- Politik
- Gewerkschaften in der Ukraine
Kampf an zwei Fronten
Ukrainische Gewerkschafter*innen müssen sich auch gegen den Staat verteidigen
Vor zwei Jahren ist die russische Armee in der Ukraine einmarschiert. Anlässlich des Jahrestages gab es am Samstagabend in Berlin auch eine Veranstaltung zur Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung. Diese vom Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West vorbereitete Diskussion im Berliner Haus der Demokratie setzte mit dem Bezug auf Gewerkschaften besondere Akzente. Dort waren Gewerkschafter*innen verschiedener Verbände, die vor dem Krieg oft getrennte Wege gingen, zusammen auf dem Podium.
»Die ukrainischen Gewerkschaften kämpfen an zwei Fronten. Einerseits sind sie mit den Folgen des russischen Angriffs konfrontiert und dann müssen sie sich noch gegen Angriffe des ukrainischen Staates wehren«, betonten Rente Hürtgen und Bernd Gehrke zu Beginn der Veranstaltung. Die beiden linken DDR-Oppositionellen engagieren sich im AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West und haben die Veranstaltung organisiert. Zur Verteidigung der sozialen und gewerkschaftlichen Rechte in der Ukraine sei Solidarität aus Deutschland »gerade heute besonders notwendig«, so die Veranstalter.
»In den letzten Jahren hat sich die Kooperation zwischen den unterschiedlichen Gewerkschaften gut entwickelt«, berichtet Vasyl Andreyev, der Vorsitzende der der Gewerkschaft der Bauarbeiter in der Ukraine (Profbud), der ebenso wie sein Stellvertreter Oleg Borysov per Videochat aus der Ukraine zugeschaltet war. Diese engere Zusammenarbeit hat mehrere Gründe, die die beiden klar benannten. Dazu gehören die Mitgliederverluste wegen der Massenauswanderung vieler Menschen, die kriegsbedingte Schließung zahlreicher Fabriken, aber auch die klar antigewerkschaftliche Politik der ukrainischen Regierung, erklärten Borysov und Andreyev.
»Es gibt in der Ukraine ein neues Gesetz, das die Gewerkschaftsfreiheit stark einschränkt«, sagte Andreyev. Stark zugenommen hätten in den letzten zwei Jahren auch Arbeitsunfälle. Vermehrt sei es zu Schwerverletzten und auch zu tödlichen Unfällen gekommen, weil betriebliche Kontrollen kriegsbedingt stark zurückgefahren wurden: »Uns bleibt nur der juristische Weg, um die Rechte der Beschäftigten durchzusetzen.« Wie sein Kollege Borysov kritisiert Andreyev, dass die staatlichen Institutionen eine feindliche Haltung gegenüber den Gewerkschaften einnähmen. Einige Kapitalverbände seien zu Verhandlungen bereit, weil sie merkten, dass es Vorteile bringt. »Doch vom Staat gibt es keine Verhandlungsbereitschaft«, so Andreyev.
Auch Natalia Zemlyanska, die Vorsitzende der ukrainischen Gewerkschaft USPP, die Soloselbstständige und prekär Beschäftigte organisiert, die beispielsweise in der Hauswirtschaft tätig, beschrieb eine feindliche Haltung des Staates gegen ihre Gewerkschaft. Ein Mitglied des Vorstands sei sogar im Gefängnis, weil es sich in den letzten Monaten gegen die neoliberale Politik der Regierung gewehrt hatte.
Zemlyanska beschrieb am Beispiel eines Gesetzes über Kuraufenthalte, wie soziale Rechte aus der Sowjetunion im ukrainischen Kapitalismus geschleift werden. Sogar ihr Gewerkschaftszentrum in Kiew könnten sie verlieren, die Regierung will das von den Kolleg*innen aufgebaute Haus privatisieren, sagte Zemlyanska. Sie betonte die Wichtigkeit eines Austauschs mit Gewerkschafter*innen verschiedener Länder, um aus den Erfahrungen beim Kampf um die Rechte im Kapitalismus zu lernen.
Im April will sie nach Deutschland kommen, um sich über den Aufbau und die Funktionsweise der Jobcenter aus Sicht der Behörden zu informieren. Denn auch in der Ukraine werden in Zukunft viele Menschen von Erwerbslosigkeit betroffen sein, sagte sie.
Auch strittige Themen hat Zemlyanska angesprochen. So wünscht sie sich, dass die nach dem russischen Einmarsch aus der Ukraine nach Deutschland geflohenen Menschen bald wieder in ihre Heimat zurückkehren. Solange sie in der Bundesrepublik leben, sind sie Quasi-Wanderarbeiter*innen. Um die Verteidigung ihrer Rechte kümmert sich unter anderem Kateryna Danilova, die ebenfalls auf der Veranstaltung sprach. Sie arbeitet als Beraterin bei der Menschenrechtsinitiative Faire Integration, die von der DGB-Gewerkschaft IG BAU finanziert wird und beim Protest auf der Raststätte Gräfenhausen auch ukrainische LKW-Fahrer unterstützt hat.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.