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Ausbau der Solarenergie: Energiewende mit Hürden
Ole Zelt setzt sich für den Klimaschutz ein und will als Mieter eine Solaranlage in Betrieb nehmen. Das ist schwerer als gedacht
Ole Zelt steht auf seinem Balkon und friert. Der Himmel ist verhangen, die Luft kalt. »Das ist auf jeden Fall nicht der perfekte Tag heute, um eine Solaranlage zu demonstrieren«, sagt der junge Mann in dem dunklen Kapuzenpulli und deutet auf die zwei großen, grauen Solarmodule, die außen an seiner Balkonbrüstung hängen. »Wir können vielleicht ein bis zwei LED-Leuchten in der Wohnung betreiben mit dem Strom, der hier gerade produziert wird, mehr ist es nicht.«
Für einen diesigen Berliner Wintertag ist das nicht ungewöhnlich. An sonnenreichen Tagen im Frühjahr und Sommer sieht es allerdings anders aus. Weil sie sehr sparsam mit Energie umgehen, könnten Ole Zelt und seine Frau Jennifer mit dem kleinen Balkonkraftwerk im Jahresdurchschnitt rein rechnerisch etwa die Hälfte ihres privaten Strombedarfs in der Wohnung decken. Dass die Rechnung in der Praxis nicht ganz aufgeht, liegt daran, dass die Zeiten von solarer Stromerzeugung und privatem Stromverbrauch selten zusammenfallen: Mittags, wenn die Sonne im Zenit steht, sind die meisten Menschen auf Arbeit – abends dagegen, wenn Geschirrspüler und Waschmaschine laufen, ist die Sonneneinstrahlung nur noch schwach. Ein intelligenter Batteriespeicher kann für Abhilfe sorgen – und selbst bei der Einspeisung ins Netz geht die Sonnenenergie schließlich nicht verloren, auch wenn man sie selbst nicht nutzen kann. Wichtiger als die konkreten Strommengen, die er mit seinem Balkonkraftwerk erzeugen kann, ist Ole Zelt ohnehin etwas anderes: Er will selbst etwas tun im Kampf gegen den Klimawandel. Niemand musste ihn dazu überreden; Klimaschutz gehört für Ole Zelt längst zum Alltag: Einkäufe erledigt er mit dem Lastenrad, in den Urlaub geht es mit der Bahn.
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Damit noch mehr Menschen seinem Beispiel folgen und selber Sonnenstrom auf ihrem Balkon produzieren, fördert der Berliner Senat seit Februar vergangenen Jahres die Installation von Balkonkraftwerken an Mietwohnungen, seit Herbst 2023 auch an Eigentumswohnungen und in Kleingärten. Insgesamt sieben Millionen Euro für insgesamt 14 000 Solaranlagen stehen bereit; das Budget ist Teil des »Masterplans Solarcity«, mit dem die Landesregierung den Solarstromanteil in der Hauptstadt innerhalb der kommenden elf Jahre auf 25 Prozent steigern will. Bis Ende 2023 sind rund 7800 Anträge eingegangen, mehr als die Hälfte sind bereits bewilligt, die mit Abstand meisten davon für Mietwohnungen. In der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe ist man damit zufrieden: »Das Programm wird in allen Gruppen sehr gut angenommen«, schreibt die Pressestelle auf Anfrage. »Wir versuchen mit dem Programm die Energiewende zu Hause erlebbar zu machen«, sagt Staatssekretär Severin Fischer. Mit einer kleinen Solaranlage auf dem Balkon könne man schließlich erfahrbar machen, wie die Energiewende im Kleinen ganz praktisch funktionieren kann.
500 Euro erhalten die Antragsteller als Zuschuss für ihr Balkonkraftwerk. Nur: Angesichts der Tatsache, dass man davon eine günstige Anlage komplett finanzieren kann, wirkt das Interesse der Berlinerinnen und Berliner eher verhalten – schließlich ist auch knapp ein Jahr nach Programmbeginn noch reichlich Geld im Fördertopf. An handwerklichen Hürden kann es eigentlich nicht liegen. Denn die Installation der Sonnenkollektoren am Balkon sei spielend einfach, meint Mieter Ole Zelt: »Jeder Laie, der einen Hammer von einem Schraubenschlüssel unterscheiden kann, kann so eine Anlage im Prinzip auch selbst anbringen.«
Kaufen, anschrauben und Strom produzieren: Damit könnte die Geschichte von der Energiewende im Kleinen eigentlich schon zu Ende sein. Doch da hatte Ole Zelt die Rechnung ohne seinen Vermieter gemacht. Schon im Frühjahr 2022 hatte er bei der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gesobau angefragt, unter welchen Voraussetzungen er eine Balkonsolaranlage installieren dürfe. Einen ersten Antwortbrief bekam er im Mai 2022. Aber dessen Inhalt ist längst Makulatur, die Vorschriften wurden mehrmals überarbeitet. Das neueste Schreiben ist von Mai 2023 und enthält acht verschiedene Anforderungen, die erfüllt sein müssen, um die Anlage in Betrieb zu nehmen.
Einige der Punkte, wie etwa die Anmeldung des Balkonkraftwerks bei der Bundesnetzagentur und dem zuständigen Netzbetreiber, sind schnell erledigt. Auch der Nachweis über eine Haftpflichtversicherung ist einfach zu erbringen. Schwieriger wird es bei der sogenannten »Fachunternehmererklärung« – ein Handwerksunternehmen soll die Anlage anbringen und bestätigen, dass die Installation den Vorschriften entspricht. »In Zeiten des Fachkräftemangels, wo es schon schwierig ist, Fachunternehmen zu finden für Arbeiten, die wirklich von Fachfirmen durchgeführt werden müssen, findet man niemanden, der einem an einer Balkonsolaranlage drei Schrauben festzieht«, kritisiert der Mieter.
