Michael Arenz: »Gute Literatur ist immer traurig«

Gedichte schreiben, um zu erfahren, was man denkt – ein Gespräch mit Michael Arenz

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 7 Min.
Ein Bild des Fotografen Hansgert Lambers für die Titelseite des neuesten gemeinsamen Buchs mit dem Dichter Michael Arenz. Es heißt »An den Theken des Abendlandes«.
Ein Bild des Fotografen Hansgert Lambers für die Titelseite des neuesten gemeinsamen Buchs mit dem Dichter Michael Arenz. Es heißt »An den Theken des Abendlandes«.

Kürzlich erschien unter dem Titel »An den Theken des Abendlandes«, das Ergebnis der fünften Kooperation zwischen dem Schriftsteller Michael Arenz und dem Fotografen Hansgert Lambers in dessen Ex-pose-Verlag. Arenz lebt in Bochum und Lambers in Berlin-Pankow. Wieder einmal wurden nun Poemen und Prosa von Michael Arenz in einer Art stillem Dialog Fotografien von Lambers gegenübergestellt. Es ist die fünfte Kooperation der beiden, nach »Nachts, wenn der Tag dich erzählt« (2011), »Der aufrichtige Kapitalismus des Metallgorillas« (2015, mit einem Vorwort von Hermann Peter Piwitt), »Späte Erinnerung an eine frühe Ahnung« (2018, Vorwort von Gerhard Köpf) und »Das schwarze Hotel« (2020).

Das Ergebnis liest sich wie ein Kommentar zur desaströsen und deprimierenden Weltlage, ohne dass aktuelle Konflikte angesprochen werden. Trotz der düsteren Tonalität, ruft die Lektüre ab und an bei den Lesenden ein sardonisches Lachen hervor – im Sinne eines Nichtsdestotrotz. Ich führte mit Michael Arenz im November 2023 ein Interview über seine Texte und die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen ihm und Hansgert Lambers – per Brief, da Arenz nicht online ist.

Wie verläuft der Arbeitsprozess zwischen Ihnen und Herrn Lambers über eine große räumliche Distanz und ohne E-Mail, da Sie bewusst auf Internet-Zugang verzichten?

Nach den Maßgaben bitter notwendiger Entschleunigung in allen Lebensbereichen verläuft unsere Zusammenarbeit nicht als Prozess, sondern als sehr entspanntes »Guck mal, was ich da geschrieben habe« oder vice versa »Guck mal, was ich da fotografiert habe«. Wir haben von Anfang an etwas voneinander begriffen, sowohl hinsichtlich unserer Arbeitsweisen als auch unserer Charaktere. Wir sind einander tolerierende Freigeister, die weder sich noch ihre künstlerischen Ideen einengen lassen möchten. Als glückliche Fügung kommt hinzu, dass es bei unseren Projekten nie um Illustrationen von Texten ging, sondern dass wir stets versucht haben, die poetische Schwingung des anderen zu erspüren, und im glücklichsten Fall erreichen konnten, dass Bild und Text einander durchdringen und aufladen.

Hansgert formulierte das einmal so: 1 + 1 = 3. Es entsteht also etwas Drittes. Ich selbst hatte manchmal das Gefühl, Hansgert sei der Poet und ich der Fotograf. In den letzten Jahren habe ich jedes »frisch« geschriebene Poem per Fax nach Berlin gesandt, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, sodass Hansgert stets über meine aktuelle »Produktion« auf dem Laufenden war. Im Gegenzug erhielt ich manchmal Dutzende von Fotografien per Post, mit denen ich nach Herzenslust Text-Bild-Zusammenführungen ausprobieren konnte.

Interview
12. September 2018 in Bochum, Michael Arenz im Kunstmuseum Bochu...

Michael Arenz, 1954 in West-Berlin geboren, wuchs in Düssel­dorf auf und lebt in Bochum. Nach dem Magister­studium der Germa­nis­tik/Philo­sophie in Düssel­dorf und Brüssel arbeitet er bis heute als freier Autor in Bochum und veröffent­licht litera­rische Texte und Poeme. Seit 1992 verfasst er Beiträge für den Hör­funk des WDR und gab von 1994 bis 2013 insgesamt 24 Aus­gaben der buch­förmigen und legen­dären Zeit­schrift für Litera­tur und Kunst »Der Mongole wartet« heraus.

Ihre Poeme und die wenigen Prosatexte im neuen Band signalisieren eine Stimmung aus melancholischer Rückschau, des »Nicht mehr« oder »Gerade noch so«, sind aber keineswegs sentimental. Sie verzichten auch nicht auf Härte, mitunter einen kalt-nüchternen Blick und Drastik in den Worten. In der vorletzten Ausgabe der von Ihnen edierten, buchförmigen Zeitschrift »Der Mongole wartet« (Nr. 23, 2012) findet sich in einem Text von Hermann Peter Piwitt der schöne Satz: »In manchen Seelen ist immer Winter.« Dieser Satz könnte zu den hier versammelten Texten passen.

