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Spanien streitet über Amnestiegesetz
Rechte will Gesetzesvorschlag mit allen Mitteln stoppen
Erste Hürden hat der Entwurf zum Amnestiegesetz der Minderheitsregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez im spanischen Parlament bereits überwunden – durch ist er noch nicht. Am Dienstag wird im spanischen Kongress erneut über das Amnestiegesetz für katalanische Politiker und Aktivisten abgestimmt, gegen das Rechte und Ultrarechte im Land Sturm laufen. So hatten die konservative Volkspartei (PP) und ihr ultrarechter Partner Vox am Sonntag nach Polizeiangaben erneut etwa 45 000 Menschen in Madrid mobilisiert, um gegen das Gesetz zu protestieren. Wochenlang hatten sie zu Blockaden von Parteizentralen der Sozialdemokraten (PSOE) aufgerufen, bei denen es zum Teil zu Krawallen kam.
Der PP-Chef Alberto Núñez Feijóo rief am Sonntag die Bevölkerung auf, gegen das Gesetz und gegen die Regierung von Pedro Sánchez »zu rebellieren«. Der Oppositionsführer forderte einen »Sturm der Würde«. »Niemand wird uns ein Land aufzwingen, das wir nicht gewählt haben«, rief er. Die Demonstranten skandierten »Sánchez Verräter«, »Sánchez ins Gefängnis« oder »Nein zur Amnestie«.
Die PP hatte im Juni 2023 zwar die Wahlen gewonnen, aber bekam keine Mehrheit für die Regierungsbildung, da außer Vox niemand die PP und Feijóo unterstützen wollte. Feijóo will die Regierung des Sozialdemokraten stürzen, die auf viele und politisch unterschiedliche Unterstützer angewiesen ist. Die werde »früher oder später« fallen, meinte Feijóo. Ausgerechnet mit den offenen Anhängern der Franco-Diktatur will er das Land »demokratisch retten«. Vox fordert derweil den »totalen Widerstand« gegen eine Amnestie, die nach Ansicht von PP und Vox gegen die Verfassung verstoße. Dabei gäbe es ohne eine Amnestie für die Verbrechen der Franco-Diktatur beide Parteien nicht. Sogar Massenmorde, Folter und Zwangsarbeit wurden im Übergang zur Demokratie amnestiert. Die PP war von Franco-Regierungsmitgliedern gegründet worden, und Vox ist eine Rechtsabspaltung.
»Guter und schlecher Terrorismus«
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Feijóos Vorwürfe gegen Sánchez werden immer absurder, um dessen Regierung zu diskreditieren. So spricht er nun sogar vom »Terrorismus« der Katalanen in Bezug auf die Unabhängigkeitsbewegung. Mit Blick auf den lange beendeten Kampf der baskischen Untergrundorganisation ETA sagte Feijóo, Sánchez unterscheide zwischen einem »guten und schlechten Terrorismus«. Die PP-Regionalpräsidentin in Madrid Isabel Díaz Ayuso dankte ausdrücklich dem Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón für seine Vorwürfe, der das »Recht durchsetzen« wolle und dafür »von der Regierung verachtet wird«.
García-Castellón ist der Mann, der gut sechs Jahre nach den Vorgängen um das katalanische Unabhängigkeitsreferendum 2017 mit Terrorismusvorwürfen kam. Dabei fiel in Katalonien kein Schuss und es wurde keine Bombe gezündet. Die Massenproteste blieben, mit wenigen Ausnahmen, friedlich, anders als das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Bewegung. Terrorismus wurde den Katalanen auch in bisherigen Prozessen nie vorgeworfen. Sogar eine angebliche Rebellion konnte nicht bewiesen werden. Für Aufruhr-Vorwürfe, für die in Spanien katalanische Politiker und Aktivisten zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt wurden, sahen Gerichte in Deutschland, Belgien, der Schweiz oder Großbritannien keine Hinweise. Auslieferungen von katalanischen Exilpolitikern, wie des ehemaligen Regierungschefs Carles Puigdemont, wurden deshalb verweigert.
Das Vorgehen des Richters García-Castellón ist durchsichtig. Er kommt nun mit dem Terrorismus-Vorwurf, da Terrorismus nicht unter das Amnestiegesetz fällt. Er will darüber die Rückkehr von Puigdemont und der Generalsekretärin der Republikanischen Linken (ERC) Marta Rovira aus dem Exil verhindern. García-Castellón steht der PP sehr nahe und wurde von der Partei groß gemacht. Er ist bekannt dafür, Korruptionsermittlungen gegen die PP-Anführer zu behindern. Die Partei ist rechtskräftig wegen ihres »effizienten Systems institutioneller Korruption« verurteilt worden.
Der Richter war auch in konstruierte Vorwürfe in Verleumdungskampagnen aus Polizeikreisen gegen die Linkspartei Podemos verwickelt, die sich angeblich illegal finanziert haben soll. Bei der PP wurde das von Gerichten bereits festgestellt. Gegen García-Castellon wird von Beobachtern der Vorwurf des Amtsmissbrauchs erhoben. Der ehemalige renommierte Richter am Obersten Gerichtshof José Antonio Martín spricht aus, was viele denken: García-Castellón »dürfte nicht in der spanischen Justiz tätig sein«.
Puigdemont-Partei fordert Nachbesserungen
Angesichts der Winkelzüge der Rechten und ihrer Richter, will die Puigdemont-Partei Gemeinsam für Katalonien (JxCat) erneut Nachbesserungen am Amnestiegesetz vornehmen, bevor man diesem zustimmen könne. Der Puigdemont-Anwalt Gonzalo Boye hat bestätigt, dass man daran arbeite, »um es angesichts von Angriffen zu stärken, die eines demokratischen Systems unwürdig sind«. Die Frage ist, ob die PSOE den Änderungsanträgen am Dienstag zustimmen wird. Ansonsten könnte das Gesetz scheitern.
Erst kürzlich scheiterte ein anderes Gesetz daran, dass Podemos diesem nicht zustimmen wollte, da darüber Renten gekürzt worden wären. Das Regieren ist für Sánchez in seiner Patchwork-Regierung schwieriger denn je. JxCat hat stets klargestellt, dass es Unterstützung nur gibt, wenn die Abmachungen zur Regierungsbildung eingehalten werden, wozu die Amnestie gehört. Die Torpedos aus der Rechten werden aber auch aus Europa sekundiert. So lehnte sich der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EPP) im Europaparlament besonders weit aus dem Fenster. Der CSU-Politiker Manfred Weber übernimmt die Wortwahl von PP und Vox gegen die Amnestie und meint, darüber würde »Terrorismus« straffrei bleiben. Weber kommt damit straflos davon.
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