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  • »Konkret« in Bedrängnis

»Was einmal futsch ist, ist auf Dauer verloren«

»Konkret«-Herausgeberin Friederike Gremliza über die aktuelle Notlage der Monatszeitschrift, den Ukraine-Krieg und den Zustand der hiesigen Linken

Provokation ging schon immer: eine »Konkret«-Ausgabe aus dem Jahr 1971
Provokation ging schon immer: eine »Konkret«-Ausgabe aus dem Jahr 1971

»Konkret« ist in der Krise: Die Produktions- und Vertriebskosten sind gestiegen, die Anzahl der verkauften Exemplare ist gesunken. Letzteres hat, wie auf der Website Ihrer Zeitschrift zu lesen ist, auch mit dem »Antinationalismus in nationalen Zeiten« von »Konkret« zu tun. Inwiefern opponiert »Konkret« gerade gegen den Zeitgeist?

Die Zeitschrift »Konkret« hat ihre Haltung im Grundsatz nie geändert. Ihr zehnjähriges Bestehen feierte die neue »Konkret« 1984 mit den Worten: »10 Jahre Streit, Kampf, Renitenz, Kritik, Widerspruch. 10 Jahre Miesmachen und Besserwissen.« Mehr ist für eine Zeitschrift ja nicht drin, als gegen die allgegenwärtige Gegenaufklärung und politische Regression anzuschreiben. Und das wird nicht leichter in Zeiten, in denen der Aboservice meldet, die einzige Publikation, die momentan zulege, sei »Tichys Einblick«, und der Presserat unseren Verlag über Beschwerden von rechts informiert, weil wir AfD-Politikern Dummheit unterstellt hätten und einem Polizisten, der einen Mann »mit Migrationshintergrund« erschossen hat, Rassismus. Vor wenigen Tagen hat ein psychisch kranker Leser in der Redaktion angerufen: Er habe Angst, dass er, wenn sich die Faschisten durchsetzen, einer der Ersten sein wird, denen es an den Kragen geht.

Interview

Friederike Gremliza ist seit 2020 Herausgeberin von »Konkret«.

Halten Sie diese Angst für berechtigt?

Auf jeden Fall. Die zugrunde liegende Zukunftserwartung ist nicht nur eine mögliche, sondern die wahrscheinlichste. Trotzdem müssen in einer Zeit, in der die Rechte auf dem Durchmarsch ist, auch weil die Linke ihr mangels eigener Kraft keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzen kann, wenigstens die publizistischen Orte verteidigt werden, an denen Widerspruch geäußert werden kann. Auch weil, was einmal futsch ist, auf Dauer verloren ist: Niemand, der den Willen dazu hätte, hat momentan die Mittel, ein neues Blatt von der Größe und Reichweite von »Konkret« aufzubauen.

Die Zeitschrift vertritt eine politische Haltung, die im deutschsprachigen Raum einzigartig ist: kritisch gegenüber dem Westen und seinen Institutionen, dabei aber israelsolidarisch und sensibel für Antisemitismus in der Linken. Wie vertragen sich diese beiden Positionen, deren Zusammenführung ja auch einige Widersprüche birgt?

Lassen Sie mich zurückfragen: Was wäre denn das für eine Linke, die sich mit dem Westen und der Nato aussöhnt oder sich mit der Verfolgung von Juden abfindet, die es sich also nicht zur Aufgabe machte, den einen Ort, an dem Juden in Sicherheit leben können, zu verteidigen? Wenn »Konkret« tatsächlich das einzige Blatt ist, dass sowohl Nato als auch Antisemitismus bekämpft, dann ist es wohl das einzige linke Blatt in dieser Republik.

Im Juni 2022 haben 29Autorinnen und Autoren, die unterschiedlich viel für »Konkret« geschrieben haben, in einem offenen Brief erklärt, ihre Arbeit für die Zeitschrift einstellen zu wollen. Grund war der »redaktionelle Kurs zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine«. Der Vorwurf an »Konkret« lautete, die Zeitschrift vertrete die Haltung, dass »Russland, von der Nato-Osterweiterung und CIA-gesponserten Putschen in die Defensive gedrängt, schlichtweg keine andere Wahl gehabt hätte, als anzugreifen«. Würden Sie dieser Einschätzung zustimmen?

