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Gelobtes Land aus Wüste
Dem Schriftsteller Lothar Trolle zum 80. Geburtstag
Er galt immer als Geheimtipp. Dass einer so bezeichnet wird, heißt: Die Obrigkeit sorgt gründlich dafür, dass es der Betroffene weit länger bleibt, als ihm lieb ist. Lothar Trolle, ein Paradebeispiel. Fährt Lineardenkern in die Parade, nimmt aber die sozialen Folgen seiner Kompromisslosigkeit seit jeher mit einem Hochmaß äußerer Gelassenheit hin. Heiner Müller hat es in den Satz gefasst: »Im übrigen gleicht er nur sich selber, Staats- und Sonnenuntergänge kratzen nicht an seiner Identität.« Wahres Glück hat er mit dem Theater nicht gehabt. Aber seine Sperrigkeit hat er deshalb nicht opfern können, nie.
»Nach der Sintflut« heißen seine gesammelten Texte. Eine kompakte Welt der bösen Kaspereien, der schreckensvollen Parabeln, der dunklen Berichte vom wahren Fortschritt, also: der heiter zynischen Weissagungen vom guten Fortgang des Stillstandes. Gibt es Hoffnung nach der Sintflut? Unbedingt! Und zwar in der gegenwärtigen Wüste – dort nämlich lagert genügend Sand fürs Getriebe. Unser wahrer Reichtum. In solcher Persiflage des Utopischen, darin sich lediglich das Katastrophische variiert und steigert, erfüllt sich der Witz des gleichmütigen Trolle. Der ähnlich vielleicht wie B. K. Tragelehn wie ein letzter Versprengter durch eine Szene geistert, die ausdünnt. Deren Dämonen hießen Müller und Brasch und Schleef (in dessen Parallelklasse ging Trolle in Sangerhausen).
Man merkt den dramatischen Texten wie den Erzählungen jenen heftigen, stoßharten Atem eines Widerspruchs an, der viel vom Unten weiß, von den Sphären der schlechtbezahlten Überlebensarbeit in den großen Städten östlicher Aufbrüche und Zusammenbrüche, und dies mitten in den vermeintlichen Aufbrüchen. Trolle ist ein proletarischer Dichter, aufreizend unsentimental verknüpft er Bilder der Ödnis mit mythischen Überlieferungen, die Wolken des Olympischen sind kaum zu unterscheiden vom Zementstaub unvollendeter Baustellen.
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Nicht zufällig, dass »Hermes in der Stadt«, von Frank Castorf just am Deutschen Theater Berlin inszeniert, 1992 zur aufregendsten Trolle-Aufführung wurde. Stenogramme über alltägliche furchtbare Kriminalfälle werden zu Flanierübungen eines grausamen Gottes, der mordend, vergewaltigend durch die Stadt zieht, immer klassische Verse im Hirn. Solche Entsetzenspole liebt Trolle: Poesie und Killerinstinkt. Deutungsmaterial, das aus allen Zeiten Spuren sammelt und in Rätseln Energie tankt. Diese Literatur ist knapp, geradezu sportiv in ihrer Aufnahme banaler Wirklichkeit – und stets wird Dichtung ferngehalten von allen Zwängen einer Botschaft aus Klassenkrampf und anderen Phrasen. Arbeit gegen theoriebeflissene Tugendwächterei im Namen der Weltverbesserung, bei der »die Korridore des Sagbaren so schmal und die Räume des Denkbaren so niedrig sind« (Dramaturg Bernd Stegemann).
Zu erleben jüngst am Theater unterm Dach, wo »Torsten« seine Berlin-Premiere erlebte, eine Produktion des Theaters AGGREGATE, Regie: Silvio Beck. Geschichte eines ostdeutschen Hochstaplers. Die DDR: ein Kinderheim. Flucht und Fremdenlegion. Drogen und dreiste Rollenspiele. Immer höher, immer higher. Aufstieg ist Absturz. Am Ende ist T. ein Manager, der in der Mülltonne endet.