Ich lese seit 35 Jahren die »Blätter für deutsche und internationale Politik« und möchte mir nach der Lektüre einer jeden Ausgabe eigentlich die Kugel geben, so ausweg- und trostlos muten einen die Analysen des Geschehens weltweit mit Blick auf die Politik, den Zustand der Gesellschaften, der Umwelt, eigentlich auf alles an – man könnte die Liste endlos fortsetzen. Mit Beginn des Ukraine-Krieges und des Krieges in Israel/Palästina ist eine weitere Eskalationsstufe des Grauens erreicht worden, die eigentlich alle Menschen verzweifeln und manche in tiefe Depressionen verfallen lässt. In vielen Seelen herrscht deshalb nicht nur Winter, sondern eine alles erdrückende Eiszeit. Das Segment »Spaß und dämlicher Frohsinn« wird medial mit Absicht und viel Energie ausgiebig bedient, und ohne Lächelhilfe kann man sich kaum noch auf die Straße trauen, um nicht unangenehm aufzufallen. Als mir damals, als ich die Zeitschrift gemacht habe, im Hörfunk die Frage gestellt wurde, warum ich so häufig düstere Texte auswähle, habe ich geantwortet: »Gute Literatur ist immer traurig!« Dazu stehe ich auch heute noch. Wer, wenn nicht wir Literaten, die in der Regel ein etwas geübteres Sensorium für seelische Turbulenzen haben, kann dieses weitverbreitete Unbehagen, ja Unglück ins Licht rücken, benennen, aussprechen und auf die Tagesordnung setzen?!

Die Brutalität unserer Zeit und ihre beklemmende Auswirkung auf die meisten von uns ist die Quelle allen Unglücks, und wenn wir Skribenten darauf adäquat oder auch sehr deutlich reagieren, kann man nicht uns die Schuld für die Finsternis dieser Welt geben. Ja, wir sind Spaßverderber. Und ins Politische gewendet, fällt mir die schöne Textzeile von Franz-Josef Degenhardt ein, der in einem seiner älteren Lieder einen Ansage-Vorschlag für den Stadionsprecher in der Fußballbundesliga vor vollem Haus gemacht hat: »Schluss mit dem Quatsch! Jetzt wird diskutiert!«

Es klingt vielleicht verwegen, aber: Hat das Schreiben neben der Lust an künstlerischen Texten auch einen therapeutischen Effekt, um sich eine Portion Verzweiflung und Trauer über den Zustand der Welt von der Seele zu schreiben? Lässt sich mit einem gelungenen Text etwas Glück generieren?

Susan Sontag hat einmal gesagt, sie schreibe, um zu erfahren, was sie denkt. Diese Einschätzung gefällt mir, weil sie nüchtern und geradeaus ist ohne pathetischen Beiklang oder eine Überhöhung schriftstellerischer Arbeit. Wenn ich den Eindruck habe, dass ein Text gelungen ist, ich die richtigen Worte gefunden habe, gibt es in der Tat einen Moment der Zufriedenheit, der mit Lust wenig zu tun hat. Allerdings ist dieser Moment wesentlich, um die Kraft zu finden, sich immer wieder ein weißes Blatt Papier vorzulegen und zu versuchen, seine Einfälle in eine stringente Form zu bringen. Ich schreibe stets dicht an der Realität entlang, oft reichen minimale Anstöße, um eine Spur aufzunehmen und eine Situation vollständig zu erfassen und zu beschreiben.

Ich bin der Meinung, dass man sich weder »Verzweiflung noch Trauer über den Zustand der Welt von der Seele schreiben« kann. Was man aber kann, ist, den Ursachen für diese Gemütszustände auf den Grund zu gehen, dem Unglück nicht auszuweichen, sondern es sich genau und kühl anzuschauen und dann zu analysieren. Damit ist dem Unheil viel an Wirkungskraft genommen. Was ich genau benennen kann, verliert an Macht nicht nur über mich, sondern hoffentlich auch über diejenigen, die diese Texte lesen und sich darin wiederfinden können. Glück über einen gelungenen Text zu empfinden, ist mir nicht gegeben. Glück ist ein großes Wort. Dieses Gefühl, diese Erfahrung ist ungemein kostbar und daher, zumindest für mich, auch nur sehr selten erlebbar.

Die Rezeption von Lyrik und nicht reimender Poeme war noch nie einfach. Wie hat das Feuilleton auf Ihre Poeme reagiert? Die »FAZ« hat zum Beispiel mit der »Frankfurter Anthologie« eine lange Tradition, Gedichte zu publizieren.

Die gemeinsamen Bücher von Hansgert und mir haben es, was die öffentliche Beachtung angeht, nicht bis in das Feuilleton der großen bürgerlichen deutschen Tageszeitungen geschafft. Allerdings haben neben dieser Zeitung und der »Jungen Welt« einige Blätter aus der Little-Mag-Szene aufgeschlossen und auch anerkennend darüber berichtet, etwa »Abwärts!«, »floppy myriapoda« und »DreckSack«, in denen ich und zum Teil auch Hansgert seit Jahren regelmäßig publizieren. Ich selbst fühle mich in diesem redaktionellen Umfeld sehr wohl, zumal dabei auch intensive persönliche Kontakte und Freundschaften entstanden sind.

Innerhalb der Literatur bleibt die Lyrik meiner Meinung nach aber auch weiterhin eher ein Orchideensegment, für das sich generell nicht so viele Menschen erwärmen können wie etwa für den Roman, für die Short Story oder für Sachbücher. Um die Aufmerksamkeit auflagenstarker Zeitungen wie etwa die von Ihnen erwähnte »FAZ« auf sich zu ziehen, bedarf es wohl der Fürsprache einflussreicher Kulturvermittler. Für die Eiertänze, die ich aufführen müsste, um bei diesen Wohlwollen zu generieren, fehlen mir sowohl die Zeit als auch jede Ambition. Manche Redakteure glauben wohl auch, dass mir als im Ruhrpott wohnendem Autor beim Gehen noch der Koksstaub zwischen den Zehen hindurchrieselt.

Michael Arenz/Hansgert Lambers: An den Theken des Abendlandes. Mit einem Grußwort v. Hermann Peter Piwitt u. einem Nachwort v. Gerd Adloff. ex pose verlag, 128 S., br., 33 €.

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