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Überlebender des Ceuta-Massakers ruft UN-Ausschuss an
15 Tote, viele Verletzte und 23 Pushbacks bleiben in Spanien nach zehn Jahren ungesühnt
Mindestens 15 Tote, viele Verletzte und 23 Pushbacks: Das war die Bilanz eines Einsatzes der spanischen Guardia Civil am 6. Februar 2014 an der Grenze zwischen Marokko und der spanischen Exklave Ceuta. Am dort gelegenen Strand El Tarajal hatten rund 400 Geflüchtete versucht, schwimmend um den meterhohen Grenzzaun zu gelangen. Die Gendarmerie drängte die Menschen im Wasser mit Schlagstock, Tränengas und Gummigeschossen zurück.
Zehn Jahre später hat nun Ludovic N., einer der Überlebenden, eine Beschwerde gegen Spanien beim Anti-Folter-Ausschuss der Vereinten Nationen eingereicht. Das in Berlin ansässige European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) unterstützt ihn dabei. Kritisiert wird die mangelhafte strafrechtliche Verfolgung des Einsatzes durch die Justiz.
Der damals 15-jährige N. hatte beim Angriff der Gendarmerie Halt an einer Grenzmole gesucht. Ein Beamter wollte dies durch Schläge auf den Arm verhindern. Dennoch erreichte N. die spanische Seite. Dort wurde er festgenommen und umgehend nach Marokko zurückgeschickt – eine »heiße Abschiebung«, denn eigentlich müsste Spanien prüfen, ob dem Angekommenen Schutz zu gewähren ist.
Die anschließend eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungen gegen 16 beteiligte Beamte der Guardia Civil wurden im Juni 2022 endgültig eingestellt – ohne jedoch alle Beweise zu würdigen und Zeugen zu befragen. In seiner Beschwerde beim UN-Ausschuss gegen Folter weist N. auf diese Versäumnisse hin. Auch wurden einige Leichen nicht identifiziert, Überlebende – darunter auch N. – nicht angehört und Familien der Opfer gehindert, sich an dem Gerichtsverfahren zu beteiligen. »Die Gewalt an der Grenze an jenem Tag setzte sich vor Gericht fort. Auch hier wurden wir nicht wie Menschen behandelt«, sagt N., der mittlerweile in Deutschland lebt.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
»Mit der Beschwerde wollen wir erreichen, dass Spanien die Ermittlungen zu den Ereignissen in Tarajal wieder aufnimmt und der Straflosigkeit der Gewalt an der Grenze ein Ende setzt«, kommentiert dazu Carsten Gericke, Verfahrensbevollmächtigter des Beschwerdeführers und Partneranwalt des ECCHR, gegenüber dem »nd«.
Immer wieder gibt es an den marokkanisch-spanischen Grenzzäunen Tote und Verletzte, seit 2005 auch immer mehr Pushbacks. »Ceuta und Melilla dienen als Europas Versuchslabor für die Rechtlosigkeit an den EU-Außengrenzen«, erklärt die Juristin Hanaa Hakiki vom ECCHR. Die tödlichen Ereignisse in Playa del Tarajal stünden sinnbildlich für die völlige Missachtung von Menschenleben, »insbesondere von Schwarzen«. Weitere Massaker so am 24. Juni 2022 in Melilla mit vermutlich 40 Toten waren die Folge.
Es ist nicht das erste Mal, dass das ECCHR die Verfolgung der Vorfälle von 2014 vorantreibt. Eine im Namen von zwei Überlebenden aus Mali und Côte d'Ivoire eingereichte Beschwerde verwarf der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg jedoch im Februar 2020. »Ein schwerer Rückschlag für die Rechte von Flüchtenden und Migranten«, kommentierte das ECCHR damals.
Wie jedes Jahr fordern auch an diesem 6. Februar Überlebende, betroffene Familien und Unterstützer Gerechtigkeit und ein Ende der Straflosigkeit. Anlässlich des 10. Jahrestages des tödlichen Ereignisses rufen verschiedene No-Border-Gruppen und Netzwerke zu einem dezentralen Gedenken auf.
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