Iran lässt Leichname verschwinden

Die Islamische Republik wendet die Todesstrafe zur Repression an, vor allem gegen Minderheiten

  • Daniela Sepehri
  • Lesedauer: 6 Min.
Maria Mahmudi (r) mit ihrem Mann Mohammad Faramarzi.
Maria Mahmudi (r) mit ihrem Mann Mohammad Faramarzi.

Wenn seine Mutter Interviews gibt, spielt der 5-jährige Sabah in einem Nebenraum. Er weiß nämlich noch nicht, dass sein Vater Pejman Fatehi im Iran hingerichtet worden ist. »Wie soll ich meinem Kind sagen, dass sein Vater hingerichtet wurde?«, klagt die Mutter Bayan Azimi.

Bayan Azimi (27) und Maria Mahmudi (31) wurden früh zu Witwen gemacht. Ihre Ehemänner Pejman Fatehi und Mohammad Faramarzi wurden gemeinsam mit zwei weiteren politischen Gefangenen, Mohsen Mazlum und Vafa Azarbar, in den frühen Morgenstunden des 29. Januar im Qezel-Hezar-Gefängnis im Iran hingerichtet. Ihr Verbrechen: Sie waren Kurden.

Die vier Männer waren im Juli 2022 in der Nähe der Stadt Urmia festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht worden. Von der Festnahme erfuhren die Familien erst, als rund 80 Tage später die Gesichter der Männer im iranischen Staatsfernsehen zu sehen waren. Das iranische Regime zeigte erzwungene Geständnisse der Gefangenen, in denen sie zugaben, Agenten des Mossad zu sein und Anschläge im Iran für Israel geplant zu haben, unter anderem auf eine Fabrik des Verteidigungsministeriums in der Stadt Isfahan. Dafür seien die Männer in »afrikanischen Ländern« durch den Mossad trainiert worden. Beweise für diese Anschuldigungen legte das Regime nie vor. »Diese Vorwürfe sind Lügen und fabriziert«, betont Pejmans Ehefrau Bayan. Die falschen Geständnisse seien unter Folter entstanden, die Folterspuren waren den Männern im Staatsfernsehen deutlich anzusehen.

Teller und Rand – der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Seit der Inhaftierung hatten die Familien keine Informationen über ihre Liebsten. Sie wussten nicht, in welchem Gefängnis diese sich befanden und wie es ihnen ging. Sie durften weder mit ihnen telefonieren, noch sie im Gefängnis besuchen. Selbst der Anwalt hatte kein einziges Mal Zugang zu seinen Mandanten oder den Akten. In einem Schnellprozess, der nur wenige Minuten dauerte, verurteilte der berüchtigte Richter Iman Afschari die Männer heimlich zum Tod. »Er kam in den Raum und hat sie gefragt, wie ihre Namen sind«, erzählen die Ehefrauen Bayan und Maria im Gespräch. »Sie sagten ihre Namen und der Richter sagte ihnen, dass ihr Urteil die Todesstrafe ist.« Die Urteile wurden später vom Obersten Gerichtshof bestätigt.

Die in Norwegen ansässige Menschenrechtsorganisation Hengaw warf der Islamischen Republik einen unfairen Prozess vor. »Während des gesamten Prozesses wurden den Gefangenen ihre grundlegenden Rechte auf rechtliche Vertretung, Besuche und sogar die Kommunikation mit ihren Familien verwehrt«, schrieb Hengaw in einer Mitteilung. Die Geständnisse der vier Kurden seien unter Folter erzwungen worden.

19 Monate lang lebten die Angehörigen völliger Ungewissheit über den Zustand ihrer Liebsten – bis plötzlich Ende Januar ein Anruf kam: Sie sollten nach Teheran kommen, um ihre Angehörigen ein erstes und letztes Mal zu besuchen, bevor diese hingerichtet würden. Für Bayan, Maria und den Rest der Welt war klar, dass die Männer nicht mehr lange leben würden. Die beiden Ehefrauen befanden sich schon in Deutschland, wo sie Asyl beantragten, daher konnten sie bei dem Treffen im Gefängnis nicht dabei sein.

