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Volksentscheide in Berlin: Direktive Demokratie
SPD-Fraktion will Volksentscheide von oben
Direkte Demokratie auf den Kopf gestellt: Die SPD will sogenannte Volksentscheide von oben einführen. Das beschloss die SPD-Fraktion bei ihrer Klausur in Leipzig am Wochenende. Bislang können Volksentscheide nur von Bürgern initiiert werden, die in zwei Stufen Unterschriften sammeln müssen. Nach Willen der SPD-Fraktion soll künftig auch das Abgeordnetenhaus solche Plebiszite einleiten können.
»Das Parlament sollte in der Lage sein, bei inhaltlichen Änderungen der wesentlichen Regelungen eines Volksgesetzes das entsprechende Änderungsgesetz auch dem Volk zur Entscheidung vorzulegen«, heißt es etwas verklausuliert in einer Resolution, die auf der Klausur beschlosssen wurde. Konkret sollen also Gesetze, die durch einen Volksentscheid beschlosssen wurden, noch mal zur Abstimmung gestellt werden können, wenn das Abgeordnetenhaus sie verändert. Das grundsätzliche Recht des Parlaments, auch durch Volksentscheid beschlossene Gesetze zu ändern oder aufzuheben, soll von dieser Option allerdings unberührt bleiben. »Wir sind davon überzeugt, auf diese Weise der Politikverdrossenheit begegnen zu können, ihr respektvoll gegenüberzutreten sowie mehr Mitsprache zu ermöglichen«, heißt es weiter in dem Beschluss.
Gemünzt ist der Text offenbar auf das Tempelhofer Feld. 2014 hatte das Wahlvolk in einem Volksentscheid ein Gesetz beschlossen, das die Bebauung auf dem ehemaligen Flughafen verhindern soll. Es ist das bislang einzige durch einen Volksentscheid beschlossene Gesetz und damit auch das einzige, das von dem SPD-Beschluss betroffen wäre. Andere Volksentscheide wie der Enteignungsentscheid hatten dagegen appellativen Charakter und waren nicht mit einem konkreten Gesetz verbunden.
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Der schwarz-rote Senat will die Ränder des Tempelhofer Felds trotz des gegenläufigen Volksbeschlusses mit Wohnhäusern bebauen. Schon im Koalitionsvertrag ist ein erneuter Volksentscheid angedeutet, auch die CDU-Fraktion hat sich bereits im November dafür ausgesprochen. Unklar ist aber der Weg dorthin: Bei der SPD geht man davon aus, dass die Verfahrensänderung durch einen einfachen Gesetzesbeschluss erreicht werden kann. Kritiker halten dagegen eine Verfassungsänderung für nötig, für die eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus notwendig wäre. Grüne und Linke, die zusammen auf mehr als ein Drittel der Sitze im Abgeordnetenhaus kommen, haben bereits angekündigt, für ein solches Vorhaben nicht zur Verfügung zu stehen.
Der Verein »Mehr Demokratie« verweist in einer Pressemitteilung auf ein Gerichtsurteil in Bayern, das der dortigen Regierung 2016 ein ähnliches Vorhaben ohne Verfassungsänderung verbot. Den Volksentscheid von oben nennen die Demokratieaktivisten eine »Scheinbeteiligung«. Denn bei einem Regierungsvolksentscheid könne der Senat über den Zeitplan und die Orchestrierung der Abstimmung bestimmen und sie damit für manipulative Zwecke nutzen. Stattdessen schlägt der Verein vor, die Hürden für einen erneuten Volksentscheid bei Änderungen am ursprünglichen Volksgesetz zu senken.
Auch in der Linkspartei überwiegt die Skepsis gegenüber dem SPD-Vorstoß. »Politikverdrossenheit wird eher zunehmen, wenn sich Regierungen zusätzliche Optionen verschaffen, um von den Bürger*innen getroffene Entscheidungen auszuhebeln«, sagte die Fraktionsvorsitzende Anne Helm. »Wenn die SPD etwas gegen Politikverdrossenheit unternehmen will, sollte sie endlich den Volksentscheid zur Vergesellschaftung umsetzen, statt ihn weiter zu verschleppen.«
Zusätzlich zu der möglichen Neuabstimmung zum Tempelhofer Feld könnten demnächst noch weitere Volksentscheide auf dem Wahlzettel stehen: Wie der »Tagesspiegel« berichtet, will die Naturschutzorganisation BUND ein Volksbegehren starten, mit dem Grünflächen besser vor Bebauung geschützt werden sollen. Aktivisten um den Fahrradlobbyisten Heinrich Strößenreuther wollen die Berliner 2025 über besseren Schutz von Bäumen abstimmen lassen. Die erste Hürde genommen hat bereits das Volksbegehren Berlin Autofrei, das aktuell vom Landesverfassungsgericht geprüft wird.
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