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Wahl in Belarus: Lukaschenko oder Krieg
Bei der Parlaments- und Regionalwahl gibt sich der belarussische Präsident als einziger Garant des Friedens für sein Land
Nicht einmal Alexander Lukaschenko scheint so ganz genau zu wissen, wie die Wahlen in seinem Land ablaufen. Bei seiner Rede vor der versammelten Führungsriege von Armee, Geheimdienst und Polizei musste der belarussische Staatschef am Dienstag noch einmal nachfragen, ob die Wahllokale schon aufhaben. Ja, das haben sie.
Dabei ist die Abstimmung durchaus wichtig für seine Präsidentschaft. Das erste Mal seit der Präsidentschaftswahl 2020 sind die Menschen in Belarus wieder aufgerufen, ihre Stimme abzugeben, dieses Mal für das Landes- und für regionale Parlamente. Und die Regierung in Minsk ist durchaus nervös, glaubt der Politikwissenschaftler und Analyst Artjom Schraibman. Für die Regierung seien die Wahlen die Gelegenheit, das System nach dem »ernsthaften Schock« von 2020 zu testen und zu schauen, ob alles funktioniert, so Schraibman. Nach den massiven Wahlfälschungen kam es im August vor vier Jahren zu den größten Massendemonstrationen seit den frühen Neunzigern. Über vier Monate gingen die Menschen immer wieder auf die Straße, die Sicherheitsbehörden gingen damals mit äußerster Brutalität vor. Mindestens sechs Menschen starben damals, viele wurden in den Gefängnissen gefoltert.
Wahl ohne Opposition
Unruhen muss die Regierung dieses Mal nicht befürchten. Kandidaten der Opposition sind auf den Wahlzetteln nicht zu finden, auch weil es im Land keine nennenswerte Opposition mehr gibt. Swetlana Tichanowskaja, die 2020 für ihren inhaftierten Mann Sergej antrat und seitdem im Westen als Symbol der Opposition gilt, hat in Belarus selbst keine Macht mehr. Ihr Boykott-Aufruf zur Wahl dürfte niemanden wirklich interessieren.
Auf den ersten Blick scheint die belarussische Parlamentswahl die langweiligste Abstimmung dieses Jahres in Europa zu sein, ohne interessante Kandidaten und ohne inhaltsvollen Wahlkampf. Im Schnitt gibt es weniger als drei Kandidaten für einen der 110 Sitze im Parlament, vor ein paar Jahren waren es noch mehr als doppelt so viele. Und zu sagen haben die Kandidaten nicht viel. Aktivisten haben ein Video mit Wahlspots mehrerer Kandidaten zusammengeschnitten, das entlarvt, wie alle fast im Wortlaut mit denselben Phrasen werben. So etwas habe es zuvor nicht gegeben, erklärt die Journalistin und politische Beobachterin Tatjana Aschurkewitsch im Interview mit dem von der US-Regierung finanzierten Nachrichtensender Radio Swaboda. Die Köpfe im Parlament scheinen austauschbar zu sein, berichten auch belarussische Medien. Bei Agitationsveranstaltungen sei Studenten offen gesagt worden, dass man nicht einen konkreten Menschen wähle, sondern die »Wahrung und Fortsetzung dessen, was wir haben«.
Austausch politischer Kader im Parlament
Doch selbst Lukaschenko, seit 30 Jahren an der Staatsspitze, hat seine Lehren aus den Protesten von 2020 gezogen und forciert das »weiter so« mit frischem Personal. Gerade einmal sieben Prozent der Kandidaten sind aktuell auch Abgeordnete. Bei der vergangenen Wahl 2019 durfte immerhin noch fast jeder dritte sein Mandat behalten.
Man kann davon ausgehen, dass die neue Generation im Parlament mit den gut bezahlten Posten ruhig gestellt und bei Laune gehalten werden soll. Denn wirkliche Macht hat das Parlament im System Lukaschenko nicht. Und mit dem Umbau des politischen Systems im Land schwindet diese noch mehr. Denn in Zukunft, so Lukaschenkos Plan, die Allbelarussische Volksversammlung – eine Art Hybrid aus dem sowjetischen Plenum des ZK der KPdSU und dem chinesischen Nationalen Volkskongress – wie Schraibman die Versammlung für die Plattform »Dekoder« beschreibt, stärkeres Gewicht erhalten und als oberste Führungsinstanz fungieren. Deren Mitglieder sollen in den kommenden Wochen von der Regierung ernannt werden.
Ukraine-Krieg schwebt über der Wahl
Für Lukaschenko und Belarus geht es bei der Wahl aber auch um die eigene Positionierung des Landes und um den Krieg in der Ukraine. Die Regierung, so haben es belarussische Journalisten ausgemacht, betont in ihrer Agitation die Eigentständigkeit. Belarus wird gerne als Anhängels Moskaus betrachtet, mit dem es durch eine Union verbunden ist. In der Vergangenheit hatte sich der Kreml mit jeder Unterstüzung für Lukaschenko bei den Wahlen etwas mehr Einfluss im Nachbarland gesichert. Manch ein Beobachter im Westen kam immer mal wieder mit der Vorstellung um die Ecke, Belarus könnte ganz von Russland geschluckt werden.
Prorussische Losungen gibt es auch jetzt, meint Aschurkewitsch. Daneben stehen aber Aussagen von Kandidaten, dass der Krieg in der Ukraine nicht ihrer sei. Belarus will die Balance, die Zwischenposition wahren, um nicht endgültig zum Pariastaat zu werden.
Ohne Lukaschenko gibt es Krieg
Zu Beginn der Wahl hat Lukaschenko, der Moskau sein Land als Aufmarschgebiet für die Invasion der Ukraine im Februar 2022 zur Verfügung stellte, vor dem Übergreifen des Krieges auf Belarus gewarnt. Angeblich, so erklärte es Verteidigungsminister Wiktor Chrenin, stünden 112 000 ukrainische Soldaten an der Grenze. Bei seiner Rede vor der versammelten Führungsriege von Armee, Geheimdienst und Polizei behauptete Lukaschenko, dass der Westen Belarus ins Wanken bringen wolle und präsentierte drei mögliche Umsturzszenarien. Die Wahl stilisierte er zugleich zum Widerstand gegen diese Pläne hoch. »Wir werden die Wahl durchführen. Niemand wird ihnen die Macht einfach so auf dem Teller servieren. Für Belarus ist die Macht mehr als die Macht. Es geht um Leben und Tod. Von uns, unseren Kindern und unseren Enkeln«, wütete Lukaschenko. Höher kann man kaum ins Rhetorik-Regal greifen.
Lukaschenkos Message ist eindeutig. In seiner hybriden Form hat der Krieg Belarus bereits erreicht. Auf einen echten Krieg ist das Land nicht vorbereitet. Allein seine starke Hand kann das Land davor bewahren, dass ukrainische, oder noch schlimmer, Nato-Soldaten auf Minsk zurollen, behauptet der belarussische Präsident. Zur Abwehr dieser vermeintlichen Gefahr hat die Regierung das Leben in Belarus in den vergangenen Monaten zunehmend militarisiert und plant den Aufbau von Bürgerwehren. Für die Propagandisten und Agitatoren steht das belarussische Wahlvolk in diesen Tag vor der Entscheidung: Lukaschenko oder Krieg.
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