Eine Inszenierung: kalt und keck und krude. Astrid Kohlhoff, Stefan Ebeling, David Jeker: plautzende Strahlung, un-verschämte Clownerie, arobatischer Rausch. Flatterndes, fauchiges, fröhliches Spiel mit Identitäten: der Mensch ganz in seinem Wesen, wenn er sich nicht festlegen muss oder darf – die schiefe Bahn ist auch ein Weg nach oben. Oder überhaupt ein Weg, wenn man nur zur Welt kommt, um darin zu kurz zu kommen. Eine Welt, in der es wenig Trost gibt, aber viel trotziges Bedürfnis danach.
Der Schriftsteller als Fallensteller. Die Kälte kriecht dich an. Was machst du mit ihr, was machst du mit dir selber? Solcher Dramatik ist der Held verloren gegangen, das probat komponierte Pro und Kontra funktioniert nicht mehr; das Individuelle, das nur eine schöne Lüge ist, löst sich auf in Monologen, in protokollarischen Schilderungen oft unglaublicher Vorgänge, deren Bedrohlichkeiten aber nicht hineinführen in unsere Welt, sondern ihr entspringen. Da sind in »Weltuntergang Berlin« die Tiere des Zoos, die in der Fantasie eines Kindes tötend durchs Neubauviertel ziehen. Da sind »34 Sätze über eine Frau«, eine Putzfrau in einem DDR-Arbeiterwohnheim – die Nachricht, dass sie eine Prämie erhielt, wird bei Trolle zu einem traurigen Bericht über Wert und Würde einer Plackerei, die sich Leben nennen soll.
Trolle, 1944 geboren, kam mit seinen Eltern aus dem Westen in die DDR. In der zweiten Klasse stellte ein Mitschüler fest, Lothar sei wohl ein ziemlicher Idiot, denn nur Idioten kämen auf die Idee, in den Osten zu kommen. So fing das an, und es hörte nicht auf: Trolle blieb sein DDR-Leben lang ein Halblegaler, ein schief Beäugter, ein Draußengelassener, ein bunter Hund, ein merkwürdiges Subjekt. Ein fettes Spitzel-Fressen.
Er studierte Marxismus-Leninismus. Ein Irrtum: Er hatte gedacht, dies sei Philosophie. Das Thema fürs Staatsexamen: die Leistungen der SED bei der Gestaltung der Kulturpolitik seit dem 11. Plenum. »Da bin ich nie wieder hingegangen, und die haben sich nie wieder gemeldet.« Geburtsstunde eines freien Autors. Dem im Schriftstellerverband nach einer Lesung von einem Funktionär bescheinigt wurde: »Ich bin unendlich traurig. Dem Trolle, dem ist nicht mal mit dem Sozialismus zu helfen.« Die russischen Poeten Daniil Charms und Andrej Platonow darf man getrost Seelenverwandte dieses verqueren Poeten nennen, den das bewegt, was den Menschen zwischen rollenden Geschichtsrädern wahnsinnig macht. Mit der freien Gruppe »Medea« führte er in der Berliner Zionskirche Müllers »Hamletmaschine« erstmalig auf. Bis die Pression ihn mürbe gemacht hatte. 1988 ging er in den Westen, inszenierte in München, dort war es der schauspielende Kraftkerl Josef Bierbichler, der eine Absetzung der Trolle-Arbeit schon vor der Premiere verhinderte. 1993 bis 1995 ist er am Kleist-Theater in Frankfurt an der Oder engagiert, eine kurze Spanne Heimat.
Vor Jahren am Berliner Ensemble uraufgeführt: »Die Baugrube« nach Andrej Platonow (Regie: Armin Petras). Darin heißt es, dem Proletariat stehe nicht die Wahrheit zu, sondern die Bewegung. Fazit nach einem Jahrhundert, in dem Kommunisten zunächst nichts zu verlieren und am Ende nichts mehr zu verlangen hatten. Es obwaltet ein böser, eulenspiegelnder Witz, er durchlöchert Ideologisches, und sichtbar werden die alte Leere und die übliche Gewalt.
Trolle lächelt. Trolle schreibt. Lebt in Gegenwelten, wo des Dichters innere Witterung Kurs hält – und den Witterungen draußen standhält. Heute wird Lothar Trolle 80 Jahre alt.
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