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Mythos Klimageld
Das versprochene Klimageld kommt doch nicht. Ärgerlich, aber das Instrument wird ohnehin überschätzt
In Fachkreisen war die Empörung groß, als die Ampel kürzlich bekannt gab, dass das ersehnte Klimageld in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen wird. Verständlich, reihte sich die Nachricht doch in die lange Kette gebrochener Versprechen und nachträglich in Regierungskreisen eigenwillig interpretierter klimarelevanter Passagen des Koalitionsvertrags ein. Das Klimageld, also die Idee, den staatlich erhobenen CO2-Preis per Kopfpauschale an alle Bürger*innen zurückzugeben, gilt als die soziale Klimaschutzmaßnahme schlechthin. Doch dieser Mythos ist fragwürdig.
Nüchtern betrachtet ginge es um eine überschaubare Zahlung – beim gerade auf 45 Euro pro Tonne CO2 für Heiz- und Brennstoffe angehobenen Preisniveau wären es maximal 180 Euro pro Kopf und Jahr. Dass sich damit die gesellschaftliche Sprengkraft der Klimafrage befrieden ließe, scheint eine eher fromme Hoffnung.
Der Mythos Klimageld ist eng verbunden mit dem diskursiven Stellenwert der CO2-Bepreisung als goldener Klimaschutzlösung. Auch dies ist übertrieben: In den betreffenden Sektoren würden nach Prognosen des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft selbst durch einen vervierfachten – politisch unrealistischen – CO2-Preis von 180 Euro pro Tonne im Jahr 2030 nur zwischen 5 und 21 Prozent der Emissionen eingespart. Ein CO2-Preis kann bestenfalls ergänzend wirken. Das unterstreicht selbst das Umweltbundesamt, das für 2030 mit noch höheren Preisen rechnet.
Der Verteilungseffekt des Klimagelds wäre tatsächlich insgesamt progressiv: Reiche emittieren eben mehr. Im Einzelfall hinge die Gesamtbilanz aber stark von schwer beeinflussbaren Faktoren wie der Heizausstattung in Mietwohnungen ab. Bei höherem CO2-Preis bedeuteten diese Summen eine relevante Entlastung für ärmere Haushalte. Auch wenn es dafür gezieltere Möglichkeiten gäbe: Der CO2-Preis erfordert ein soziales Korrektiv.
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.
Den Klimaeffekt des CO2-Preises allerdings dürfte das Klimageld dämpfen: Natürlich bliebe der CO2-Sparanreiz bestehen, doch viele dürften die Botschaft so verstehen: »Wenn du dich durchschnittlich verhältst, kannst du weitermachen wie bisher.« Dieser Durchschnitt soll langsam sinken. Und der CO2-Preis flösse so nicht in klimafreundliche Infrastrukturen, sondern in den Individualkonsum.
Das Klimageld wäre also kein großer Wurf und doch besser als nichts. Das Kernproblem liegt in der Überhöhung des Instruments: Das Klimageld wird immer da hochgehalten, wo klassisch-technokratisch »gesellschaftliche Akzeptanz« geschaffen werden soll. Klimaschutz soll eine individualisierte Konsumfrage bleiben, bloß etwas verbindlicher geregelt. Mit einem Taschengeld die Leute ruhigstellen – kann das gutgehen? Dass die Formel »CO2-Preis plus Klimageld« als Patentlösung für »sozialen Klimaschutz« diskutiert wird, zeugt vom armseligen Zustand des klimapolitischen Klein-Klein, von der Dominanz des Zombies Neoliberalismus und seiner offenen Flanke nach rechts sowie von einem traurig verkürzten Verständnis von Klimagerechtigkeit.
Letztlich bedeutet diese diskursive Verengung nicht nur schwachen Klimaschutz, sondern raubt der Klimadebatte jede Qualität: Wie wäre es mit höherer Lebensqualität, besserer Gesundheit, sozialer Gerechtigkeit und viel effektiverem Klimaschutz durch weniger Arbeit, umgebaute Quartiere mit bezahlbarem Wohnraum, regionalisierte Landwirtschaft? Wir brauchen wenigstens bessere Mythen.
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