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Kulturhauptstadt hinterm Polarkreis: Bodø lädt den Kontinent ein
Die norwegische Kulturhauptstadt liegt rekordweit nördlich
Als sich Bodø um den Titel der europäischen Kulturhauptstadt bewarb, war man sogar im eigenen Land skeptisch. So mancher Politiker im fernen Oslo stellte die Frage, was die kleine Stadt am Ende der Welt denn überhaupt mit Europa zu tun habe. Sogar die norwegische Kulturministerin fand den Antrag verfrüht und riet Bodø, doch noch einige Jahre mit der Bewerbung zu warten. Weil die Ministerin auch auf dem Geldsäckel saß, mussten die Leute im Norden in der Folge ihren Traum ohne Unterstützung der Regierung umsetzen. Komisch eigentlich, dass man in Oslo so skeptisch war, denn bereits 2016 hatte das »Ministerium für lokale und regionale Entwicklung und Stadtentwicklung« Bodø zur attraktivsten Stadt im Land gekürt.
In seinem Bewerbungsschreiben hatte Bodø betont, dass man sich »als echte europäische Region zeigen will und nicht als eine, die irgendwo am Rand liegt«. Und damit hat man ja auch recht. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass schon im 17. Jahrhundert Handelsbeziehungen nach Italien bestanden, wohin man vor allem Stockfisch verkaufte. Auch die Portugiesen bereiteten ihren »Bacalao« damals ebenfalls mit norwegischem Dorsch zu.
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Gut, dass sich die Kommission in Brüssel der Argumentation aus Nordnorwegen anschloss und 2019 Bodø den Vorzug vor den beiden Mitbewerbern Banja Luka und Mostar aus Bosnien-Herzegowina gab. So wird Bodø 2024, als dritte norwegische Stadt nach Bergen im Jahr 2000 und Stavanger 2008, Gastgeberin als europäische Kulturhauptstadt sein.
Natur und Kultur
Heute zählt Bodø knapp 43 000 Einwohner. Bei Touristen ist die Stadt vor allem als Sprungbrett auf die nahe gelegene Inselgruppe der Lofoten bekannt und als Startpunkt für Bootsausflüge zum Saltstraumen, einem der stärksten Gezeitenströme der Welt. Durch den zweieinhalb Kilometer langen und etwa 150 Meter breiten Sund pressen sich bei jedem Gezeitenwechsel fast 400 Millionen Kubikmeter Wasser. Am spektakulärsten ist das Naturschauspiel bei Voll- und Neumond. Dann beträgt der Unterschied zwischen Ebbe und Flut über drei Meter. Das aufgewühlte Wasser enthält viele Nährstoffe. Das mögen die Fische, und entsprechend gehört der Mahlstrom zu den besten Angelrevieren Europas.
Im Umland von Bodø liegen auch der Sjunkhatten- und der Saltfjellet-Svartisen-Nationalpark. Natururlaub, von Wandern im Sommer bis zu Hundeschlittentouren im Winter, steht hier oben hoch im Kurs. Vogelfreunde kommen unter anderem hierher, um Seeadler zu beobachten. An kaum einem anderen Ort der Welt leben so viele Exemplare dieser Vogelart. Kein Wunder, dass man dem majestätischen Greifvogel in Bodø sogar ein Denkmal gesetzt hat: In der Fußgängerzone steht seit 1996 die Skulptur »Die Seeadlerfamilie« des einheimischen Künstlers Skule Waksvik.
Schon vor der Ernennung zur europäischen Kulturhauptstadt war Bodø ein Kulturzentrum – allerdings doch eher regionaler Art. Das Konzerthaus und die Bibliothek im Kulturdistrikt Stormen wurden jedoch vielfach international ausgezeichnet. Bereits zwei Jahre nach ihrer Eröffnung im Jahre 2016 hat das renommierte amerikanische Magazin »Wired« die Bibliothek von Bodø unter die zehn schönsten der Welt gewählt. Und die herausragende Akustik im Konzerthaus lockt immer wieder Weltstars in den Norden.
Während der zehn Tage der »Nordland Musikkvestuke« im August sind die Großen der nordischen Klassik hier zu Gast. Trotz der berühmten Konzerthalle liegt dann die schönste Konzert-Location draußen in der Natur, auf dem 366 Meter hohen Plateau des Hausberges Keiservarden. Man erreicht es über eine knapp eineinhalbstündige, auch ohne Konzert empfehlenswerte Wanderung. Seit 2016 geht es bequem über Stufen nach oben. Der Name Keiservarden erinnert im Übrigen an den Besuch von Kaiser Wilhelm II., der am 19. Juli 1891 höchstselbst den Berg bestiegen hat.
Die Königin kommt zur Eröffnung
All das wird natürlich verblassen neben dem riesigen Kulturangebot, das 2024 geboten wird. Über 1000 Veranstaltungen werden dann in Bodø und der Region Nordland stattfinden – kaum verwunderlich wird es damit das größte Kulturereignis sein, das je in Nordnorwegen stattgefunden hat.