Der von Ihnen referierte Vorwurf an »Konkret« zeigt das Problem der Auseinandersetzung: Er basiert auf einer Lüge. Es gibt in »Konkret« keinen einzigen Text, der diesen Vorwurf stützen würde; kein Autor, keine Autorin von »Konkret« hat den russischen Überfall auf die Ukraine gerechtfertigt. Die Verfasserinnen und Verfasser des Briefes haben ja nicht ohne Grund auf Belege entweder verzichtet oder sich welche zurechtgeschnitzt. Schon am Tag des Kriegsbeginns hat »Konkret« eine Erklärung auf der Homepage veröffentlicht, in der es unter anderem heißt:

Weder hegt »konkret« Verständnis für Moskaus machtpolitische Ambitionen und den russischen Vorstoß, die »Wladimir-Iljitsch-Lenin-Ukraine« (Wladimir Putin) zu zerschlagen, noch ist von dieser Zeitschrift ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Weltordnung des Westens zu erwarten, der seine große Liebe zum Frieden immer dann entdeckt, wenn er selbst gerade keinen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hat.

Viel Unmut hatte sich ja am Titel der »Konkret«-Ausgabe entzündet, die zehn Tage vor Kriegsbeginn erschien. Die Schlagzeile lautete: »Go East! Die Nato-Aggression gegen Russland«.

Der Titel, der die Nato-Osterweiterung thematisierte, beruhte auf einer Fehleinschätzung der russischen Außenpolitik – aber die hatten wir ja keineswegs exklusiv. Bis zum Beginn dieses Krieges galt diese Politik allgemein als durchaus rational und berechenbar – so weit jedenfalls, wie die Außenpolitik eines im Inneren autoritären imperialistischen Staates rational sein kann. Die Frage, die es dann nach der russischen Invasion zu beantworten galt, war, was ihren Wandel bewirkt hatte und ob die systematische Ausdehnung der Nato nach Osten ein Grund, womöglich der wesentliche Grund, für diesen Wandel gewesen ist. Wie ist aus dem um Annäherung an den Westen bemühten Wladimir Putin ein chauvinistischer Kriegsherr geworden?

Wie haben Sie diese Frage zu beantworten versucht?

In den Heften, die damals auf die viel diskutierte März-Ausgabe folgten, haben sich, wie das in »Konkret« die Regel ist, Autorinnen und Autoren aus verschiedenen politischen Lagern bemüht, diesen Krieg, wie andere politische Ereignisse auch, in seinem historischen Zusammenhang zu verstehen; bis zum Herbst haben wir etwa 20 Beiträge dazu veröffentlicht. Es ist kaum einer besonderen Nähe zu »Konkret« zu verdanken, dass die Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen an der Georg-August-Universität Göttingen im Dezember-Heft der von ihr herausgegebenen Zeitschrift »Demokratie-Dialog« eine Untersuchung veröffentlicht hat, die unter dem Titel »Das Imperium schlägt zurück. Über linke Orientierungsschwierigkeiten während des Ukrainekriegs« ausschließlich anhand von in »Konkret« erschienenen Texten die wichtigsten linken Positionen und Streitpunkte zu diesem Thema darstellt.

In den Monaten nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat »Konkret« in divergierenden Beiträgen versucht herauszufinden, ob beziehungsweise wie die Linke sich zu einem innerimperialistischen Konflikt positionieren sollte, einem Konflikt, in dem das Falsche gegen das Falsche antritt. Bedauerlicherweise hat sich im Verlauf der Debatte die Fraktion, für die Karl Liebknechts Feststellung »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« plötzlich keine Bedeutung mehr hatte, aus dieser verabschiedet.

Denken Sie, dass die öffentliche Distanzierung dieser Autorinnen und Autoren dazu beigetragen hat, dass die Anzahl der verkauften Exemplare von »Konkret« gesunken ist?

Die Zeitschrift verliert in jeder Krise, bei jedem die politische Agenda dramatisch verändernden Ereignis, in dessen Verlauf dafür anfällige Teile der Linken die Seite wechseln, Leserinnen und Leser. Ich habe in unserem Spendenaufruf einige Beispiele genannt: den Prager Frühling, die deutsche Wiedervereinigung, den Zerfall der Sowjetunion, die Jugoslawien-Kriege, die Anti-Corona-Maßnahmen, den Krieg der Hamas gegen Israel. Das war auch im Fall des Ukraine-Krieges so. Die meisten Leserinnen und Leser verabschieden sich aber entweder, weil es für sie finanziell eng wird oder weil sie ganz einfach keine Lust mehr auf ein linkes Blatt haben.

