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Mensch Meier: Der Traum ist aus

Der linke Club im Berliner Bezirk Pankow musste nach zehn Jahren schließen

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 8 Min.
»Hausverbot lebenslang für Zoll und LKA« steht auf den Türen des »Mensch Meier«.
»Hausverbot lebenslang für Zoll und LKA« steht auf den Türen des »Mensch Meier«.

Geträumt haben sie von einem Ort, an dem sie egalitär arbeiten wollten. Offen sollte er sein für Menschen mit wenig Geld und ein Vorbild für eine junge Linke, die auch mal feiert. Gegeben haben sie viel, dass dieser Traum Wirklichkeit wird. Jetzt ist der Winter noch nicht vorbei, aber die Türen des »Mensch Meier« sind zu. Zehn Jahre stand in der Storkower Straße 121 in Pankow ein Club, der unkommerziell vom Kollektiv Tatendrang betrieben wurde. Eine Koryphäe sagt: »Tschüssi.«

»Ich hab mich gefreut, dass der letzte Song, der auf dem Meinfloor gespielt wurde, nicht der Mensch-Meier-Song war«, lacht Simone vom Meierkollektiv, das zu Silvester seine letzte Party schmiss. Der Ton-Steine-Scherben-Song hatte in den Räumlichkeiten selbstverständlich Tradition. Genauso wie die jährliche Silvesterparty »Ruhe und Ordnung«, benannt nach einem Gedicht von Kurt Tucholsky. Für 2023 hieß diese »Für immer Ruhe und Ordnung«, denn das Meierkollektiv hat seine Schlüssel abgegeben und verlässt Ostberlin.

Gestartet sind die Meiers bereits vor 13 Jahren auf der Landebahn von Lärz. In dem kleinen Mecklenburger Örtchen findet die »Fusion«, dass größte linke Festival Deutschlands, statt. Das Kollektiv leistet mit dem Floor »Räuberhöhle« seit 2011 einen Beitrag zu dieser Veranstaltung und lernte vom zugehörigen Verein Kulturkosmos etwas über Selbstorganisation für linke Veranstaltungen. Das Festival dient gleichzeitig als eine Finanzierungsstruktur für linke Projekte.

Große Ideale im kalten Kapitalismus

Eigenverantwortung, Unabhängigkeit und linke Solidarität: Diesen Prinzipien wollte das Meierkollektiv treu bleiben, um einen Ort für »Kunst, Party, Politik und Kultur« zu schaffen.

Solidarität äußerte sich darin, dass die Getränkepreise bis zuletzt kaum angehoben wurden. Die »egalitäre Tür«, wie Kollektivmitglied Max sie im Gespräch mit dem »nd« nennt, gewährte schon 18-Jährigen und nicht erst 21-Jährigen Einlass. Viele junge Berliner*innen sammelten hier ihre erste Cluberfahrung. Auch Solidaritätsveranstaltungen fanden im »Mensch Meier« statt. Beispielsweise zu Themen wie Seenotrettung, Pushbacks und Grenzschutz, »Deutsche Wohnen und Co enteignen« oder kommunistischen Inhalten.

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Bei einer Veranstaltung am 30. März 2019 zur Nacht der zivilen Seenotrettung mit der Initiative »Sea Watch« stürmten der Zoll und eine Hundertschaft der Polizei das »Mensch Meier«. Anlass sei dem Zoll zufolge die Suche nach unversteuerter Arbeit und unversteuertem Alkoholausschank gewesen, heißt es. Unbeteiligte seien »mit gezogener Schusswaffe bedroht« und einzelne festgenommen worden. Die Lage eskalierte, da sich der Zoll zunächst nicht gleich als solcher zu erkennen gab und das Sicherheitspersonal des »Mensch Meier« von einem Naziübergriff ausging. Der Club verklagte daraufhin den Zoll, da dieser ohne richterlichen Beschluss und »unverhältnismäßig hart« agiert haben soll. Aus Pressemitteillungen und diversen Zeitungsinterviews geht hervor, dass das Meierkollektiv einen Zusammenhang zwischen der Razzia und dem Veranstaltungsinhalt sieht.

