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Engagement gegen rechts: Das blaue Einhorn tankt neue Kraft
Initiativen wie »B96 begradigen« in der Oberlausitz fühlen sich durch die aktuellen Demonstrationen gegen AfD & Co. bestärkt
Die Bilder sind immer wieder verstörend. Wer sonntagvormittags in der Oberlausitz auf der Bundesstraße B96 zwischen Zittau und Bautzen unterwegs ist, sieht am Straßenrand vielfach Gruppen überwiegend älterer Menschen mit schwarz-weiß-roten Reichsflaggen, russischen Fahnen und Transparenten, auf denen über die Berliner Ampel gewettert und Russlands Präsident gehuldigt wird. Die gesamte Region, soll die seit Monaten andauernde Aktion suggerieren, protestiere gegen das verhasste »System« und »die da oben«.
Das Bild hat indes Risse bekommen. Dafür sorgt eine kleine Gruppe, die seit Sommer 2023 mit anderen Accessoires am Straßenrand steht: Regenbogenfahnen, ukrainische Flaggen, eine selbst gebastelte Brandmauer. »B96 begradigen« heißt die Initiative, die »ein Gegenbild« entwerfen will. Man wolle der »verbreitet miesepetrigen Stimmung ein fröhliches Signal entgegensetzen«, sagt Manja Döcke. Robert Lorenc, Wissenschaftler vom Sorbischen Institut in Bautzen, der bei den Aktionen ein putziges blaues Einhorn-Kostüm trägt, ergänzt: »Wir wollen zeigen, dass es auch hier Menschen gibt, die mit Grundgesetz und Demokratie ganz zufrieden sind.«
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Man konnte bisher freilich den Eindruck haben: Viele sind es nicht. Zu den Aktionen von »B96 begradigen« kamen im besten Fall drei Dutzend Menschen. Allzu oft bleibt rechte Propaganda in der Region unwidersprochen, die dafür immer schamloser verbreitet wird: durch Reichsflaggen in Vorgärten, mit Aufklebern an Autos, nur selten unter Einhaltung minimaler Umgangsformen: »Frau Merkel, bitte treten Sie zurück!«, steht vergleichsweise höflich an einem Haus im Zittauer Gebirge.
Das verbreitete Schweigen hat einen Grund. Kritiker der extremen Rechten ernten oft Häme und Hass oder müssen körperliche Übergriffe fürchten, sagt Birgit Kieschnick von »B96 begradigen« aus eigener Erfahrung. In ostdeutschen Regionen jenseits der Großstädte »hat es Konsequenzen, wenn man sich offen dorthin stellt«, sagt die Schriftstellerin Anne Rabe (»Möglichkeiten von Glück«), die zur Unterstützung der Initiative regelmäßig aus Berlin an die B96 kommt. »Für mich«, sagte sie der »Sächsischen Zeitung«, »sind diese Menschen Helden, weil sie wenig Anerkennung und Unterstützung dafür bekommen und sich durchaus in Gefahr begeben«.
Das verbreitete Schweigen zur rechten Propaganda hat fatale Folgen. Es stärkt das von der AfD verbreitete Narrativ, für eine »stille Mehrheit« zu sprechen, sagt Robert Lorenc; zudem befeuere es »Endzeitszenarien« mit Blick auf die Landtagswahl in Sachsen am 1. September. Viele, nicht zuletzt Journalisten, halten es für ausgemacht, dass die im Freistaat als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD stärkste Partei wird, und fürchten, dass die CDU mit ihr eine Regierung bildet. Folgen seien eine resignativ-fatalistische Stimmung auf der einen und, wie Manja Döcke sagt, »Dauerempörung« auf der anderen Seite.
Aber vielleicht dreht sich die Stimmung ja gerade. Am Samstag waren die Aktivisten von »B96 begradigen« auf dem Hauptmarkt in Bautzen und fanden sich dort nicht neben ein oder zwei Dutzend, sondern inmitten von 1500* Gleichgesinnten. Wie in vielen Städten hatte ein Bündnis zu einer Demonstration gegen rechts aufgerufen. Dass eine solche auch in Bautzen stattfand, wurde überregional aufmerksam registriert. Die Stadt ist unrühmlich bekannt durch Vorfälle wie den Brand des als Flüchtlingsheim vorgesehenen Hotels »Husarenhof« und eine Hetzjagd auf Migranten im Jahr 2016, die Quasivertreibung der antifaschistisch engagierten Aktivistin Annalena Schmidt 2019 und eine fremdenfeindliche »Weihnachtsansprache« von CDU-Landrat Udo Witschas 2022. Nicht wenigen gelte sie als »die rechteste Stadt Deutschlands«, schrieb Rabe im Kurznachrichtendienst X.
Nun aber: 1500* Menschen gegen rechts vor Rathaus und Dom. Die Engagierten von der B96 trafen ganze Lehrerkollegien, Menschen aus umliegenden Dörfern, Leute, die sonst nie auf Demonstrationen gehen. Die Veranstaltung habe »etwas Befreiendes« gehabt, sagt Döcke: »Wir haben da viel Kraft getankt.« Es gebe ein »tiefes Bedürfnis« bei vielen Menschen, der »Miesmacherstimmung« positive Erzählungen entgegenzusetzen. Lorenc spricht vom »größten emotionalen Erlebnis seit der Fußball-WM 2006«, das zudem »gleiche Gefühle beiderseits der ehemaligen Grenze« auslöse.
In Kleinstädten im Osten gehört dennoch mehr dazu, sich auf die Straße zu trauen, als in Hamburg oder Trier. In Bautzen bedrohten Nazis Demoteilnehmer auf dem Heimweg und machten Jagd auf Regenbogenfahnen; ein Jugendclub unweit der Stadt wurde abgefackelt, mutmaßlich von Rechtsextremen.
Bei »B96 begradigen« hofft man, dass die Demonstrationen weitergehen; zudem arbeite man in Bautzen an neuen Formaten, sagt Birgit Kieschnick. Es gehe nicht unbedingt darum, AfD-Wähler zu bekehren, betont sie. Wichtiger sei es, die »Ratlosen und Ängstlichen« zu erreichen und mehr von ihnen zu Engagement und Widerspruch gegen rechte Parolen zu ermutigen: »Die Verteidigung der Demokratie muss uns so wichtig sein wie denen auf der anderen Seite der Umsturz.« Am Sonntag stehen sie und ihre Mitstreiter wieder an der B96.
Hinweis: In einer früheren Version war von 2500 Teilnehmern die Rede. Nach Angaben der Polizei waren es 1500.
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