Nukleardoktrin mit europäischer Dimension

Frankreichs Präsident sieht das militärische Atomprogramm seines Landes im Kontext einer strategischen Autonomie der EU

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Könnte man nicht das französische Kernwaffenarsenal für eine europäische Abschreckung nutzen und damit den Kontinent komplett mit einem Atomschirm abdecken? Auf diese Frage antwortet General Patrick Dutartre, der früher selbst als Pilot Bomben mit Kernsprengkopf an Bord seiner Mirage 2000 hatte: »Zu diesem Thema herrscht große Unklarheit, und das ist vielleicht auch besser so. Um entschlossen ›Stop‹ zu sagen, braucht es politischen Willen, und das ist in Frankreich Angelegenheit des Präsidenten. Doch der hat in erster Linie die Interessen Frankreichs zu wahren und erst dann die Europas.«

Dass Präsident Emmanuel Macron angesichts des Waffengerassels von Putin und der Provokationen von Trump neue Vorschläge für eine europäische Verteidigung und in diesem Zusammenhang auch für die nukleare Abschreckung macht, kommt nicht überall gut an. Nicht selten wird es als Versuch missverstanden, Frankreich strebe in diesen Fragen eine Führungsposition an.

Bei einem Schweden-Besuch Ende Januar hat Macron in einer Rede zu diesen Fragen Stellung genommen. Medien haben aus diesem Text vorschnell und vereinfachend die Bereitschaft herausgelesen, Frankreich könnte sein nukleares Abschreckungspotenzial mit den europäischen Partnern teilen. Ganz so ist es nicht.

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Macron hat nur wiederholt, was er bereits in einer programmatischen Rede zu Frankreichs Verteidigung im Februar 2020 geäußert hatte. Da stellte er die rhetorische Frage, ob die französische Nukleardoktrin noch zeitgemäß ist. Macron betonte, dass die nukleare Abschreckung die Aufgabe hat, »die vitalen Interessen Frankreichs zu schützen«, dass sie aber zugleich auch eine »europäische Dimension« hat. Europa ist also berücksichtigt, wenn auch indirekt, denn das entscheidende Kriterium ist das Schicksal Frankreichs.

Das unterscheidet sich von den Nukleardoktrinen der anderen großen Atommächte. Die USA, die über mehr als 5200 Kernsprengköpfe verfügen, Großbritannien und Russland betonen, dass ihre Kernwaffen nicht nur das eigene Land schützen sollen, sondern auch ihre Alliierten.

Warum Frankreich anders herangeht, liegt nicht nur an der vergleichsweise niedrigen Zahl von 290 Kernsprengköpfen, sondern hat vor allem historische Gründe, meint Pierre Haroche, Dozent für Geostrategie an der Queen-Mary-Universität London. »Frankreich hat sich während des Kalten Krieges gerade deshalb unabhängige nukleare Kapazitäten aufgebaut, weil es dem amerikanischen Angebot einer ›erweiterten Abschreckung‹ nicht traute.« Aufgrund der Annahme, dass ein US-Präsident in der Realität stark zögern würde, sein Land in einen Atomkonflikt mit der Sowjetunion zu verwickeln, nur um Europäer zu schützen, seien die Franzosen zu dem Schluss gekommen, dass es besser sei, sich auf eine eigene Abschreckung verlassen zu können.

Umgekehrt war dieses Prinzip einer »erweiterten Abschreckung« bisher nicht geeignet, den europäischen Alliierten Vertrauen in das Konzept einer »europäischen Dimension« der französischen Abschreckung zu vermitteln. Doch einerseits der Ukraine-Krieg und Putins aggressive Art, immer wieder die Atomwaffen verbal ins Spiel zu bringen, sowie andererseits Trumps Drohungen, den europäischen Partnern in der Nato militärischen Beistand vorzuenthalten, haben die Situation gründlich verändert.

»Angesichts des Risikos einer Rückkehr von Trump ins Weiße Haus sagen sich heute viele unserer Nachbarn, dass eine stärker bekräftigte französische Garantie zusätzlich zu jener der USA beruhigend wirken würde«, ist Pierre Haroche überzeugt. »Unser Land plädiert seit Jahren für eine europäische ›strategische Autonomie‹, worauf Skeptiker antworten, dass diese Autonomie ein frommer Wunsch bleiben wird, solange Europa im bisherigen Maße von der amerikanischen Abschreckung abhängig ist«, stellt Pierre Haroche fest.

Als Deutschland 2023 das Projekt eines europäischen Raketenschutzschildes startete, blieben die Franzosen abseits, weil sie den Eindruck hatten, dass die Partner die französische nukleare Abschreckung ungenügend würdigen. Das zeugt davon, dass Macrons Absicht, den Prozess über einen möglichen Beitrag der französischen Abschreckung zur europäischen Verteidigung zu beleben, noch weit vom Ziel entfernt ist.

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