Unabhängig machten sich die Meiers – zumindest bis zur Corona-Pandemie – von jeglicher staatlicher Förderung. »Wir wollten keine Gema und waren auch nie Mitglied der Clubcommission«, betont Max. Letztgenannte organisierte anlässlich des 70. Jahrestags des Endes der Berliner Sperrstunde und 30 Jahren »Mauerfall« einen Austausch mit 27 europäischen Clubs, darunter einige Berliner, um ein Zeichen für offene Grenzen zu setzen. Das »Mensch Meier« lehnte eine Teilnahme jedoch ab. Grund dafür war, dass jener Austausch durch das Auswärtige Amt finanziert wurde, »dass auf der einen Seite Grenzen für Kunst und Waren offen halten will, um sie gleichzeitig für Menschen zu schließen«.

Dem Prinzip Eigenverantwortung wollte das »Mensch Meier« durch »einen bewussten Bruch mit der Arbeitgeber*innenrolle« gerecht werden. Simone erzählt dem »nd« von einem »bedürfnisorientierten« Arbeitsplatz, an dem zirka 130 Angestellte, ein Dutzend Selbstständige und zuletzt zehn Kollektivmitglieder werkelten und es »nur vier Abmahnungen« in zehn Jahren gegeben habe. Das »Mensch Meier« baute Bühnen selbst, installierte das Licht, betrieb Bars und Tür. »Ich hatte immer das Gefühl, dass – wenn ich gewollt hätte – ich da direkt mitmachen hätte können«, berichtet die langjährige Clubgängerin Anna.

Auch ein Awarenessteam war auf vielen Parties im »Mensch Meier« anwesend. Ein Awarenessteam begleitet Veranstaltungen diskriminierungskritisch und ist eine Ansprechstelle für Teilnehmer*innen, die Gewalterfahrungen auf Großveranstaltungen machen. Was 2024 für Berlins linke Demo- und Clubkultur selbstverständlich klingt, war vor zehn Jahren Pionierarbeit – angestoßen durch die Community des »Mensch Meier«.

Trotz diskriminierungssensibler Konzepte für das »Mensch Meier«, blieben Fälle sexualisierter Gewalt auch in diesem Club nicht aus. Simone betont ein »betroffenenorientiertes« Handeln und den Anspruch, man habe stets »sicherere Räume« schaffen wollen. Eine Kritik mit feministischem Anliegen am »Mensch Meier« gibt es trotzdem. Clubeigene Statements aus dem Jahr 2021 beziehen sich auf einen ehemaligen Mitarbeiter. Dieser war laut Aussagen des Kollektivs auch Teil der Awarenessstruktur. Er habe über Jahre hinweg »sexuelle Gewalt ausgeübt«. Dass »Mensch Meier« habe ihn nach dem Bekanntwerden der Vorfälle entlassen. Ein weiteres Statement zu sexualisierter Gewalt verweist auf einen der DJs, der im Meier auflegte. Es kursieren Vorwürfe auf linksalternativen Internetplattformen wie beispielsweise »Indymedia«, die dem Meier »Täterschutz« und ein unpolitisches Verhalten in der Sache vorwerfen. 2023 wurde vom Meierkollektiv ein zwölfseitiges Schutzkonzept zu sexualisierter Gewalt veröffentlicht – Ergebnis eines Aufarbeitungsprozesses zu besagten Fällen.

Aus Max und Simones Perspektive waren die Täterschutz-Vorwürfe eine »starke Belastung« für das Kollektiv. »Wir sind abgefressen«, sagen sie. »Am Ende musste sich viele Jahre darum vorrangig das Kollektiv kümmern.«

Das Prinzip Eigenverantwortung schien nicht nur im Umgang mit Konflikten, sondern auch in der Organisation der Arbeit mit dem Prinzip Solidarität zu kollidieren. »Ich hab mal ausgerechnet: Mein Stundenlohn lag in einigen Jahren bei 1,35 Euro und bei anderen bei zwölf Euro«, klagt Simone. Max erzählt von Kolleg*innen-Überstunden mit Burnout und anderen, »die nur 50 Prozent der Arbeitszeit anwesend« waren.

Der einschneidendste Punkt scheint aus Sicht beider jedoch Corona gewesen zu sein. Ehrenamtliche Arbeit sei angesichts steigender Lebensmittel- und Energiepreise für viele aus der Community nicht mehr möglich gewesen bei gleichzeitigem Anstieg an Kosten für den Clubbetrieb. Auch das Meierpublikum war von der ökonomischen Krise betroffen. »Man spart das Geld dann vielleicht lieber für den Urlaub, als es im Club zu lassen«, erklärt Simone verständnisvoll.

