrechnung mit der Ampel-Koalition genutzt. Er warf der Regierung unter anderem vor, dass sie »so gut wie jeden Protest und fast jede Demonstration gegen die Politik der Regierung regelmäßig unter den Verdacht der Demokratiefeindlichkeit« stelle.

Inhaltlich ging es in der Debatte um Bürokratieabbau, Strategien für die Nutztierhaltung und die Entwicklung alternativer Antriebe für landwirtschaftliche Geräte. Hier will die Bundesregierung bis zum Sommer konkrete Gesetzesvorlagen präsentieren. Bei der Zukunft der heimischen Landwirtschaft gehe es nicht nur um finanzielle Belastungen, heißt es in einem Antrag der Koalitionsparteien. Wichtig seien auch Planungssicherheit und wirtschaftliche Perspektiven für landwirtschaftliche Betriebe. Ansonsten verweist der Antrag auf Empfehlungen der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft.

Damit ist auch die Tierwohlabgabe wieder in der Debatte. Empfohlen worden war sie von der in der Vorgängerregierung eingesetzten sogenannten Borchert-Kommission. Doch die Umsetzung lässt auf sich warten. Özdemir hat angekündigt, mithilfe von einer Milliarde Euro die Schweinehaltung zu unterstützen. Erst allmählich sollen andere Bereiche der Tierhaltung folgen.

Der Antrag der Ampel-Parteien stößt bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) auf Kritik. Wieder würden mehr Fragen formuliert als Antworten geliefert. »Zentrale agrarpolitische Instrumente wie beispielsweise die nationale Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU werden überhaupt nicht angesprochen. Dieses Vorgehen ist nicht nur ein Wortbruch, sondern auch vollkommen ungeeignet, um die aktuellen Proteste zu befrieden und den agrarpolitischen Stillstand zu beenden«, sagt AbL-Bundesvorsitzender Martin Schulz. »Die Bäuerinnen und Bauern erwarten Taten und nicht die erneute Bearbeitung von Grundsatzfragen, die in der Borchert- und Zukunftskommission bereits beantwortet und geeint wurden.« Auch die AbL hat die Bundesregierung aufgefordert, die weiterhin geplante Kürzung der Dieselrückvergütung zu streichen oder diese mindestens nach sozialen und agrarstrukturellen Kriterien zu staffeln.

Bei dem ebenfalls am Donnerstag vorgestellten Kritischen Agrarbericht 2024 bemängelten die beteiligten Verbände die fehlende Bereitschaft zur Veränderung. Sie forderten faire und kostendeckende Preise für Bäuerinnen und Bauern. Auch müsse der Umbau der Tierhaltung angemessen finanziert werden, etwa durch die Einführung einer Tierwohlabgabe. Mit Fördermitteln aus Brüssel müssten überdies Umweltleistungen der Bäuerinnen und Bauern einkommenswirksam entlohnt werden. »Die europäische Agrarpolitik muss insgesamt gerechter gestaltet werden«, sagte AbL-Geschäftsführerin Xenia Brand dazu. Außerdem forderte sie eine höhere Grunderwerbssteuer für jene, die bereits sehr viel Land besitzen. Und die Bundesregierung solle sich für eine strikte Regulierung der Gentechnik einsetzen, um die gentechnikfreien Agrarmärkte zu schützen.

Viele Gründe also, warum der Eröffnungsspaziergang von Landwirtschaftsminister Özdemir am Freitag das Potenzial hat, ungemütlich zu werden.

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