Was würde die deutschsprachige Linke verlieren, wenn es »Konkret« nicht mehr gäbe?

Das einzige Blatt, das sowohl der Sozialdemokratie als auch der Gefühlslinken, dem Ressentiment des »kleinen Mannes« ebenso wie dem Elitarismus einer falsch verstandenen Kritischen Theorie eine Absage erteilt. Ein parteiliches, aber kein Partei-Blatt, ein linkes Blatt ohne definierte Zielgruppe, mit einer Redaktion, die, ohne auf die Gunst der Leserinnen und Leser schielen zu müssen, arbeiten kann.

Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass das Hamburger Institut für Sozialforschung, gegründet und finanziert von Jan Philipp Reemtsma, 2028 schließen wird, weil Reemtsma die Leitung nicht jemand anderem überlassen will. Reemtsma war auch Autor von »Konkret«, der »Konkret«-Verlag sitzt in Hamburg. Wie bewerten Sie die Schließung des Instituts?

Vorweg: Jan Philipp Reemtsmas letzter Beitrag für »Konkret« liegt 30 Jahre zurück. Zu Ihrer Frage: Die Schließung dieses Instituts passt in eine Zeit, in der sich das Ende der sogenannten Neuen Linken abzeichnet. Mitte der 80er Jahre als dezidiert linke Einrichtung gegründet – in seinem Beirat saßen unter anderem die Trotzkisten Helmut Dahmer, Ernest Mandel und Jakob Moneta –, zeigte sich dann Ende der 90er in der Rücknahme der ersten Fassung der »Wehrmachtsausstellung« so etwas wie eine programmatische Kapitulation. Die nun angekündigte Auflösung der Institution zieht die Konsequenz aus dem Wegbrechen der gesellschaftlichen und historischen Bezüge, die zu ihrer Gründung geführt hatten. Dieses Wegbrechen ist es ja schließlich auch, das den wenigen verbliebenen linken Publikationen in diesem Land zu schaffen macht.

Berühmt ist der »Konkret«-Kongress von 1993 mit Beiträgen von Sahra Wagenknecht, Wolfgang Pohrt, Karl Held und vielen weiteren. Wäre es mal wieder Zeit für einen explosiven »Konkret«-Kongress? Und wen würden Sie aus der deutschsprachigen Linken gerade dazu einladen?

Der »Konkret«-Kongress hat nicht im luftleeren Raum stattgefunden. Er war der Versuch, die zersplitterte und zerstrittene Restlinke zusammenzurufen und – angesichts der deutschen Großmachtansprüche nach der Wiedervereinigung und den zahlreichen Mordanschlägen auf Ausländerinnen und Ausländer – eventuelle Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Mittlerweile gilt dieser Kongress als das Ereignis, zu dem die zerstrittene deutsche Linke – von den Ökosozialisten bis zu den Antiimperialisten – ein letztes Mal zusammengekommen ist, um dann allerdings feststellen zu müssen, dass es mehr Trennendes als Gemeinsames gab. Und heute? Die von Ihnen Genannten sind entweder tot (Wolfgang Pohrt, Karl Held) oder nach rechts abgedriftet (Sahra Wagenknecht). Die deutsche Restlinke ist, wo nicht parlamentarisch domestiziert, zu einer Handvoll Gruppen und Grüppchen zusammengeschnurrt, zwischen denen ein fruchtbarer Austausch kaum möglich und ein gemeinsames organisiertes Handeln unmöglich ist. Und das in einer Zeit, in der nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU ein neuer Faschismus heraufdämmert.

Es wird also keine Neuauflage des »Konkret«-Kongresses geben?

Nein, dafür fehlen sowohl Personal als auch politisch-programmatische Gemeinsamkeiten. Und uns zudem Zeit und Nerven – wir haben gerade andere Sorgen.

Der Spendenaufruf von »Konkret« findet sich unter www.konkret-magazin.de/rettet-konkret

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