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Medizinische Fachkräfte: Mehr Gehalt statt Berufswechsel
Arztpraxen erwarten am Donnerstag bundesweit Einschränkungen durch den ersten Warnstreik ihres Personals
Premiere für die medizinischen Fachangestellten: Für diesen Donnerstag hat ihre Gewerkschaft, der Verband medizinischer Fachberufe e.V. (vmf), zum ersten Warnstreik in seiner Geschichte aufgerufen. Der vmf hat insgesamt etwa 20 000 Mitglieder in diesem Bereich, fordert am 8. Februar aber bundesweit insgesamt 330 000 medizinische Fachangestellte (MFA) und Auszubildende zur Niederlegung der Arbeit auf. Der Warnstreik soll die für Donnerstag geplante nächste Verhandlungsrunde begleiten. Für Protestaktionen in Berlin, Dortmund, Hamburg, Marburg, Nürnberg und Stuttgart gab es viele Rückmeldungen von Praxisbeschäftigen aus fast allen Bundesländern.
Tarife verhandelt der vmf schon seit 1969, nicht nur für die MFA (früher noch als Arzthelferinnen bezeichnet), sondern er setzt sich auch für die Interessen von tier- und zahnärztlichen Fachangestellten und Zahntechnikern ein. Der vmf ist als unabhängige Gewerkschaft keiner Dachorganisation zugeordnet. Ihm gegenüber steht auf Arbeitgeberseite die Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Arzthelferinnen/MFA (AAA). Letztere hatte in den seit Oktober laufenden Tarifverhandlungen eine 5,5-prozentige Gehaltserhöhung angeboten. Diese sollte hauptsächlich den unteren Gehaltsgruppen zugute kommen. Der vmf fordert hingegen durchschnittlich 14,6 Prozent über alle Berufsjahr- und Tätigkeitsgruppen.
Das klingt nach sehr viel, relativiert sich aber schnell, wenn die Augangsgehälter der MFA betrachtet werden. Denn das aktuelle Einstiegsgehalt liegt hier bei 13,20 Euro, während der Mindestlohn etwa für Pflegehilfskräfte 15,50 Euro pro Stunde beträgt. Für die Praxisbeschäftigten fordert der vmf jetzt 17 Euro, der Arbeitgeberverband bietet 15 Euro.
Angesichts fehlender Pflegekräfte bestehe die Gefahr, dass immer mehr MFA in diesen Bereich abwandern. Darauf wies ihr Verband schon früher hin: Laut einer Umfrage im Vorjahr wollten bis zu 39 Prozent der Befragten den Beruf verlassen. Die schlechten Verdienstaussichten führten zudem schon dazu, dass der MFA unter jungen Frauen nicht mehr die beliebteste Ausbildung ist. Und junge Männer, die bis zu acht Prozent der Auszubildenden stellen, würden ebenfalls abgeschreckt, verriet die vmf-Präsidentin Hannelore König in einem Podcast.
Zudem liefe das Arbeitgeberangebot darauf hinaus, so kommentiert König, dass den MFA mit 17 Jahren Berufserfahrung und umfangreichen Zusatzausbildungen ganze 0,1 Prozent Plus vorgeschlagen werden. In früheren Tarifrunden wurde in der Regel jeweils eine Gehaltserhöhung zwischen 2,2 und 2,3 Prozent erreicht, nur in den Jahren 2016 und 2021 fiel diese deutlich höher aus.
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Die Gehälter für die MFA hängen an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Arztpraxen: Sie müssen bei den Finanzierungsverhandlungen der Arzthonorare mit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mitgedacht werden. Damit geht der Berufsverband offensiv um: »Mit einem guten Tarifabschluss schaffen wir für die ärztliche Selbstverwaltung im Prinzip die Argumentation für höhere Honorare für das kommende Jahr«, heißt es vom vfm. Wichtig sei aber, dass die Erhöhungen dann auch bei den MFA ankommen.
In den Arztpraxen gibt es durchaus einen unterschiedlichen Umgang mit den MFA-Gehältern. Eine nicht repräsentative Online-Umfrage des vmf hatte im Sommer 2023 ergeben, dass etwa drei Prozent von 3500 Teilnehmenden maximal Mindestlohn erhalten. Auffällig waren hier insbesondere die neuen Bundesländer (außer Brandenburg), in denen zwischen zehn und 15 Prozent der MFA nur Bruttostundenlöhne von maximal 12 Euro erzielten.
Eine Hoffnung für die Tarifverhandlungen ist auch, dass der Budgetdeckel für die niedergelassenen Ärzte abgeschafft wird. Zumindest bei den Hausärzten könnte das bald passieren. Die MFA-Arbeitgeber verweisen auf die Budgets auch gern als zusätzliches Argument für ihre beschränkten finanziellen Möglichkeiten. Andererseits könnten Praxen nicht lange funktionieren, wenn sie ihre MFA verlieren. Auch deshalb waren in den letzten Tagen durchaus Solidaritätserklärungen für den Streik zu hören, etwa vom Virchow-Bund, der die niedergelassenen Ärzte vertritt.
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