Myanmar kommt nicht zur Ruhe

Drei Jahre nach dem Putsch des Militärs ist kein Ende des Bürgerkriegs in Sicht

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Woche für Woche gerät die Junta um General Min Aung Hlaing in Myanmar stärker in Bedrängnis. Allein in den vergangenen Tagen mussten die Regierenden des südostasiatischen Landes Schlagzeilen über den Verlust wichtiger Stellungen und ganzer Städte hinnehmen. Zudem wurde ein weiterer Helikopter abgeschossen. Damit hat die Luftwaffe, die dem Regime zumindest am Himmel noch eine deutliche Überlegenheit garantiert, zuletzt vier Kampfjets und Militärhubschrauber verloren. Hinzu kommen 2400 Soldaten, die sich zum Teil kampflos ergaben.

Drei der sechs befehlshabenden Offiziere hat ein Militärgericht Ende Januar zu lebenslänglicher Haft verurteilt – die anderen drei sollen sogar hingerichtet werden. Zwar hat die Militärregierung Anfang Januar unter Vermittlung des Nachbarlandes China mit den bewaffneten Oppositionsgruppen im Nordosten des Landes ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen. Doch die Kämpfe gehen trotzdem weiter, wenn auch weniger intensiv als zuvor. Eine nachhaltige Befriedung ist nicht in Sicht.

Sorge um Aung San Suu Kyi und andere politische Gefangene

Die Lage in Myanmar schürt auch weitere Sorge um die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Anderthalb Jahrzehnte hatte die Ikone der Demokratiebewegung unter der früheren Diktatur in Hausarrest zugebracht, siegte nach der vorsichtigen Öffnung dann mit ihrer Partei, der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), bei den freien Wahlen 2015 und wurde faktische Regierungschefin. Fünf Jahre später fiel der Wahlsieg noch deutlicher aus. Das Einschreiten der Armee verhinderte damals weitgehende Reformen.

Suu Kyi wurde beim Putsch festgesetzt. Inzwischen ist nicht nur sie in mehreren Gerichtsverfahren zu insgesamt mehr als 30 Jahren Haft verurteilt worden. Gleichermaßen sitzen Ex-Minister und frühere Abgeordnete zuhauf hinter Gittern. Fast 20 000 Menschen befinden sich nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Assistance Association for Political Prisoners als politische Gefangene in den berüchtigten Gefängnissen des Landes. Wie es Suu Kyi derzeit geht, ist unklar. Schon nach ihrer Verhaftung war der Gesundheitszustand der 78-Jährigen angeschlagen. Später wurde sie zudem vom Hausarrest in eine Zelle verlegt.

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Proteste brutal niedergeschlagen

Zunächst mit Demos, Kundgebungen und Formen des zivilen Ungehorsams hatte der demokratische Widerstand versucht, dem neuen Spuk ein Ende zu setzen – vergeblich, gerade seitdem Soldaten und Polizisten begannen, brutal auf die Menschen zu schießen, die sich auf den Straßen der Wirtschaftsmetropole Yangon, der zweitgrößten Stadt Mandalay und selbst vieler kleinerer Städte versammelten. Längst sind die meisten Aktivist*innen entweder ins Exil gegangen, im Land untergetaucht oder haben sich dem immer breiter werdenden Bündnis des bewaffneten Kampfes gegen die Junta angeschlossen. So haben die Angehörigen der von der demokratischen Gegenregierung (NUG) schon im September 2021 gebildeten Volksverteidigungskräfte (PDF) ihr militärisches Grundtraining zumeist von Mitgliedern der diversen Rebellengruppen ethnischer Minderheiten erhalten, die teils jahrzehntelange Kampferfahrung besitzen.

Auch dank dieser Ausbildung konnten die vereinten Regimegegner beachtliche Geländegewinne erzielen, ohne dabei jedoch die Oberhand zu gewinnen. Eine echte Wende im eskalierten Bürgerkrieg brachte erst die »Operation 1027«, die drei Rebellengruppen der Brotherhood-Allianz am namensgebenden 27. Oktober 2023 im nördlichen Shan-Staat gestartet hatten. Dort treiben bewaffnete Einheiten der Volksgruppen der Kokang und Palaung die Offensive weiter voran, während der dritte Partner, die Arakan Army (AA), eine zusätzliche Front im heimatlichen Teilstaat Rakhaing eröffnet hat.

Ende der Militärdiktatur ist noch nicht in Sicht

Weitere Rebellengruppen, PDF-Einheiten und lokale Milizen rücken auch in anderen Gebieten vor, stehen teils nur noch 100 Kilometer Luftlinie von der Hauptstadt Naypyidaw entfernt. »Erstmals in der Geschichte sieht sich das Militär parallelen Angriffen diverser Gegner unterschiedlichen Typs ausgesetzt«, zitierte der britische »Guardian« Ye Myo Hein, Direktor des Tagaung Institute of Political Studies.

Ein Fall der Diktatur ist aber noch nicht in Sicht, obwohl selbst bei Armeeführern laut Berichten die Frustration wächst. Auch der Preis der Widerstandserfolge ist hoch: Laut jüngsten Angaben der Vereinten Nationen hat sich die Zahl der Binnenflüchtlinge zum Jahreswechsel auf knapp 2,6 Millionen erhöht. Allein 1,08 Millionen Menschen sind in der zentral gelegenen Sagaing-Region vor den Kämpfen aus ihren Heimatorten geflüchtet – das sind 40 Prozent der lokalen Bevölkerung.

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