Ole Zelt nimmt es sportlich. Der direkte Kontakt zur Gesobau sei eigentlich gut, die Sachbearbeiterin unterstütze ihn nach Kräften. »Aber die Rahmenbedingungen sind einfach so, dass es für alle Seiten sehr schwierig gemacht wird, solche Projekte umzusetzen.«
Warum das so ist, dazu möchte sich die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gesobau auf Nachfrage nicht äußern – aus Zeitgründen, heißt es. Das Unternehmen leitet die Anfrage aber weiter, bis sie auf dem Schreibtisch von Michel Böhm vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen landet, der auch die Interessen der Gesobau vertritt. Prinzipiell, sagt Böhm, seien Balkonkraftwerke eine tolle Sache. Rechtlich allerdings würde man mit den Geräten schwieriges Neuland betreten. »Mal angenommen, ich bringe so ein Gerät an meinem Balkon an, es fällt herunter und im schlimmsten Fall wird jemand verletzt. – Wer haftet dafür?«, fragt Böhm. »Das ist einer der Gründe, warum stellenweise noch diese Handwerksunternehmen gefordert werden.«
Staatssekretär Severin Fischer von der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe glaubt, diese Probleme seien schnell zu lösen. Schließlich arbeiteten die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen längst an einer gemeinsamen und einfacheren Genehmigungspraxis. »Da sind die Akteure selbst schon auf einem sehr guten Weg, das hinzubekommen«, so Fischer. »Ich glaube, dass es nicht bei allem immer eine gesetzliche Regelung braucht, sondern einfach den guten Willen, in die Genehmigungspraxis Vereinfachung zu bringen.«
Stefan Taschner, der energiepolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, mag diesen Optimismus nicht teilen. Er berichtet von vielen Mieterinnen und Mietern, die sich frustriert an ihn wenden und voller Unverständnis über die hohen Auflagen bei der Installation und Genehmigung der Balkonsolaranlagen irgendwann entnervt aufgeben. Seine Fraktion hat deshalb im November einen Antrag ins Berliner Abgeordnetenhaus eingebracht, der die Installation von Balkonsolaranlagen im landeseigenen Wohnungsbestand erleichtern soll – etwa, indem geeignete Balkone mit speziellen Steckdosen ausgerüstet und Bedingungen festgelegt werden, unter denen die Mieter ihre Geräte selbst installieren können. »Hier reicht es nicht, nur Geld auf den Tisch zu legen und zu sagen: ›Wir haben ein Förderprogramm, wir unterstützen euch mit bis zu 500 Euro je Anlage‹«, meint Taschner. »Hier müssen wir nachsteuern, und wir müssen da nachsteuern, wo wir Verantwortung haben!« – also bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wie der Gesobau.
Ole Zelt freut sich über die Unterstützung der Grünen. Bei der Genehmigung seiner eigenen Anlage konnte er im vergangenen Herbst immerhin einen Teilerfolg erzielen: Nach mehrmonatiger Suche fand er ein Unternehmen, das ihm die Spezialsteckdose am Balkon einbaute – und ihm aus Kulanz auch noch die fachgerechte Anbringung der Anlage bestätigte. »Das ist wie ein Sechser im Lotto, dass sie mir überhaupt diesen Termin angeboten haben«, freut sich Zelt. »Das sind eigentlich Kleinaufträge, die sie in der aktuellen Auftragslage normalerweise nicht übernehmen würden.« Probeweise hat er dann die Anlage schon mal ans Stromnetz angeschlossen, »Testbetrieb« nennt Zelt das.
Kurz vor Jahresende hat Ole Zelt dann doch noch Post von seinem Vermieter bekommen: »Nach Prüfung der vorliegenden Unterlagen gestattet die Gesobau den Betrieb der durch die eingereichten Unterlagen beschriebenen Mini-Photovoltaikantage«, steht in dem Schreiben mit Datum vom 1. Dezember, dem eine zweiseitige Gestattungsvereinbarung beigefügt ist. Im Absatz zum Haftungsausschluss heißt es darin etwa, dass der Mieter den Vermieter von Schadenersatzansprüchen und Mietminderungen durch Dritte freistellt. Nur: Für welche Art von Mietminderungsansprüchen eine Fotovoltaikanlage am Balkon verantwortlich sein könnte, fragt sich nicht nur Ole Zelt. Auch der energiepolitische Sprecher der Grünen Stefan Taschner kennt den Sachverhalt aus Gesprächen mit Mieterinnen und Mietern und hat deshalb bei der Berliner Landesregierung schriftlich nachgefragt.
In der Antwort vom November 2023 schreibt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen: »Die (Beeinträchtigung der Rechte Dritter) könnte z.B. der Fall sein, wenn durch die Balkonsolaranlage andere Balkone verschattet werden oder eine Blendwirkung von den Sichtachsen ausgeht.« Taschner schüttelt den Kopf: »Ich finde das nicht nachvollziehbar und überzogen. Hier müsste man im Sinne des Klimaschutzes proaktiv an die Leute herangehen und nicht so viele Steine in den Weg legen.«
Zumindest Ole Zelt hat sich von der Formulierung nicht abschrecken lassen. Seine private Energiewende nimmt Fahrt auf, auch wenn der Weg dahin langwierig und mühselig war: Rund 20 Monate hat er gebraucht, um die Erlaubnis zu bekommen, einen Teil seines Strombedarfs mit dem Balkonkraftwerk selbst zu produzieren. Nicht mehr nur im Probebetrieb, sondern nun endlich auch ganz legal.
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