• Berlin
  • Modellprojekt »Spurwechsel«

Keine Aussicht auf Asyl, aber auf einen Arbeitsplatz

Modellprojekt »Spurwechsel« bietet 350 Geflüchteten eine Perspektive in Potsdam und Cottbus

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

14 Stellen für Bauingenieure sind in Cottbus frei. Potenzielle Bewerber gibt es: In der Stadt leben 20 Bauingenieure auf Arbeitssuche. Aber die können nicht so einfach eingestellt werden, weil sie als Flüchtlinge gekommen sind, eine Arbeits- und eine Aufenthaltserlaubnis brauchen und besser Deutsch können müssten. Hier setzt das im Oktober gestartete Modellprojekt »Spurwechsel« an. Wer kein Asyl erhält, kann damit doch noch eine Perspektive in Deutschland bekommen. Voraussetzung ist, dass diese Menschen sich nicht strafbar gemacht haben und ihre Identität und genaue Herkunft nicht verschleiern. Sie dürfen dann mit staatlicher Unterstützung einen Sprachkurs absolvieren und – wenn das noch erforderlich ist – eine Ausbildung machen, oder sofort anfangen zu arbeiten.

151 geeignete Personen habe man in Cottbus ausfindig gemacht, berichtet Projektleiter Mathis Rau am Mittwoch im Sozialausschuss des Landtags. Als Bauingenieur seien Deutschkenntnisse mindestens auf dem Niveau B1 erforderlich. Um dieses Niveau zu erreichen, brauche es in der Regel 400 Unterrichtsstunden. Doch Experten wissen nicht erst seit dem Modellprojekt: Es gibt Überflieger, die in deutlich kürzerer Zeit passabel Deutsch sprechen, während andere sich da mehr anstrengen müssen.

Das ist aber nicht so tragisch. Wer nur Pakete ausliefert, für den reicht es schon, mit lateinischen Buchstaben vertraut zu sein, um die Adressen lesen zu können. Eine Reinigungskraft im Carl-Thiem-Klinikum muss nicht so viel Deutsch können wie eine Kollegin, die dort das Essen für die Patienten austeilt. Das Klinikum sucht Personal für diese Tätigkeiten. Für eine Anstellung als Pflegehelfer muss neben einem Sprachkurs eine 500 Stunden umfassende Schulung absolviert werden. Innerhalb des Modellprojekts wird es dann zeitlich schon eng: Bereits am 31. Dezember 2024 läuft es aus. Mathis Rau und seine Fachbereichsleiterin Stefanie Kaygusuz-Schurmann plädieren für eine Verlängerung, genauso wie in der Potsdamer Stadtverwaltung der dortige Projektleiter Fouad Slimani und dessen Fachbereichsleiter Gregor Jekel.

In Potsdam ist das Modellvorhaben später angelaufen als in Cottbus. Die Verantwortlichen sortieren sich erst. Es dauert also noch, bis sie Erkenntnisse gewinnen und Ergebnisse präsentieren können. Aber für sie steht bereits fest, dass der Spurwechsel willkommen ist. Denn es mangelt an Arbeitskräften. In Potsdam sind 1900 Stellen frei. Weil dort Wohnungsnot herrscht, sind Versuche zum Scheitern verurteilt, Leute von außerhalb anzuwerben, die dann kein Quartier für sich finden. »Der Arbeitsmarkt in Potsdam benötigt jede Arbeitskraft, auch die von Geduldeten und Geflüchteten«, erklärt Jekel.

Der Landtagsabgeordnete Günter Baaske (SPD) kennt das Problem. Er erinnert an Autowerkstätten, die ihre Kunden vertrösten müssen, weil sie keine freien Termine haben. In Cottbus sieht es nicht viel anders aus. »Wir haben Druck im Kessel«, beschreibt Fachbereichsleiterin Kaygusuz-Schurmann den dortigen Arbeitskräftemangel. Das im Januar erweiterte Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn benötige Personal für die Reinigung der ICE-Züge. »Das Aufenthaltsgesetz passt noch nicht ganz zu der Geschwindigkeit, die der Spurwechsel manchmal braucht«, bedauert Kaygusuz-Schurmann. Sie berichtet von einem jungen Mann, der bereits eine Ausbildung gemacht habe. Er benötige jetzt eigentlich nur noch ein Bleiberecht, um sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Denn Handwerksmeister und Geschäftsinhaber gehen nicht gern das Risiko ein, jemanden einzustellen und anzulernen – und dann wird er abgeschoben.

Am Eifer der Geflüchteten gibt es nichts auszusetzen. Die ergreifen sehr gern die ihnen gebotene Möglichkeit. »Wir haben bis jetzt keinen Teilnehmer, der die Teilnahme verweigert«, berichtet der Potsdamer Projektleiter Slimani. Die Aussicht auf eine Perspektive in Deutschland motiviere enorm, wissen die Integrationsfachleute.

Das Geld sei gut angelegt, findet der SPD-Abgeordnete Baaske. Die AfD-Abgeordnete Daniela Oeynhausen ist anderer Ansicht. Bis zu 1000 Teilnehmer seien angekündigt gewesen. Nun höre sie, dass es nur 300 seien. Dafür seien die aufgewendeten sieben Millionen Euro »ein teures Vergnügen«, stichelt Oeynhausen. Doch Brandenburgs Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) stellt richtig: Zusammen 6,7 Millionen Euro wären es für bis zu 1000 Geflüchtete, wenn sich fünf Kommunen dem Modellprojekt anschließen. Bisher dabei sind aber nur die Städte Potsdam und Cottbus, die für ein Jahr je 977 000 Euro erhalten. Der Landkreis Elbe-Elster werde noch dazustoßen und später vielleicht der Kreis Oder-Spree. Die erhalten dann auch Geld, betreuen dafür allerdings zusätzliche Geflüchtete. Im vergangenen Jahr hat Brandenburg 12 100 Flüchtlinge aufgenommen.

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