- Politik
- Drohnen
Ukraine-Krieg: Unbemannter Rüstungswettlauf
Russland und die Ukraine überbieten sich im Drohnenkrieg
Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist das Land zum Schauplatz eines nie dagewesenen Drohnenkrieges geworden. Eingesetzt werden unbemannte Luftfahrzeuge verschiedener Größen und Fähigkeiten. Anfangs lag der Vorteil noch bei der Ukraine: Schon vor Ausbruch des Krieges hatte die Regierung in Kiew große Langstreckendrohnen des Typs Bayraktar TB2 aus der Türkei beschafft. Ihre Angriffe sollen Russlands Militär anfangs empfindliche Verluste beigebracht haben; zu den bekanntesten Einsätzen gehörte der Kampf um die sogenannte Schlangeninsel vor Odessa. Inzwischen spielt die TB2 keine wichtige Rolle mehr. Mit einer Spannweite von 12 Metern ist sie zu behäbig und so ein leichtes Ziel für die russische Flugabwehr.
Im weiteren Kriegsverlauf setzte das ukrainische Heer auf kleine Drohnen sowohl zur Aufklärung als auch für Angriffe auf Punktziele. Senkrecht startende Multikopter können etwa Artilleriegranaten über Schützengräben abwerfen oder stürzen sich mit Sprengsätzen ausgestattet ins gegnerische Ziel. Die Ukraine nutzt rund zwei Meter breite Multikopter vom Typ Baba Yaga – benannt nach einer bekannten Figur aus der slawischen Mythologie – inzwischen auch zur Verlegung schwerer Panzerminen. Im Januar überraschte das Militär außerdem mit Aufnahmen aus der Luft, auf denen zu sehen war, wie ein russischer Soldat, der sich ergeben hatte, von einem Quadrokopter hinter die ukrainischen Linien geführt wurde.
Viele der kleinen unbemannten Fluggeräte werden in der Ukraine preiswert in Eigenregie hergestellt. Die Regierung in Kiew hat hierzu eigens Gesetze geändert, wonach der Staat sein Monopol auf die Produktion unbemannter Waffen aufgibt. Im Mittelpunkt stehen sogenannte First-Person-View-Drohnen (FPV), die mit einer Pilotenbrille gesteuert werden. Die Ukraine will dafür bereits 20 000 Drohnenbediener ausgebildet haben.
Die meisten der kleinen Drohnen stammen jedoch von kommerziellen Herstellern aus dem Ausland, darunter der chinesische Marktführer DJI. Die Website »Defense News« schrieb im Herbst, der ukrainische Ministerpräsident habe auf einer Veranstaltung davon gesprochen, dass sein Militär »effektiv 60 Prozent« der globalen Produktion von DJI-Drohnen aufkaufe. Die Firma hat dieser Darstellung energisch widersprochen. Offiziell hatte DJI seine Geschäfte in beiden Ländern im April 2022 beendet. Trotzdem gelangen chinesische Drohnen auch heute noch massenweise nach Russland und in die Ukraine.
Zu den Innovationen im Ukraine-Krieg zählen auch sogenannte Kamikaze-Drohnen. Solche Starrflügler wurden zwar schon von Aserbaidschan im Krieg gegen Bergkarabach eingesetzt, jedoch in weit geringerem Umfang. Die mit einem Sprengkopf ausgerüsteten Flieger können auf ein Ziel programmiert werden und zerstören sich bei dem Einsatz. Ob diese Waffengattung deshalb als Drohnen bezeichnet werden kann oder ob es sich eher um intelligente Artilleriemunition handelt, ist unter Militärexperten umstritten. Im Ukraine-Krieg werden die Geräte vor allem von Russland für Angriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine genutzt; sie stammen mit den Lancet aus eigener sowie als Shahed aus iranischer Produktion.
Die Ukraine will nun in diesem Segment aufholen und in diesem Jahr Tausende Kamikaze-Drohnen mit großer Reichweite herstellen, die auch Moskau und St. Petersburg erreichen können. Dazu werden vor allem private Start-ups finanziell unterstützt. Mit der Technologie soll der Mangel an Artilleriegeschossen an der Front ausgeglichen werden, sagte Mychajlo Fedorow, stellvertretender Premierminister und Minister für digitale Transformation der Ukraine.
Vergangene Woche hat die Ukraine den Drohnenkrieg abermals auf eine neue Stufe gehoben. Präsident Selenskyj hat eine neue Truppengattung »Unbemannte Systeme« ins Leben gerufen. Dabei geht es nicht nur um Flugdrohnen, denn die Systeme hätten sich laut Selenskyj auch bei Kämpfen am Boden und zur See als wirksam erwiesen. Durch den Einsatz von Seedrohnen – unbemannte Boote mit großer Sprenglast, die über oder unter Wasser fahren können – ist die russische Schwarzmeerflotte sowohl von der südukrainischen Küste als auch aus der Umgebung der Halbinsel Krim verdrängt worden.
Auch die westlichen Unterstützer, darunter Deutschland, beliefern die Ukraine mit unbemannten Fluggeräten verschiedener Größen. Lettland führt hierzu eine »Drohnenkoalition« an, die 250 Millionen Dollar dafür bereitstellen will. Ziel ist es, eine Million Drohnen an das Land zu liefern. Dazu sollen unter anderem Tausende Kamikaze-Drohnen gehören, die mithilfe Künstlicher Intelligenz auch im Schwarm operieren. Sie können feindliche Stellungen selbst identifizieren, ohne dass menschliche Bediener eingreifen müssen.
Diese Angriffstechnik ist bislang in keinem bewaffneten Konflikt eingesetzt worden. Derart bewaffnete Drohnenschwärme sind der Albtraum von Friedensgruppen, die seit Jahren vor der zunehmenden Autonomie unbemannter Killerwaffen warnen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.