»Am Ende war der Spagat zwischen unkommerziellem Betrieb und Club im Kapitalismus zu groß«, sagt Max. Gescheitert seien sie trotzdem nicht und werden als Kollektiv auch zukünftig kulturell arbeiten.

Kommt die nächste Aufwertung?

Gern hätte das Meierkollektiv den Club an queere Zusammenhänge rund um das »Wholefestival« übergeben. »Gerade für diese Szene wäre es super gewesen, einen festen Ort zu haben«, meint Simone. Der Eigentümer lehnte diesen Vorschlag kurz vor Schluss jedoch ab.

Stattdessen übernimmt nun der zehnjährige Nachbar »Anomalie Art Club«. Dieser scheint laut Instagram weniger Probleme mit Kommerz zu haben. Auf einer Veranstaltungseinladung aus dem Oktober 2023 erläutert die Anomalie, Teil einer Produktion des Streaminganbieters Netflix zu sein. »For this occasion, we are throwing a free party to show the world what values our clubbers hold«, schreiben sie. (Zu diesem Anlass veranstalten wir eine kostenlose Party, um der Welt zu zeigen, welche Werte unsere Clubbesucher vertreten).

Aufgewertet habe das »Mensch Meier« die Gegend nicht nur durch die Brille kapitalistischer Verwertbarkeit, sondern vor allem von links, wie Simone und Max finden. Sowohl in Pankow als auch im anliegenden Bezirk Lichtenberg gibt es langjährig aktive Rechte. Hin und wieder habe es vor Ort auch mal Beschädigungen, »zugeklebte Schlüssellöcher« oder »Müll vor der Tür« gegeben. Eine explizit rechte Handschrift habe aber laut Max keine dieser vandalistischen Aktionen getragen.

Linke Kultur und die Eigentumsfrage

Ein Jahrzehnt Kollektivbetrieb im Kapitalismus erzählt auch ein Jahrzehnt Berliner Mietmarkt. Die Miete im Meier war zuletzt um das Vierfache angestiegen. Über diesen Umstand wurde auch Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch (Grüne) und die Pankower Wirtschaftsförderung im November 2023 bei ihrem einstündigen Besuch im »Mensch Meier« informiert, wie das Bezirksamt auf Rückfrage des »nd« berichtet. Sie sollen Hilfe »im Rahmen ihrer Möglichkeiten« angeboten haben.

Muss basisdemokratisches und gemeinnütziges Arbeiten in einer kapitalistischen Ökonomie immer so laufen, dass »die Linie zwischen Privatleben und Arbeit« mehr als verschwimmt, wie Simone erzählt? Dass manche Kolleg*innen psychisch krank werden und am Ende trotz Überstunden »nur 75 Cent auf dem Sparkonto« landen, wie Max beschreibt?

Simone verweist auf eine Stadtpolitik, welche »Institutionsförderung statt Programmförderung« verfolgen müsse. Für Max hingegen ist klar: »Die Zukunft für Kollektivbetriebe liegt im Eigentum. Solange Kultur abhängig ist von Menschen, die Immobilien besitzen, kann man nicht nachhaltig selbstorganisiert wirtschaften.«

Simone sagt, dass Meier habe nach außen hin für einige sicherlich »unstrukturiert« gewirkt. Im Clubbetrieb hätte eine andere Ordnung vielleicht eine gerechtere Arbeitsteilung ermöglicht. Doch auch eine andere Struktur wäre im gemeinnützigen Wirtschaften mit den äußeren Verhältnissen in Widerstand getreten.

Fragt man Kurt Tucholsky nach der Ordnung, so sagt er: »Wenn Millionen arbeiten, ohne zu leben«, das sei Ordnung. »Wenn Gefahr besteht, dass sich Dinge wandeln, wenn verboten wird, mit dem Boden zu handeln«, dann herrsche Unordnung. Die Hauptsache sei: »Nicht auf Hungernde hören. Nicht das Straßenbild stören. Nur nicht schreien. Mit der Zeit wird das schon. Alles bringt euch die Evolution. Seid ihr bis dahin alle verreckt? So wird man auf euern Gräbern doch lesen: Sie sind immer ruhig und ordentlich gewesen.«

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