Brüder des getöteten Mouhamed erstmals bei Prozess

In Dortmund wurde am Mittwoch zum dritten Mal gegen fünf Polizisten verhandelt

  • Friedrich Kraft
  • Lesedauer: 4 Min.
Sidy und Lassana Dramé (Mitte), die Brüder des Getöteten Mouhamed, vor dem dritten Prozesstag in Dortmund.
Sidy und Lassana Dramé (Mitte), die Brüder des Getöteten Mouhamed, vor dem dritten Prozesstag in Dortmund.

Zur Verfahrenseröffnung am 19. Dezember hatte der Richter noch lapidar angemerkt, die Nebenkläger seien augenscheinlich »nicht persönlich« erschienen. Am Mittwoch nahmen Sidy und Lassana Dramé schließlich neben ihren Rechtsbeiständen im Dortmunder Landgericht Platz. Als Nebenklage werden die beiden Senegalesen im Prozess gegen Polizisten wegen der Tötung ihres Bruders Mouhamed von der Rechtsanwältin Lisa Grüter und dem Professor und Kriminologen Thomas Feltes unterstützt.

Vor der 39. Großen Strafkammer des Landgerichts müssen sich fünf Polizisten und Polizistinnen für die Tat verantworten. Sie sollen den aus dem Senegal Geflüchteten am 8. August 2022 auf dem Hof einer katholischen Jugendhilfeeinrichtung mit Pfefferspray traktiert, getasert und anschließend mit fünf Schüssen einer Maschinenpistole getötet haben.

Insgesamt waren an dem Einsatz elf Polizisten beteiligt. Angeklagt sind der 30-jährige Todesschütze Fabian S. wegen Totschlags, zwei seiner Kolleginnen (34 und 29 Jahre) und ein Kollege (34 Jahre) wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt sowie der Dienstgruppenleiter (55 Jahre), der dazu angestiftet haben soll.

Für viele Besucher*innen waren die Verhandlungstage eine Zumutung. Zwecks strikter Trennung von den Angeklagten müssen sie einen separaten Eingang nutzen. An der Sicherheitsschleuse herrscht ein teils ruppiger Umgangston, die vom Gericht verfügte Sitzungsordnung wird willkürlich ausgelegt. Zugang zu Toiletten gibt es nicht. Auffallend ist auch der oftmals lapidare bis despektierliche Umgangston von Richter Thomas Kelms; seine Verfahrensführung bezeichnen die Beteiligten als intransparent.

»Das Problem scheint mir, dass der Vorsitzende kein wirkliches Programm für dieses Verfahren hat, sondern dass er sich treiben lässt«, sagt der Nebenklagevertreter Feltes gegenüber »nd«. Er kritisiert außerdem den Umgang mit Bildbeweisen und der Öffentlichkeit: »Es wäre sinnvoll gewesen, gleich zu Beginn mit einer kompletten Tatortaufnahme zu beginnen und nicht nur Tatortberichte zu verlesen«, so Feltes, der hierzu am Mittwoch einen Beweisantrag gestellt hat.

Am dritten Verhandlungstag, am Mittwoch, sagten zwei Mitarbeiter der Jugendhilfeeinrichtung aus, wo Mouhamed wenige Tage vor seinem Tod eingezogen war. Sie schilderten, wie der 16-Jährige ruhig, aber kommunikativ unerreichbar in einer Ecke des Gartens kauerte und dabei ein Küchenmesser an seinen Bauch hielt. Der Polizei teilten sie dazu am Telefon sowie nach Eintreffen der Beamten mit, dass Mouhamed erst tags zuvor aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden sei.

Dann sei »alles ganz schnell« gegangen, sagen die Betreuer aus. Die Polizei habe Stellung bezogen, nach kurzem Ansprechversuch sei zuerst mit Pfefferspray, Sekunden später mit dem Taser und dann mit Schüssen aus einer Maschinenpistole gegen Mouhamed vorgegangen worden. Laut ihren Aussagen sei dieser zu keinem Zeitpunkt aggressiv gewesen – das hatte die Polizei zunächst verlautbart.

Ein ebenfalls von der Polizei behauptetes »Rennen« in Richtung der Beamten kann keiner der Zeugen bestätigen, auch von einem Angriffsversuch mit dem Messer ist in ihren Aussagen keine Rede. Im Gegenteil: Einer von ihnen spricht gar von »herunterhängenden Armen« in dem Moment, als sich Mouhamed getroffen vom Pfefferspray aufrichtete und wenige Schritte auf die Polizei zu machte – die ihm die einzige Fluchtmöglichkeit aus der Gartenecke versperrte.

Für Bestürzung im Saal sorgte die Aussage der Zeugen, Mouhamed sei, am Boden vor Schmerzen krampfend, noch mit Handfesseln fixiert und dort vom Einsatzleiter einmal leicht getreten worden. Dabei habe der Polizist gesagt: »Wird schon alles gut werden.«

Mit dem Eintreffen der Dramés in Dortmund erhält der »Fall Mouhamed« eine neue Dimension. Anwältin Grüter schildert gegenüber Journalist*innen: »Die Familie hat jetzt das erste Mal den Täter*innen in die Augen geschaut.« Sie habe nicht den Eindruck, »dass Rücksicht darauf genommen wird, dass die Angehörigen des Toten nun anwesend sind«, ergänzt sie mit Blick auf die Prozessführung.

Am Vortag ihres ersten Prozessbesuchs hatten die Brüder Sidy und Lassana Dramé in einem Pressegespräch berichtet, was sie am meisten beschäftigt: Mouhamed sei »eines der ruhigsten Kinder« der Familie gewesen. Dass er getötet worden sei und man ihm dann seitens der Polizei noch »Aggressivität« unterstellt habe, belaste gerade ihre Mutter bis heute. »Er hat uns so viel Liebe geschenkt; würden wir jetzt über ihn reden, über gute Seiten von ihm – wir würden den ganzen Tag hier sitzen.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -