Mimimi von rechts

Konservative beklagen ihre Marginalisierung bei Protesten gegen die faschistische Gefahr

Sebastian Hotz hat ein Händchen für treffende Kurzbotschaften. Auf Twitter, heute X, wurde der 28-Jährige unter dem Pseudonym »El Hotzo« mit witzigen Posts über das Wetter, aber auch politischen Kommentaren berühmt. Am Freitag prognostizierte der Buchautor mit Blick auf die Großdemos gegen die faschistische Gefahr: »Ich gebe der deutschen Öffentlichkeit noch circa 5-7 Tage, bis es wieder um die Gefahren des Linksextremismus geht.«

Es ging dann schneller. Schon am Wochenende empörten sich zahlreiche Konservative über »linke« Dominanz bei den Protesten. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hatte schon zuvor gewarnt, die Kundgebungen seien »vielfach von Linksextremisten unterwandert«. Und am Sonntagabend prangte bei »Bild« online die Schlagzeile: »Münchner Demo-Organisatorin ist selbst extrem«.

Gemeint ist Lisa Poettinger, Umwelt- und Klimaaktivistin, die die Großkundgebung unter dem Motto »Gemeinsam gegen rechts« in Bayerns Landeshauptstadt am Sonntag angemeldet hatte. Poettingers Verantwortlichkeit werfe »einen dunklen Schatten« auf die »historische Veranstaltung«, meinte das Springer-Blatt. Denn sie sei »selbst eine System-Gegnerin«.

Die Wucht der Massenproteste

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) widersprach seinem Stellvertreter Aiwanger allerdings. Die Großdemos seien ein »sehr gutes Signal«, sagte er am Montag im ZDF-»Morgenmagazin«. Die »ganz große Mehrheit« der Teilnehmenden seien »Bürgerliche« und Vertreter »der normalen Mitte der Gesellschaft« gewesen. Die Kundgebungen seien zugleich ein »Weckruf für die Ampel, viele Dinge zu ändern«.

Konservative empörten sich derweil, dass viele Demonstranten auch gegen die Politik der Ampel und der Unionsparteien protestierten. Ersterer werfen Protestierende vor, durch verschärfte Abschieberegeln, Leistungskürzungen bei Asylbewerbern und Bürgergeldbeziehern sowie Verteuerung von Energie die AfD weiter zu stärken, indem sie deren Forderungen umsetze.

Bundesweit waren nach Polizeischätzungen allein am Wochenende knapp eine Million Menschen gegen die von Neonazis und ihren Unterstützern in Politik und Behörden ausgehende Gefahr auf der Straße. Die ARD ging von 1,4 Millionen Teilnehmern aus. Die größten Kundgebungen fanden am Sonntag in Berlin mit 350 000 Teilnehmenden und in München mit laut den Veranstaltern bis zu 250 000 sowie am Samstag in Hamburg mit 250 000, in Frankfurt am Main mit 35 000 und Dortmund mit 30 000 Demonstrierenden statt. Die Demos in München und Hamburg wurden wegen des großen Andrangs von der Polizei vorzeitig aufgelöst. Für Montagabend waren weitere Kundgebungen gegen rechts angemeldet, so in Bayreuth, Freiberg (Sachsen) und Paderborn (Nordrhein-Westfalen).

Auslöser für die seit zehn Tagen anhaltenden Kundgebungen im ganzen Land waren die vom Recherchenetzwerk Correctiv am 11. Januar enthüllten Gesprächsinhalte eines »Geheimtreffens« von AfD- und CDU-Politikern mit bekannten Neofaschisten im November, auf dem Strategien zur Zwangsaussiedlung von Millionen Menschen diskutiert wurden. Dies mobilisierte Menschen wie keine Enthüllung über militante Neonazi-Netzwerke mit Zugang zu Waffen und Munition zuvor es vermocht hatte.

Kritik an Demo-Titeln wie »Gemeinsam gegen rechts« äußerten Unionspolitikerinnen und -politiker, unter ihnen die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Sie monierte auf X, dass Demonstrationen sich »gegen rechts« richten. »Wenn Links im demokratischen Spektrum in Ordnung ist, dann ist es Rechts auch«, schreibt die CDU-Bundesschatzmeisterin. Würden die Unionsparteien von den Veranstaltenden als »rechts« angesehen, verharmlosten diese die AfD. Es solle lieber »für Demokratie und gegen Extremismus« demonstriert werden, fordert Klöckner.

CDU-Chef Merz begrüßte die Proteste ausdrücklich. »Ich halte das für ein sehr, sehr ermutigendes Zeichen unserer lebendigen Demokratie«, sagte er am Sonntagabend in der ARD. Allerdings sei es damit nicht getan. Nötig sei mehr Engagement in den demokratischen Parteien. Merz betonte, die CDU unterscheide sich »fundamental« von der AfD, weil sie gegen eine Abschottung Deutschlands und einen Austritt aus EU und Nato sei. Dass auf kommunaler Ebene Unionspolitiker mit AfD-Kollegen zusammenarbeiten, verteidigte der CDU-Vorsitzende. Man müsse auch nach solchen Wahlergebnissen weitermachen und könne sich nicht nur danach richten, was die AfD mache.

Auf den Demos wurde ein Verbot der AfD oder zumindest ihrer Nachwuchsorganisation Junge Alternative gefordert. Letzteres verlangte auch der Ko-Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour. Auch der Appell, AfD-Größen wie Björn Höcke die Bürgerrechte zu entziehen, wurde erneuert.

Dass Entscheidungen der Koalition von SPD, Grünen und FDP den Rechten in die Hände spielen, glauben indes nicht nur linke Politiker und Wirtschaftswissenschaftler der Bundesrepublik. So gibt der US-Ökonom Adam Posen den von der Ampel-Koalition beschlossenen Haushaltskürzungen eine Mitschuld am weiteren Erstarken der AfD. »Wir wissen aus der Geschichte, dass Austerität radikale Parteien nährt«, sagte der Präsident des Peterson Institute for International Economics dem »Spiegel« während des Weltwirtschaftsforums in Davos. Deshalb finde er die Kürzungen der Ampel etwa bei öffentlichen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und erneuerbare Energien »besonders verstörend«.

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