- Politik
- Demos gegen rechts
Tareq Alaows: »Jeder Antifaschist ist willkommen«
Tareq Alaows über das Netzwerk »Hand in Hand« und politisch Verantwortliche, die den Rechtsruck mit befördert haben
Ihr Bündnis plant eine Menschenkette als menschliche Brandmauer. Wird der Bundestag damit umzingelt oder geschützt?
Zunächst ist das Konzept der Schutz der Demokratie. Es ist keine Umzingelung und es geht nicht nur um den Bundestag. Es geht um das Symbol unserer Demokratie. Wir wollen mit dem Rücken zum Bundestag stehen, das heißt, mit unseren Körpern wollen wir die Demokratie schützen. Weil die Brandmauer gegen Rechtsextremismus bei den demokratischen Parteien bröckelt, haben wir als Zivilgesellschaft die Aufgabe, eine Brandmauer zu errichten.
An wen richtet sich die Kundgebung genau?
Wir richten uns an alle Demokratiefeinde im Land, um zu sagen: nicht mit uns. Und wir richten uns an die demokratischen Parteien und die bürgerliche Mitte, um zu sagen, wenn die Rechtsextremen nach rechts rücken und radikaler werden, müsst ihr an den Menschenrechten festhalten. Es gibt mehrere Krisen, die uns als Zivilgesellschaft betreffen. Wir sind mit einer sozialen Krise konfrontiert, mit Inflation, Preissteigerungen. Die Löhne reichen vielen Menschen, die jeden Tag unermüdlich arbeiten, nicht bis Ende des Monats. Wir haben die Klimakrise, und die Corona-Pandemie ist gerade erst vorbei. Diese Probleme müssen wir ernsthaft angehen. Wir dürfen uns nicht mehr auf scheinheilige Debatten einlassen wie in den letzten Jahren, als geflüchtete Menschen für jahrelanges Versagen in der Sozialpolitik verantwortlich gemacht wurden. Das baut keine Wohnungen, das schafft keine Schul- und Kitaplätze, und das erhöht die Löhne nicht.
Tareq Alaows ist flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl und Mitinitiator des Netzwerks »Hand in Hand«, das unter dem Motto »#WirSindDieBrandmauer« für diesen Samstag um 13 Uhr zu einer Kundgebung gegen den Rechtsruck und einer Menschenkette um den Bundestag aufruft. Alaows wurde in Damaskus geboren und floh 2015 nach Deutschland. Nach zahlreichen Drohungen nahm er Abstand von einer Kandidatur für die Grünen zur Bundestagswahl 2021. Die Partei hat er inzwischen aus Protest gegen deren deutsche und europäische Asyl- und Migrationspolitik, zuletzt die Zustimmung zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS), verlassen.
Bei den großen Demos der vergangenen Wochen waren mehrfach Parteienvertreter*innen mit auf dem Podium. Warum soll das in Berlin nicht so sein?
Häufig waren Politiker*innen nicht auf dem Podium, aber im Publikum. Auch in Berlin wird das möglich sein. Wir sagen ganz klar: Jeder Antifaschist in diesem Land ist willkommen. Für Politiker*innen bedeutet das mehr als nur auf der Demo zu sein. Damit ist es nicht getan. Wir brauchen Taten. Selfies auf Social Media halten den Rechtsextremismus nicht auf.
Mittlerweile haben fast 1800 Organisationen mit aufgerufen. Auch die nd.Genossenschaft ist dabei. Was ist denn der kleinste gemeinsame Nenner bei diesem Bündnis?
Wir stehen alle zum Schutz unserer Demokratie. Wir stehen alle dahinter, tatsächlich über die Krisen zu sprechen, die uns alle betreffen. Und wir stehen alle gegen Rassismus und dagegen, dass Menschen, die nicht mal seit zwei Jahren hier leben, zu Sündenböcken für politisches Versagen gemacht werden.
Ihr Bündnis gab es schon vor der Enthüllung des »Geheimtreffens« und bevor die Demos so groß wurden. Was war der Anlass?
