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Thüringer sind privat zufrieden, politisch frustriert
Neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung sieht zugleich großes Wählerpotenzial für Wagenknecht-Partei
Thüringen ist und bleibt ein Land voller Widersprüche. Einerseits sind sehr viele Menschen mit ihrer derzeitigen Lebenssituation zufrieden. Über alle Altersgruppen und alle Parteipräferenzen hinweg ist mindestens die Hälfte der Bürger glücklich damit, wie es ihnen geht. Das geht aus einer Studie des Thüringer Landesbüros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung hervor, die die Autoren am Donnerstag in Erfurt vorstellten.
So sagten bei den 40- bis 49-Jährigen beispielsweise fast drei Viertel der Befragten, sie seien zufrieden mit ihrer derzeitigen Lebenssituation. Nur bei den 18- bis 29-Jährigen ist diese Zufriedenheit deutlich geringer ausgeprägt, liegt aber immer noch bei 50,5 Prozent.
Andererseits zeigt die Studie, wie groß der Frust einer Mehrheit mit der Politik ist – und zwar unabhängig davon, wie die Menschen über die Kompetenzen konkreter Regierungs- oder Oppositionspolitiker urteilen. So gaben in der Studie etwa zwei Drittel der Befragten an, sie seien mit der Arbeit der Landesregierung unzufrieden. Nur etwa 27 Prozent zeigten sich mit der Arbeit des Kabinetts von Bodo Ramelow (Linke) einverstanden.
Ramelows Arbeit selbst bewerteten 52 Prozent der Menschen negativ. Mit der Arbeit des CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt und des AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke waren 59 beziehungsweise rund 54 Prozent der Befragten unzufrieden.
Dennoch liegt der Ministerpräsident in Sachen Zufriedenheit mit der Arbeit weiter vor der politischen Konkurrenz. Die Qualität seiner Arbeit bewerten 35 Prozent der Befragten positiv. Das tun aber auch 27 Prozent mit Blick auf das Agieren des Faschisten Höcke. Auf Platz drei folgt CDU-Spitzenkandidat Voigt mit 24 Prozent der Befragten, die mit seiner Arbeit zufrieden sind.
Die Ergebnisse der Befragung mit dem Titel »Wie tickt Thüringen?« sind nach Angaben der Autoren Hatto Frydryszek und Roland Merten repräsentativ. Dafür waren Ende 2023 insgesamt 1500 wahlberechtigte Thüringer im Alter ab 18 Jahren mit Hilfe des Meinungsforschungsinstituts Civey befragt worden.
Aus Sicht von Merten zeigt die Studie, dass es die Landespolitik in Thüringen in den vergangenen Jahren nicht geschafft hat, Antworten auf Fragen zu geben, die die Menschen in ihrem Alltag umtreiben – wobei es zu Problemlagen auch widersprüchliche Angaben gab.
Der größte Widerspruch: Insbesondere für Menschen abseits der größeren Städte ist Migration ein zentrales Thema. Dabei gibt es in vielen kleinen Gemeinden nach wie vor keine oder nur sehr wenige Migranten. »Das heißt, das Thema Migration kommt auf dem Lande effektiv nicht vor«, sagte Merten. Dennoch sei es in der Wahrnehmung vieler Menschen dort von enormer Bedeutung.
Die hohen Zustimmungswerte für die AfD zeigen nach Einschätzung von Merten, dass sehr viele Menschen diese Partei aus Überzeugung unterstützen. »Wir haben es bei der Frage der AfD-Wähler nicht mit Protestwählern zu tun, das muss man ganz klar feststellen«, sagte Merten. Sprich: Sie wissen, wen sie wählen, und tun es gerade deshalb.
Ein wichtiger Teil der potenziellen oder tatsächlichen AfD-Wähler sind laut der Befragung junge Männer, die abseits der Städte leben und eine geringe formale Qualifikation haben. Wenn es den etablierten Parteien im Freistaat nicht gelinge, diese jungen Menschen zu erreichen, indem sie zum Beispiel in den sozialen Medien präsenter werden, drohe sich bei diesen das Gefühl des Abgehängtseins zu verfestigen, so die Studienautoren. Unter den 18- bis 29-Jährigen traut fast die Hälfte der Befragten der AfD zu, am ehesten die Probleme des Landes zu lösen.
Als größte Herausforderungen, um die sich die Landespolitik stärker kümmern sollte, sehen die Thüringer die Bereiche Migration (57 Prozent) und Bildungspolitik (36 Prozent).
Die Studie hat auch das Wählerpotenzial für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Freistaat ausgelotet. Demnach gaben 15 Prozent der Befragten an, sie würden die neue Partei »auf jeden Fall« wählen, weitere 12 Prozent können sich das gut vorstellen. Das BSW könnte laut der Studie sehr viele Nichtwähler mobilisieren. Von den anderen Parteien würden Die Linke, die FDP und die AfD am meisten Stimmen an das Bündnis verlieren.
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