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Europas Weg in die Kriegswirtschaft

Wie die EU-Kommission Aufrüstung unter dem Deckmantel der Industriepolitik betreibt

  • Jürgen Wagner
  • Lesedauer: 5 Min.
Modell des europäischen Kampfjets FCAS – das Projekt soll über den gesamten Lebenszyklus ein bis zwei Billionen Euro kosten, errechnet Greenpeace.
Modell des europäischen Kampfjets FCAS – das Projekt soll über den gesamten Lebenszyklus ein bis zwei Billionen Euro kosten, errechnet Greenpeace.

Mit hohem Tempo hat die Europäische Union in den letzten Jahren unzählige neue Rüstungstöpfe geschaffen. Im Ergebnis bewegt sich die einstige Zivilmacht Europa immer mehr in Richtung einer Kriegswirtschaft – ein Begriff, den EU-Industriekommissar Thierry Breton in jüngster Zeit häufig nutzt. Jüngste Schritte in diese Richtung sind eine neue Industriestrategie (EDIS) und ein Investitionsprogramm (EDIP), die in Kürze von der Kommission vorgeschlagen werden sollen.

Dass EU-Haushaltsgelder überhaupt für Rüstungszwecke verwendet werden, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Schließlich verbietet Artikel 41 (2) des EU-Vertrages, dass bei Maßnahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) für »Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen« auf den EU-Haushalt zurückgegriffen wird. Die Kommission versucht dieses Verbot zu umgehen, indem sie fast alle neuen Rüstungstöpfe der Industriepolitik zuordnet. Allerdings ist dies rechtlich mehr als fragwürdig, wie bereits 2018 ein im Auftrag der Linksfraktion erstelltes Gutachten von Andreas Fischer-Lescano ergab, der das Vorgehen als eine »Militarisierung auf den Trümmern des Rechts« bezeichnete.

Waffen für die Ukraine

Fast alle neuen Militärbudgets basieren auf der ebenfalls zumindest fragwürdigen Annahme, eine Konzentration des aktuell noch auf viele Einzelstaaten verteilten europäischen Rüstungssektors würde mit erheblichen Effizienzsteigerungen einhergehen. Im Zentrum steht dabei der Europäische Verteidigungsfonds (EVF), ein für die Jahre 2021 bis 2027 mit zunächst rund acht Milliarden Euro befüllter Topf, der kürzlich um 1,5 Milliarden aufgestockt wurde. Als Industriepolitik deklariert, werden über ihn die Erforschung und Entwicklung länderübergreifender Rüstungsprojekte aus dem EU-Haushalt finanziert. Im selben Zeitraum stellt die außerhalb des EU-Haushalts angesiedelte Europäische Friedensfazilität (EFF) aktuell zwölf Milliarden Euro vor allem für Waffenlieferungen insbesondere an die Ukraine bereit.

Voriges Jahr kamen dann noch die Programme zur Ankurbelung der europäischen Munitionsproduktion (ASAP) und zur Finanzierung länderübergreifender Rüstungskäufe (EDIRPA) dazu. Als »historischen Moment« bejubelte CDU-Verteidigungsexperte Michael Gahler die mit EDIRPA erstmals eröffnete Möglichkeit, sich bei Rüstungskäufen aus dem EU-Haushalt zu bedienen. Und als »beispiellos« für einen Wechsel in den »Kriegswirtschaftsmodus« war für Industriekommissar Thierry Breton das ASAP-Maßnahmenpaket. Trotz aller Euphorie blieb aber der Wermutstropfen, dass beide Programme sowohl zeitlich (bis 2025) limitiert sind wie auch finanziell (ASAP-Volumen 500 Millionen Euro, EDIRPA 300 Millionen) – ein Umstand, der mit den beiden neuen Initiativen nun überwunden werden soll.