Der Anlass war der Rechtsruck. Wir haben schon in den letzten Monaten gesehen, wie die Brandmauer gegen rechts gewackelt hat, wie scheinheilig diskutiert wurde. Es gab faktenfreie Debatten wie die um Zahnbehandlungen für Asylbewerber. Es war absehbar, dass die Diskursverschiebung nach rechts dazu führen würde, dass die Rechtsextremen öffentlich zu ihrer Menschenverachtung stehen können. Die Enthüllung hat uns bestätigt, jetzt kann ein AfD-Bundestagsabgeordneter wie René Springer schreiben: »Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.« Und wir haben auch gesehen, dass mit solchen Debatten die Zahlen rechtsextremistischer Angriffe auf geflüchtete Menschen steigen.
Wer war ursprünglich dabei?
Angefangen haben wir mit Pro Asyl, Fridays for Future Berlin, Amnesty International, RAV (Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein) und anderen. Aber wir wollten alle demokratischen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen adressieren. Deswegen waren wir auch mit unserem Aufruf offen für alle. Nach dieser großen Bewegung in der Zivilgesellschaft braucht es ein starkes Bündnis, das diese Power mitnimmt und mit den Menschen zusammenarbeitet. Wir haben ein Jahr, in dem unter anderem drei Landtagswahlen stattfinden werden, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass die AfD an die Macht kommt, nicht gering ist. Und die Initiativen vor Ort werden alleine gelassen, und zwar seit Jahren. Mit der Demonstration fängt unsere Arbeit an in diesem Jahr. Wir wollen diese Initiativen vor Ort unterstützen. Wir wollen schauen, was sie brauchen und was wir anbieten können.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Sie sagen, der Rechtsruck war längst offensichtlich. Waren Sie überrascht, dass ausgerechnet dieses »Geheimtreffen« nun die Massen auf die Straßen treibt?
Die Ergebnisse von Correctiv haben mich persönlich nicht überrascht. Ich fand das bestätigt, womit ich im Alltag seit Jahren konfrontiert bin, sowohl in den sozialen Medien als auch im Alltag an bestimmten Orten. Man hat sogar den Begriff »Remigration« immer wieder gehört. Das wurde im Bundestag gesagt. Das haben sie auf Nazidemos gesagt. Ich finde es aber gut, dass die Zivilgesellschaft jetzt aufgewacht ist und verstanden hat, dass die AfD nicht nur für mich als Tareq eine Gefahr darstellt, sondern für die Demokratie, für unsere Rechtsstaatlichkeit.
Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund des Rechtsrucks, was die Ampel-Regierung gerade an asylpolitischen Verschärfungen beschlossen hat und auf europäischer Ebene mit auf den Weg bringt?
Obwohl ich den Vergleich zwischen Gesetzen und faschistischen Deportationsfantasien nicht aufmachen würde – ich sehe, dass das eine den Weg für das andere bereitet. Für mich wäre das Momentum für große Demonstrationen gewesen, als unser Bundeskanzler im großen Stil abschieben wollte. Oder als die Bundesregierung der Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems zugestimmt hat. Wir sprechen schon seit Jahren über die schrittweise Einschränkung der Grundrechte von geflüchteten Menschen. Wir sind auch 2018 mit 100 000 auf die Straßen gegangen für die Rettung von Menschen im Mittelmeer. Im letzten Jahr sind 700 Menschen vor der griechischen Küste ertrunken, und es gibt den Verdacht, dass die Küstenwache und Frontex beteiligt waren. Die Menschen wurden gesehen, aber sie wurden nicht gerettet.
Es wird viel von den »Gräben in der Gesellschaft« gesprochen, die überwunden werden sollen. Wo genau ist eigentlich der Graben? Und kann eine Demo, bei der man sagt, wir gehören nicht zu euch, etwas kitten?
Für mich steht fest, auch demokratische Parteien, die zur Diskursverschiebung beigetragen haben, sind auf der Demo willkommen. Aber sie müssen den Konsens auch in ihrer Politik umsetzen. Deswegen würde ich zwischen zwei Ebenen unterscheiden. Ich würde die Menschen an der Basis der Parteien, die im Großen und Ganzen für die Menschenrechte steht, trennen von denen, die Entscheidungen treffen. Wenn Parteimitglieder mit uns demonstrieren, dann ist das für uns als Netzwerk ein Erfolg, weil die Verantwortlichen verstehen müssen, dass ihre Parteibasis mit der Politik, die sie gerade machen, nicht einverstanden ist.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.