Doch ihre Angehörigen erzählten ihnen alles: Jede Familie hatte nur etwa zehn Minuten Zeit für den Besuch. Dabei sagte Pejman Fatehi zu seiner Mutter: »Dieser Tod ist für mich ein ehrenvoller Tod. Trag kein Schwarz und weine nicht um mich.« Ähnliche letzte Worte wählte auch Marias Ehemann. »Es gibt nichts, wovor man Angst haben muss«, betonte Mohammad Faramarzi. Wenige Stunden später wurden Mohammad, Pejman, Mohsen und Vafa hingerichtet.

Nach der Hinrichtung weigerte sich das Regime, den Familien die Leichen ihrer Liebsten auszuhändigen. Stattdessen wurden diese heimlich an einem unbekannten Ort begraben. »Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, erklärt Mina Khani, Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Hengaw. Dieses »Verschwindenlassen« der Leichen sei kein neues Phänomen, sondern werde kurdischen Familien seit Gründung der Islamischen Republik 1979 immer wieder angetan. »Das ist eine politische Bestrafung einer ganzen Ethnie dafür, dass sie politisch geblieben ist, dass sie politischen Widerstand leistet im Iran.«

In Deutschland kämpfen die Ehefrauen Bayan und Maria für Gerechtigkeit. »Wir verlangen, dass die Leichen meines Ehemannes und seiner Freunde an ihre Familien zurückgegeben werden«, sagt Maria Mahmudi im Gespräch. Dafür fordern sie und Bayan Unterstützung der Zivilgesellschaft und der Politik. »Ich möchte alle deutschen Politiker auffordern, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu diesem menschenfeindlichen Regime so schnell wie möglich abzubrechen«, fordert Maria. Bayan verlangt außerdem, dass die Revolutionsgarde der Islamischen Republik Iran auf die EU-Terrorliste gesetzt wird. »Ich fordere von Menschenrechtsorganisationen und Regierungen, die Verbrechen der Islamischen Republik zu stoppen«, sagt sie. Von dem Regime, das ihren Ehemann getötet hat, fordere sie allerdings nichts mehr. »Die Islamische Republik ist ein Kindermörder, ein Terrorist«, erklärt Bayan. »Sie richtet hin, sie vergewaltigt. Wie kann man an so einen Staat Forderungen stellen?«

Ihr größter Wunsch in all der Zeit sei es gewesen, dass ihr Ehemann zurück zu seiner Familie kommt, erzählt Bayan. In den eineinhalb Jahren seiner Inhaftierung forderte Pejman immer wieder ein Foto von seinem 5-jährigen Sohn Sabah. »Sie haben ihm gesagt: ›Erst wenn du an den Galgen geführt wirst, wirst du ein Foto von deinem Sohn sehen.‹ Doch ich denke nicht, dass sie ihm das gewährt haben«, beklagt sie. Nach der Hinrichtung ihres Mannes hat sich ihr Wunsch gewandelt: »Mein größter Wunsch ist es, dass keine unschuldigen Menschen mehr hingerichtet werden und ich einen freien Iran sehen kann.«

Auch Maria hat keinen individuellen Wunsch. »Mein größter Wunsch ist kollektiv«, erklärt sie. »Ich wünsche mir eine Welt frei von Krieg, frei von Hinrichtungen und vollständiger Freiheit und Gleichheit.«

Im vergangenen Jahr wurden laut Hengaw mehr als 800 Menschen hingerichtet, im Januar 2024 allein waren es mindestens 74. Betroffen sind vor allem Kurd*innen, die verstärkt mit dem Vorwurf »Spionage für Israel« hingerichtet werden. Menschenrechtsaktivisten kritisieren die Praxis der Todesstrafe im Iran seit Jahrzehnten. Offizielle Zahlen zu den Hinrichtungen gibt es nicht. Amnesty International wirft den Behörden vor, die Todesstrafe als »Instrument der Unterdrückung« ethnischer Minderheiten einzusetzen. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat sich die Hinrichtungsmaschinerie nochmals verstärkt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.