Gaza-Krieg: Rafah bangt vor dem Großangriff

Die Vorläufer der israelischen Offensive erreichen den südlichen Gazastreifen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Rafah ist eine Stadt im Süden des Gazastreifen direkt an der israelischen Grenze. International bekannt wegen des Grenzübergangs, leben hier zu Normalzeiten um die 200 000 Menschen. Doch seit Israels Militär die Menschen im Norden des extrem dicht bevölkerten Landstrichs nach Kriegsbeginn im Oktober zur Flucht aufgefordert hatte, rettete sich gut eine Millionen Menschen hierhin, im Vertrauen auf das Versprechen der israelischen Regierung, dass diese Stadt ein sicherer Ort sei. Doch nun droht der Krieg auch hierher zu kommen: Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu will die Kämpfe auch auf Rafah ausweiten. Es sei der letzte Ort im Gazastreifen, an dem die Hamas frei schalten und walten könne. Falls sich Yahya Sinwar, der Gaza-Chef der Hamas, noch im Gazastreifen aufhält, wird er hier vermutet.

»Diejenigen, die gegen die Rafah-Offensive sind, sagen uns ›Verliert den Krieg‹«, sagte Netanjahu im Gespräch mit dem US-Fernsehsender ABC. Er kündigt auch an, man werde vor Beginn der Operation »sichere Fluchtwege« für die Bevölkerung schaffen. Unklar ist aber, wohin: Nahezu im gesamten Gazastreifen außerhalb von Rafah wird immer noch teils sehr intensiv gekämpft. Zudem würde es noch schwerer werden, Hilfsgüter zu den Menschen zu schaffen. US-Präsident Joe Biden, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sprachen sich vehement gegen eine Ausweitung der Kämpfe auf Rafah aus. Auch in Israel gibt es Zweifel: Zu dicht bevölkert sei die Stadt, zu unwahrscheinlich sei es, dass sich die Hamas wirklich komplett von der politischen und militärischen Landkarte verdrängen lasse, heißt es in Medienkommentaren.

Plan für den Kampf um Rafah

Am Sonntag wollte Netanjahu zunächst dem Kabinett in dessen wöchentlicher Sitzung einen Plan für den Kampf um Rafah vorstellen und die Operation formal bewilligen lassen. Einen Ausblick auf die Dauer und die Auswirkungen der Kämpfe geben andere Gebiete im Gazastreifen: Dort treffen Israels Soldaten immer noch auf Gegenwehr. Der Unterschied: Nur noch wenige Zivilisten halten sich dort auf. Doch auch die Hamas lässt es auf einen Häuserkampf inmitten von mehreren hunderttausend Menschen ankommen. In den indirekten Verhandlungen, die beide Seiten seit der vergangenen Woche in Kairo führen, hält die Hamas an ihren Maximalforderungen fest: Vor allem ein vollständiger Truppenabzug solle, unter anderem, einer Waffenruhe voraus gehen. Aus Sicht Israels kommt das einer Niederlage gleich.

In Israel werden derweil die Angehörigen der verbliebenen 100 wahrscheinlich noch lebenden Geiseln zunehmend wütender: Einige versuchten, den Grenzübergang Kerem Schalom im Dreiländereck Israel, Ägypten, Gaza zu blockieren. Andere begannen ein Protestlager vor der Knesset in Jerusalem. Und eine Gruppe von Angehörigen möchte den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anrufen. Für Netanjahu ist das eine Situation, die alles noch viel schwieriger macht. Die Hamas fordert auch die Freilassung von Häftlingen, die direkt an Terroranschlägen beteiligt waren, teils hochrangige Funktionäre der Hamas waren. 2011 war der Gaza-Chef Sinwar bei einem solchen Gefangenaustausch freigekommen. Netanjahu, der bereits damals Regierungschef war, wird das seit dem Massaker am 7. Oktober 2023 sehr oft vorgehalten. Einige geben ihm deshalb auch eine Mitschuld an jenem beispiellosen Angriff der Hamas.

Neue Vorwürfe gegen das Hilfswerk UNRWA

Mitten im Krieg, in einer humanitären Katastrophe gerät nun auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA weiter unter Druck: Israels Militär hat einen Hamas-Tunnel unter dem Hauptquartier der Organisation in Gaza-Stadt gefunden. Der Tunnel sei auch direkt an das Stromnetz des Gebäudes angeschlossen gewesen. Auch Sprengstoff und Munition seien in dem Gebäude gefunden worden, so der Vorwurf. Es gebe zudem Hinweise darauf, dass auch andere Gebäude von der Hamas genutzt worden seien. UNRWA indes verweist darauf, dass man das Hauptquartier bereits im Oktober geräumt habe. Vor einigen Wochen war der Vorwurf bekannt geworden, dass zwölf Mitarbeiter UNRWAs am Massaker des 7. Oktober beteiligt gewesen sein sollen. Netanjahu ist UNRWA schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Er und sein Umfeld werfen der Organisation vor, längst nicht mehr neutral zu sein, fordern die Abwicklung des Hilfswerks. Und nun haben viele der größten Geldgeber ihre Zahlungen vorerst eingestellt; mitten im Krieg besteht die Gefahr, dass UNRWA den Menschen nicht mehr helfen können wird.

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