Los geht das Kulturhauptstadtjahr am 3. Februar. Mit einem großen Spektakel rund um den Inneren Hafen, zu dem nicht nur 20 000 Zuschauer, sondern auch Königin Sonja erwartet werden. Weil es durchaus mutig ist, mitten im Winter eine Outdoorveranstaltung in Nordnorwegen abzuhalten, versprechen die Organisatoren eine kurze, aber spektakuläre Veranstaltung, die auch live im nationalen Fernsehen NRK übertragen wird. Wer will, kann also auch vom warmen Sofa aus dabei sein.
Die offizielle Eröffnungsveranstaltung mit allen geladenen Gästen findet dann anschließend im Warmen, drinnen in der Konzerthalle Stormen, statt. Fürs Freiluftspektakel zeichnet das Nordland Theater gemeinsam mit der Berliner Gruppe »phase7« verantwortlich. Die Künstler aus der deutschen Hauptstadt sind erfahren, was Eröffnungsfeiern für Kulturhauptstädte angeht. 2019 haben sie im bulgarischen Plovdiv ein riesiges Lichtspektakel inszeniert, 2014 waren sie für die Auftaktveranstaltung bei den schwedischen Nachbarn in Umeå verantwortlich. In Norwegen kennt man sie aus dem Jahre 2008, als sie in Stavanger mitgearbeitet haben.
Egal wo, die Berliner haben immer Spektakuläres geboten. Die Erwartungen sind entsprechend hoch. Das aktuelle Programm ist noch weitgehend geheim. Was man weiß, ist, dass sich die Eröffnungsveranstaltung hauptsächlich dem Thema »Fisch« beziehungsweise »Fischfang« widmen wird. Denn erst der Reichtum aus dem Meer hat das Leben im Norden möglich gemacht.
Kultur der Sámi
Einer der Schwerpunkte des Kulturhauptstadtjahres wird die Kultur der Sámi sein. Umgerechnet etwa zehn Millionen Euro stehen allein für diesen Teil des Programms zur Verfügung. Das Stadtmuseum wird für ein Jahr zum Pop-up-Sámi-Museum umfunktioniert, eine Theater-Trilogie befasst sich mit dem besonderen Verhältnis der Ureinwohner zur Natur.
Ein wichtiger Punkt bei der Vergabe des Kulturhauptstadttitels an Bodø war, dass die Stadt die Förderung der samischen Sprache als eines der Hauptziele definierte. Im Laufe des Jahres kann man sich deswegen in kostenlose Sprachkurse einbuchen. Wer sich dem Leben der Sámi lieber über die Musik annähert, nimmt an Joikkursen teil. Der typische Sprachgesang handelt meist vom Leben in der wilden, nordischen Landschaft. Das Programm wird aber nicht für die Sámi, sondern von ihnen erstellt. Es entstand in Zusammenarbeit mit dem Sámediggi, dem Parlament der Ureinwohner in Norwegen.
Ein weiteres Highlight wird das riesige Mittsommerfest sein, bei dem über Nordland verstreut über 1000 Mittsommerfeuer brennen werden. Das größte davon in Bodø selbst. Ein Konzert in einer Höhle, eine Oper, die den Stockfisch zum Thema hat und eine zehn Meter hohe Skulptur draußen im Meer sind weitere Programmhöhepunkte. Literaturfreunde können sich anlässlich einer Ausstellung auf der Insel Kjerringøy mit dem kontroversen Leben von Knut Hamsun befassen. Der umstrittene Literaturnobelpreisträger von 1920 hat dort einige Jahre gelebt und dem idyllischen Handelsposten in mehreren seiner Romane ein Denkmal gesetzt.
Ein sympathischer Mensch war Knut Hamsun nicht. Jähzornig, rechthaberisch und stur lebte er in seiner eigenen Welt, in der nicht viel Platz für andere war. Trotzdem war er einer der größten Schriftsteller Norwegens, ein Jahrhunderttalent. Seine Bücher entfalteten eine Wucht und Kraft, die nur wenige Werke erreichen. Hamsun war nicht nur Griesgram und Genie, sondern wegen seiner politischen Äußerungen eine der umstrittensten Persönlichkeiten des Landes. Er war glühender Anhänger der deutschen Nazipartei und schrieb nach dessen Selbstmord sogar noch einen peinlich pathetischen Nachruf auf Adolf Hitler. Die Ausstellung verspricht also spannende Blicke auf eine kontroverse Gestalt.
Lichter im Herbst
Wenn der Sommer vorbei ist und die dunkle Jahreszeit anrückt, wird im November 2024 ein Lichterfestival einen Kontrapunkt setzen. Beginnen wird es allerdings damit, dass zunächst alle Lichter in Bodø und ganz Nordland gelöscht werden und dem Nachthimmel die alleinige Ausleuchtung der Landschaft überlassen wird. Danach bringen dann unterschiedlichste Lichtinstallationen an vielen Orten des Nordens Licht ins Dunkel. Wenn schließlich am Ende des Kulturhauptstadtjahres das letzte Licht gelöscht wird, sollen, so die Hoffnung der Veranstalter, eine halbe Million Besucher in den norwegischen Norden gekommen sein.
- Infos: visitbodo.com/en
- Veranstaltungskalender:
www.bodo2024.no - Musikfestival: musikkfestuka.no/en
- Parkfest: www.parkenfestivalen.no
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