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Kriegs-Doku »Intercepted«: In der Ukraine essen sie Hunde
Berlinale Forum: »Intercepted« zeigt Anrufe russischer Soldaten bei ihren Familien. Einblicke in die Grausamkeit des Krieges
Auf der Berlinale sprechen zwei Filme miteinander, die selbst auf den zweiten Blick rein gar nichts miteinander zu tun haben. Im Dokumentarfilm »Favoriten« von Ruth Beckermann begleitet die Regisseurin eine österreichische Volksschulklasse über mehrere Jahre mit der Kamera. Einmal geht es im Unterricht um das Thema Krieg und ein Junge sagt, er möge Krieg, weil er Waffen krass finde. Die Lehrerin ist natürlich entsetzt und erklärt ihm, wie schlimm Gewalt sei. Auf die Nachfrage, ob er Krieg jetzt immer noch gut finde, antwortet der Junge: »Ja.« Dann fragt sie ihn, wo er herkomme: Mazedonien. »Hast du dort schon einmal Krieg erlebt?« »Nein«, antwortet der Junge und die Lehrerin sagt den Satz aller Sätze: »Dann kannst du darüber auch nicht urteilen.«
Im krassen Gegensatz dazu erzählt »Intercepted« (ebenfalls in dokumentarischer Form) genau davon: von Krieg. Dabei wählt die ukrainische Regisseurin Oksana Karpovych keine grausamen Bilder aus Butcha oder Mariupol, die mittlerweile, nach dem, was wir aus Israel und Gaza gesehen haben, sehen mussten, an uns uns vorbeirauschen wie Lichter bei einer nächtlichen Autofahrt. Sie lässt Worte sprechen und macht es so eigentlich unmöglich, dieser ganzen Widerwärtigkeit dessen, was Menschen Menschen antun können, auszuweichen.
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Karpovych hat vom ukrainischen Geheimdienst SBU mitgeschnittene Telefonanrufe russischer Soldaten in die Heimat kuratiert, die der Geheimdienst auf seiner Website online gestellt hat, und sie mit langen Kameraeinstellungen zerstörter Häuser, Wohnzimmer, Schulen und Brücken aus den umkämpften Gebieten der Ukraine unterlegt. Manchmal hat sie auch Bilder des Alltags vom Schwimmen im See vor Ruinenkulisse gewählt, weil man es wohl sonst nicht bis zum Schluss aushalten würde.
Was die Soldaten ihren meist weiblichen Gesprächspartner*innen erzählen, zeugt vom Wesen des Krieges: Entmenschlichung, Propaganda, Hass, Verzweiflung, Ratlosigkeit und brutale Gewalt. Es geht darum, dass die Ukrainer einen viel besseren Lebensstandard hätten als die Russen (vom Westen finanziert), dass die Soldaten nichts zum Essen haben und auch mal einen Hund grillen müssen, um mitgenommene Laptops (neuestes Modell) und New-Balance-Sneaker. Die Soldaten erzählen, dass sie von desertierten Truppenteilen allein gelassen worden seien oder jeden töteten, der ihnen begegne (und wenn es eine Mutter mit Kindern sei), weil diese Menschen die Position der Truppen verraten könnten. Es wird auch explizit von Folterungen berichtet, von Wäldern voller Leichen. Meistens haben die Gespräche keinen Anfang und kein Ende, sind eher Gesprächsfetzen als Unterhaltungen, aber Karpovych hat sie dramaturgisch geschickt geordnet. 31 Stunden Aufzeichnungen hat sie sich angehört, meistens passen die Bilder zu dem, was erzählt wird, außer, es geht um wahrhaftige Grausamkeiten. Dann flattert zaghaft eine Gardine, bewegt vom Luftzug, der durchs zerschossene Fensterglas weht. Die Bilder im Zusammenspiel mit den Worten verfehlen ihre Wirkung nicht. Man denkt an Max Liebermann und seinen Satz: Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte. Immer wieder diese Frage nach dem Warum. Und dann bekommt man doch Antworten, man muss sie nicht verstehen, aber man glaubt, es zu kapieren: Wenn Hass das einzig erlaubte Gefühl auf der Welt ist, dann fällt alles leichter. Die Ukrainer bezeichnen die Anrufer wahlweise als Feinde, Ziele oder Kokohls (russ.: Weizengähre, in etwa wie »Kartoffel« für Deutsche). Wenn vom Töten die Rede ist, dann schwingen bei einigen die Genugtuung, Erleichterung, ja Spaß (»Ich schieße allen in den Kopf! Ich kann das jetzt endlich!«) in der Stimme mit. Andere Anrufe wiederum sind Zeugnisse von Verzweiflung und der massiven Diskrepanz zwischen denen, die an der Front verheizt werden und denen, die zu Hause vor dem Propagandafernseher sitzen. Wenn ein Soldat seine Mutter fragt: »Was machen wir hier? Wir töten Kinder!« Und die Antwort ist: »Nein, ihr tötet Faschisten!« Dann ist ziemlich klar, wer hier mit der Realität konfrontiert ist, und wer die Kriegsmoral aufrechterhalten soll.
Bei allem bleibt immer die Frage, ob diese Mitschnitte echt sind. Die Nachrichtenagentur Reuters konnte immerhin Telefonnummern der Anrufer ausfindig machen, Anrufe auf diesen Nummern blieben aber unbeantwortet. Die Agentur AP gibt an, die Echtheit der Aufnahmen mit Hilfe einer Organisation in London, die vom russischen Dissidenten Michail Chodorkowski finanziert wird, bestätigt zu haben. Auch CNN soll die Echtheit überprüft und bestätigt haben.
Selbst wenn nichts davon stimmt, erzählt »Intercepted« immer noch alles, was man über Krieg wissen muss: Nie wieder.
»Intercepted«: Kanada/Frankreich/Ukraine 2024. Regie: Oksana Karpovych, 95 Minuten. Termine: 21.2., 10 Uhr, Arsenal 1; 23.2. 12 Uhr, Kino Betonhalle@Silentgreen.
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