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Rondenbarg-Prozess beginnt in Hamburg
Laut Richterin keine hohen Strafen mehr zu erwarten
Mit dem G20-Gipfel bündelten sich im Juli 2017 viele globale Probleme an einem Ort, für einen jungen Gewerkschafter aus Bonn ein guter Grund für ein Wochenende nach Hamburg zu fahren. »Mich hat der Protest gegen viele verschiedene Themen wie Klimaschutz, Ungerechtigkeit und Kriegstreiberei angezogen«, sagt der Wirtschaftsstudent Nils J. Am Donnerstagmorgen stand der bärtige, schlanke Mann schließlich in schwarzen Sneakern mit weißer Mütze vor dem Hamburger Strafjustizgebäude und wartete auf seinen Prozess. Der mittlerweile 28-Jährige lebt inzwischen in Berlin. So richtig glauben kann er immer noch nicht, was ihm vorgeworfen wird.
Gegen J. und einen weiteren Mann sowie drei Frauen läuft seit Donnerstag vor der großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts ein Prozess im »Rondenbarg-Komplex«, der zunächst auf 25 Tage angesetzt ist. Das Verfahren gegen eine weitere Angeklagte, die nicht zur Verhandlung erschien, wurde abgetrennt. Die Anklage gegen die Sechs lautet auf gemeinschaftlichen schweren Landfriedensbruch, tätlichen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte, versuchte gefährliche Körperverletzung und die Bildung einer bewaffneten Gruppe.
Es ist das dritte Rondenberg-Verfahren mit insgesamt 85 Angeklagten, die ersten beiden wurden jedoch nicht zu Ende geführt. Eines davon lief gegen den damals 18-jährigen Fabio V., der deshalb fünf Monate in Untersuchungshaft saß. Erst im Sommer 2023 wurde das Verfahren gegen den Italiener, der mittlerweile in Deutschland lebt, eingestellt. Am Donnerstag saß er zur Unterstützung der Angeklagten im Zuschauerraum.
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Der »Rondenbarg-Komplex« betrifft einen mehrstündigen Vorfall in einem gleichnamigen Gewerbegebiet in Hamburg. Am frühen Morgen des 7. Juli 2017 waren etwa 200 Teilnehmende aus einem Protestcamp im Westen Hamburgs zu einer Demonstration gegen den G20-Gipfel in die Innenstadt aufgebrochen. Im Rondenbarg wurden sie von Polizisten, die von hinten Wasserwerfer einsetzten, angehalten.
Auf einem Polizeivideo vor Gericht war zu sehen, wie die Demonstrierenden Pyros werfen, die allerdings noch 50 Meter von der Polizei entfernt sind, auch das Knallen von Böllern ist zu hören. Ein gezielter »massiver Bewurf mit Steinen und Böllern«, wie von einer Bundespolizeieinheit behauptet, ist darauf nicht zu erkennen. Zu sehen ist aber, wie die Demonstrierenden nach links und rechts weglaufen oder in der Mitte von den Polizisten, die teilweise Knüppel einsetzen, zu Boden geworfen werden. Nicht zu sehen ist, dass die nach links Weglaufenden über ein Eisengeländer mehrere Meter nach unten auf einen Gewerbehof springen. Als das Geländer damals einstürzte, wurden 14 Demonstranten verletzt, manche von ihnen schwer.
Die Staatsanwaltschaft stützt ihre auf schweren Landfriedensbruch basierende Anklage auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom Mai 2017 gegen Fußball-Hooligans, die sich nach einem Spiel zu einer gemeinschaftlichen Prügelei verabredet hatten. Den Richtern genügte damals für eine Verurteilung das »ostentative Mitmarschieren« auf dem Weg zur Begehung von Gewalttätigkeiten – auch wenn den einzelnen Beschuldigten keine Straftaten zugeordnet werden konnten.
Der Fall unterscheide sich aber grundsätzlich von Fällen des »Demonstrationsstrafrechts«, bei denen aus einer Menschenmenge heraus Gewalttaten begangen werden, jedoch nicht alle Personen Gewalt anwenden oder dies unterstützen wollen, hatte der BGH damals klargestellt. Die politische Demonstration gegen den G20-Gipfel in einen Hooligan-Aufmarsch umzudeuten, dürfte mit dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vereinbar sein und ist unter Juristen äußerst umstritten. So argumentiert auch die Verteidigung der G20-Angeklagten.
Die Staatsanwaltschaft bemüht – wohl aus diesem Grund – in ihrer Anklageschrift martialische Vokabeln; sie spricht von einem »Aufmarsch«, der angeblich in »geschlossener Formation marschierte«. Eine durch das Grundgesetz geschützte Demonstration liege nicht vor. Vielmehr hätten die Angeklagten einen »Unterstützungsrahmen« gebildet, aus dem heraus Straftaten begangen worden seien.
Die Vorsitzende Richterin machte gleich zu Beginn deutlich, dass aus Sicht der Kammer keine hohen Strafen mehr im Raum stehen. Zu lange habe das Verfahren gedauert, der Prozess stelle nach sechseinhalb Jahren eine große Belastung für die Angeklagten dar, die teilweise zwei Mal in der Woche aus Dortmund, Stuttgart, Bonn und Villingen-Schwenningen anreisen müssen. »Es kann sein, dass am Ende gar nichts übrig bleibt«, sagte sie. Dann gehe es in diesem Mammutverfahren nur noch um einen Schuldspruch.
Darauf wollen es die Angeklagten nicht ankommen lassen. Sie fordern, das Verfahren sofort einzustellen. »Es steht nicht weniger vor Gericht als das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit«, sagte Rechtsanwalt Sven Richwin, der Nils J. vertritt, zu »nd«. Der Staatsanwaltschaft gehe es darum, im Nachhinein den Polizeistaatsaufmarsch bei G20 zu rechtfertigen. Andere Prozessvertreter der Angeklagten haben vorgetragen, die Hamburger Anklagebehörde versuche, die Rechtslage der 60er Jahre wieder herzustellen. In dieser Zeit konnten alle Teilnehmer einer Demonstration, wenn es dort zu Gewalttaten kam, bei bloßer Anwesenheit wegen Landfriedensbruchs verurteilt werden.
Von ihren Grundrechten, das gaben sie in einer gemeinsamen Erklärung im Gerichtssaal bekannt, wollen die Angeklagten weiterhin Gebrauch machen. Der Protest gegen die Politik der G20 sei immer noch dringlich. Die Demonstration am Rondenbarg sei Teil »eines breiten Protestes« gewesen. »Und das war auch gut so«, sagten die Fünf am Ende der Verhandlung in einer Erklärung.
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