Mit Details zu den neuen Rüstungsprogrammen hält sich die Kommission im Vorfeld bedeckt. Aus diversen Äußerungen ist aber ersichtlich, dass EDIS die Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie auch über den Munitionsbereich hinaus zeitlich unbefristet »verbessern« soll. Geplant sind zum Beispiel eine Erfassung vorhandener Produktionsfähigkeiten, das permanente Vorhalten zusätzlicher Produktionskapazitäten sowie bei Lieferengpässen kritischer Rohstoffe eine Art Vorfahrt für die militärische vor der zivilen Nutzung kritischer Materialien. »Weitere Beispiele sind Lagerbestände an Wartungs- und Reparaturmaterial, kritischen Ersatzteilen, Munition, Reserven, flexiblen Produktionskapazitäten sowie die Zusammenlegung und gemeinsame Nutzung spezifischer industrieller Kapazitäten«, so ein EDIS-Vorbereitungspapier der Kommission, über das der Informationsdienst Euractiv berichtet.

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Die Idee für das Investitionsprogramm EDIP tauchte bereits in einer Kommissionsmitteilung im Mai 2022 auf. Im Kern steht seither die Idee, dass sich mehrere Mitgliedsstaaten zu einem Konsortium für Verteidigungsfähigkeiten (EDCC) zusammenschließen können, um sich die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern aus dem EU-Haushalt bezuschussen und eventuell auch von der Mehrwertsteuer befreien zu lassen. In der besagten Kommissionsmitteilung heißt es dazu: EDCC beschaffe »Verteidigungsfähigkeiten zur Nutzung durch die beteiligten Mitgliedstaaten, die in der EU in Zusammenarbeit entwickelt werden und für eine Mehrwertsteuerbefreiung infrage kommen. (…) Die Mehrwertsteuerbefreiung würde auch für den Betrieb, die Wartung und die Stilllegung gelten, die während des gesamten Lebenszyklus von Verteidigungsgütern mit erheblichen Kosten verbunden sind.« Die Hoffnung der Kommission ist es offenbar, damit eine neue Sprosse auf der Militarisierungsleiter zu erklimmen: »Die EDIP-Verordnung könnte als Dreh- und Angelpunkt für künftige gemeinsame Entwicklungs- und Beschaffungsprojekte von hohem gemeinsamen Interesse (…) dienen, insbesondere bei Projekten, die kein Mitgliedstaat allein entwickeln oder beschaffen könnte.«

Der Industriekommissar und sein Rüstungsfonds

Insbesondere die Mehrwertsteuerbefreiung wäre der eigentliche Clou an EDIP, da es hier zunächst einmal weiter um relativ überschaubare direkte Zuschüsse gehen dürfte – bislang ist die Rede von 1,5 bis maximal drei Milliarden Euro in den nächsten zwei bis drei Jahren. Doch das dürfte wie üblich erst der Anfang sein.

Seit einiger Zeit trommeln interessierte Kreise für die Auflage eines üppig ausgestatteten EU-Rüstungsfonds, der alles bisherige in den Schatten stellen würde. Mittlerweile wird die Idee auch von höchsten Stellen unterstützt. Besondere Beachtung fand dabei die Äußerung von Industriekommissar Thierry Breton von Anfang Januar, die er im Zusammenhang mit der geplanten Vorstellung von EDIS und EDIP tätigte – sogar ein genaues Preisschild lieferte er gleich mit: »Um sicherzustellen, dass die gesamte Industrie mehr und mehr zusammenarbeitet, brauchen wir Anreize (…). Ich glaube, dass wir einen riesigen Verteidigungsfonds brauchen, um zu helfen, ja sogar zu beschleunigen. Wahrscheinlich in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro.«

Es sei allerdings dann an der nächsten EU-Kommission, die spätestens wohl Anfang 2025 die Arbeit aufnehmen werde, diesen Fonds auf die Schiene zu setzen – ob es wirklich dazu kommen wird, ist aktuell noch unklar. Außer Frage steht allerdings, dass man auf EU-Ebene dabei ist, einen geschlossenen Rüstungskreislauf zu etablieren, der von der Forschung und Entwicklung (EVF) über die Produktion (ASAP/EDIS), die Beschaffung (EDIRPA/EDIP) bis hin zum Export (EFF) geht. Europa verabschiedet sich von seiner »Zivilmacht«.

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