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Nordirland: Suche nach Ausweg aus der Krise
Nach zwei Jahren politischer Blockade wird Nordirland eine republikanisch geführte Regierung bekommen
Nach intensiven Debatten hat die pro-britische Democratic Unionist Party (DUP) beschlossen, ihren Parlamentsboykott aufzugeben. Damit ist nach langer Hängepartie der Weg für eine Koalitionsregierung aus der republikanischen Sinn Féin (SF) und der DUP frei.
SF war bei den Wahlen im Mai 2022 erstmals stimmenstärkste Partei geworden, wodurch ihr nach den Regelungen des Karfreitagsabkommens von 1998 das Amt an der Spitze zustand. Dies wollte die DUP mit ihrem Parlamentsboykott verhindern, den sie im Februar 2022 in Ablehnung der Sonderregelungen für die Provinz durch das Brexitabkommen zwischen Brüssel und London begonnen hatte.
Am frühen Dienstagmorgen informierte der DUP-Vorsitzende Jeffrey Donaldson die Medien, dass seine Partei während einer nächtlichen Sitzung beschlossen hat, den Boykott aufzugeben und die Arbeit im Regionalparlament Stormont östlich von Belfast wieder aufzunehmen. Die DUP stellte für ihre Rückkehr aber Bedingungen: London müsse gesetzliche Regelungen einführen, die die Brexit-Sonderbestimmungen für Nordirland abschwächen. Um was es sich genau handelt, wurde vorerst nicht bekannt. Der Ball liegt damit beim britischen Nordirland-Staatsekretär Chris Heaton-Harris. Weitreichende Änderungen sind jedoch nicht zu erwarten, denn neue Verhandlungen über das Brexit-Abkommen wird Brüssel nicht akzeptieren.
Dem Beschluss des DUP-Vorstandes gingen wochenlange Geheimverhandlungen zwischen Heaton-Harris und der unionistischen Partei voraus. Wie der »Guardian« am Dienstag berichtete, hat sich das Warten der DUP ausgezahlt: Die finanziellen Förderungen, mit denen London die Rückkehr der Unionisten nach Stormont den Wählern versüßen will, werden sich auf drei Milliarden Pfund Sterling (umgerechnet etwa 3,5 Milliarden Euro) belaufen.
Mit einem Teil davon sollen die Gehaltsforderungen im öffentlichen Dienst finanziert werden. Dort gab es in den letzten Jahren keine Lohnerhöhungen, da London sich trotz Teuerungskrise nicht zuständig sah. Am 18. Januar hatten 16 Gewerkschaften zum größten Streik Nordirlands seit 50 Jahren aufgerufen. Weit über 150 000 Angestellte legten die Arbeit nieder. Dieser Konflikt dürfte mit der Rückkehr der DUP in die Regierung nun gelöst werden. Ob das bereits Auswirkungen auf den für Donnerstag geplanten Streik beim öffentlichen Verkehrsunternehmen Translink haben wird, ist unklar. Vorerst hielten die Gewerkschaften an den Streikplänen fest.
In einer Pressekonferenz am Dienstagnachmittag kündigte Heaton-Harris an, in Kürze Details über das Abkommen mit der DUP bekanntzugeben. Er erwartet damit eine Wiederaufnahme der Koalition: »Ich werde am Mittwoch die Einzelheiten veröffentlichen, um den Platz Nordirlands im britischen Binnenmarkt zu sichern und die Union zu stärken.« Dies sei stets auch das Hauptanliegen des DUP-Vorsitzenden Jeffrey Donaldson gewesen, betonte Heaton-Harris. Der Nordirland-Staatssekretär zeigte sich überzeugt, dass »jetzt alle Voraussetzungen für eine Rückkehr des Regionalparlaments gegeben sind«.
Seine Worte richteten sich auch gegen Donaldsons Kritiker in den eigenen Reihen. Vor dem Sitzungsgebäude protestierte eine Schar von etwa 50 Unionisten. Sie werfen Donaldson »Verrat« vor und fordern, eine Regierungsbeteiligung der Unionisten unter SF-Führung weiter zu verweigern.
Heaton-Harris wollte allerdings Donaldsons Behauptung nicht bestätigen, dass es im Rahmen des Abkommens keine Kontrollen für Waren geben werde, die von Großbritannien nach Nordirland geliefert werden. Aber er habe »eine ganze Reihe anständiger Verbesserungen erreicht, um sicherzustellen, dass unser Binnenmarkt ordnungsgemäß funktioniert«. Der Deal mit der DUP beinhalte jedenfalls »erhebliche Änderungen« für das Brexit-Abkommen. Dennoch sei eine Neuaushandlung des Windsor-Abkommens über den Warenverkehr zwischen London und Brüssel nicht erforderlich. Ein Sprecher der EU-Kommission begrüßte die angekündigte Wiederherstellung der politischen Institutionen.
Sinn-Féin-Präsidentin Mary Lou McDonald sagte, ihre Partei beurteile die Aussichten für Nordirland aufgrund des Deals als »unglaublich positiv«. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der designierten Regierungschefin Michelle O’Neill sprach sie in Belfast von einem Tag des Optimismus und der Hoffnung für die frühere Bürgerkriegsregion. »Wir haben noch viel harte Arbeit vor uns, aber gemeinsam können wir Nordirland für die Menschen, denen wir dienen, besser machen.« Auch die Regierung der Republik Irland begrüßte die Ankündigung der DUP.
Die britische Regierung sprach von einem »bedeutenden Schritt«. Frühestens am Donnerstag könnte das Unterhaus in London über das neue Abkommen abstimmen. Erhält es eine Mehrheit, dürfte der Stormont am Samstag erstmals wieder zusammentreten – genau am zweiten Jahrestag des Beginns des DUP-Boykotts.
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