Initiative gegen Grenzgewalt: »Wer überlebt, ist nicht sicher«

Die Kampagne #FreeHomayoun unterstützt eine Bürgerinitiative gegen Gewalt an Europas Grenzen

  • Interview: Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.
Die griechische Polizei am Zaun an der Landgrenze zur Türkei (Symbolbild).
Die griechische Polizei am Zaun an der Landgrenze zur Türkei (Symbolbild).

Seit Jahresbeginn sind nach Angaben der Vereinten Nationen fast 100 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer gestorben oder verschollen – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. In der vergangenen Woche wurden mehrere Leichen von Flüchtlingen an die türkische Küste gespült. Was haben Sie gedacht, als Sie davon gehört haben?

Mahtab Sabetara: Ich denke bei solchen Nachrichten immer direkt an das Leid der Menschen. Viele sterben auf den gefährlichen Fluchtrouten. Und wenn sie überleben, sind sie auch nicht sicher. Geflüchtete erleben Pushbacks an den europäischen Grenzen oder werden kriminalisiert. Ich denke da natürlich ganz oft an meinen Vater, Homayoun. Er sitzt jetzt seit zweieinhalb Jahren in Griechenland im Gefängnis, weil er auf seiner Flucht aus dem Iran 2021 mit einem Auto über die türkisch-griechische Grenze gefahren ist, in dem auch andere geflüchtete Menschen saßen. Er hatte keine andere Wahl. Dafür wurde er 2022 wegen »Menschenschmuggels« zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Interview


Mahtab Sabetara und Hannah Elias setzen sich mit der Kampagne #FreeHomayoun für die Freilassung von Homayoun Sabetara ein. Er ist aus dem Iran geflohen und wurde 2022 in Griechenland wegen angeblichen Menschenschmuggels zu 18 Jahren Haft verurteilt. Am 22. April findet die Anhörung zum Berufungsverfahren statt. Weil sie auf die unmenschliche Behandlung von Menschen auf der Flucht aufmerksam machen wollen, unterstützen sie die EU-Bürgerinitiative zur Einhaltung des Folterverbots.

Mit Ihrer Kampagne #FreeHomayoun setzen Sie sich für die Freilassung ihres Vaters ein. Außerdem unterstützen Sie eine Europäische Bürgerinitiative gegen Grenzgewalt. Die Initiative fordert die Einhaltung von Artikel 4, des Verbots von Folter und unmenschlicher Behandlung auch an den Außengrenzen. Warum haben Sie sich der Initiative angeschlossen?

Hannah Elias: Wir wollen zeigen, dass sich immer mehr Menschen und Organisationen gegen die rechtswidrige Behandlung von Geflüchteten an den Außengrenzen einsetzen. Viel passiert dort im Verborgenen. Außerdem hat die Kampagne #FreeHomayoun einen direkten Bezug zu dem Folterverbot. Auf seinem ganzen Weg von der Festnahme durch die Polizei, während des Gerichtsverfahrens bis jetzt im Gefängnis hat Homayoun Sabetara unmenschliche Behandlung erlebt, bis hin zu seelischer Folter.

Hunderte Geflüchtete sitzen derzeit in europäischen Gefängnissen, weil ihnen Menschenschmuggel vorgeworfen wurde. Oft ist es selbst für Anwält*innen schwer, die Menschen dort im Gefängnis zu erreichen. Was erlebt Ihr Vater dort?

Sabetara: Die Situation dort ist sehr schlecht. Schon mehrmals wurde das ganze Gefängnis, in dem mein Vater sitzt, überflutet. Die Gefangenen wurden nicht evakuiert und sie hatten damals wochenlang nur für eine Stunde am Tag Trinkwasser. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Wie können sie in den kleinen Zellen schlafen, wenn alles voller Wasser ist? Ich habe das damals erfahren und dann eine Woche lang nichts von meinem Vater gehört. Manchmal bekommen sie nur einmal am Tag Essen. Im Alter von 60 Jahren muss mein Vater ohne Perspektive, Sprachkenntnisse und soziales Netzwerk diese unmenschliche Situation ertragen, obwohl er doch nur nach Deutschland fliehen wollte, wo seine Kinder leben.

An den Grenzen brechen EU-Staaten regelmäßig Gesetze, indem Beamte die Menschen schlagen, Hunde auf sie hetzen und Pushbacks durchführen. Im Dezember haben Parlament und Rat Asylrechtsverschärfungen vereinbart, die es Geflüchteten noch erschweren werden, die EU zu erreichen. Was kann die Bürgerinitiative dagegen ausrichten?

Sabetara: Ich denke, Initiativen wie die Europäische Bürgerinitiative »Stop Border Violence« wirken im Kleinen, aber haben Einfluss auf die öffentliche Meinung. Das war auch unser Ziel mit der Kampagne #FreeHomayoun: Die Menschen lesen in den Nachrichten etwas über Schleusernetze und Menschenschmuggel und denken an kriminelle Banden. Dieses Narrativ wollten wir ändern und zeigen, dass es ganz oft Menschen auf der Flucht selbst sind, die plötzlich am Steuer landen – und dann im Gefängnis. Das sind eigentlich keine Schmuggler, sie haben das nicht entschieden und auch keinen Profit gemacht. Das ist eine Kriminalisierung durch die europäischen Staaten.

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Was denken Sie, wie man mehr Empathie und Menschlichkeit in die Debatte über Geflüchtete bringen könnte?

Elias: Das hängt zu einem großen Teil von der Berichterstattung ab. Menschen werden zu Objekten, zu bloßen Zahlen gemacht. Das liegt auch daran, dass es sehr überfordernd ist, sich diese Tausenden von einzelnen Geschichten vorzustellen. Aber genau das wäre wichtig: Man muss sich klarmachen, dass diese Menschen alle ganz vielschichtige Gründe haben für die Entscheidung, ein Land zu verlassen. Und dass auf dem Weg der Flucht viele komplett unvorhergesehene Dinge passieren.

Die Initiative gegen Grenzgewalt braucht bis Anfang Juli eine Million Unterschriften aus mindestens sieben europäischen Ländern, um angenommen zu werden. Bis jetzt haben rund 13000 unterschrieben. Wie können mehr Menschen erreicht werden?

Elias: Das Wichtigste ist, sich zu vernetzen – und zwar über die eigenen staatlichen Grenzen hinaus. Wir sehen, dass das im rechten Spektrum leider momentan sehr viel besser funktioniert. Wir müssen uns auch mit Akteur*innen vernetzen, die auf anderen Themengebieten aktiv sind. Viel Mobilisierung passiert auf Social Media. Es mangelt nicht an Möglichkeiten, doch dafür braucht es Zeit und Ressourcen.

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