Senegal: »Macky Sall hat Angst vor der Justiz«

Abdou Diagne über den senegalesischen Präsidenten und die Verfassungskrise des Landes

  • Interview: David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.

Der einst politisch so stabile »Musterstaat« Senegal gibt seit ein paar Jahren kein gutes Bild mehr ab, was die Demokratie und politische Prozesse anbelangt. Bei zahlreichen heftigen Proteste gab es viele tote Zivilisten zu beklagen. Wie ist derzeit die Stimmung im Lande?

Die Stimmung ist getrübt. Die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl setzen ihre Wahlkampagne trotz massiver Polizeischikanen fort und befolgen nicht den unglaubwürdigen Aufruf von Präsident Macky Sall zum Dialog. Sall befindet sich offiziell nur noch bis zum 2. April im Amt und hat versucht, die Wahlen illegalerweise auf Dezember 2024 zu verschieben.

Sie sprechen es an: Noch-Präsident Macky Sall hat die Präsidentschaftswahl vom 25. Februar verschieben lassen. Nun hat das Verfassungsgericht diese Verschiebung kassiert. Wann finden die lang erwarteten Präsidentschaftswahlen nun statt?

Nach seinem Urteil vom 15. Februar hat das Verfassungsgericht Sall aufgefordert, die Präsidentschaftswahl so schnell wie möglich zu organisieren. Laut Verfassung ist Sall am 2. April nicht mehr Präsident, und die Opposition fordert, die Präsidentschaftswahl unbedingt vor dem 2. April stattfinden zu lassen. Respektiert er unsere Verfassung, organisiert er die Wahlen also vor dem 2. April.

Wie geht es Ihrem Parteichef, dem zurzeit in Haft befindlichen Haupt-Oppositionsführer Ousmane Sonko? Hat er sich von seinem Hungerstreik erholt? Haben Sie Kontakt zu ihm?

Ich habe zu Ousmane Sonko derzeit keinen direkten Kontakt. Ihm geht es den Umständen entsprechend aber gut. Seine Anwälte und viele Parteifreunde in Senegal haben Zugang zu ihm.

Ihre linke Partei Pastef wurde verboten, ist von der Präsidentenwahl folglich ausgeschlossen. Warum eigentlich?

Präsident Macky Sall hat bereits bei seiner Wiederwahl zur zweiten Amtszeit im April 2019 politische Gegner ausgeschlossen, beispielsweise den Sohn des früheren Präsidenten Abdoulaye Wade, Karim Wade, und den bekannten früheren Minister und ehemaligen Bürgermeister von Dakar, Khalifa Sall. Warum? Beide hätten seiner zweiten Amtszeit im Wege stehen können. Fadenscheinige Gründe wurden seinerzeit seitens der Regierung angeführt. Ousmane Sonko, Dritter bei der Wahl 2019, und Pastef gewinnen zunehmend an Popularität und ziehen immer mehr junge Menschen an, die wohlgemerkt die Mehrheit der Wähler bilden.

Das Verbot der Partei Pastef und der Prozess gegen die »Hoffnung der Jugend«, Ousmane Sonko, waren offenbar politisch motiviert. Wieso hat Sall so viel Angst vor einem möglichen neuen Präsidenten Sonko?

Macky Sall hat Angst, vor Gericht gestellt zu werden. Ousmane Sonko hat seine Politik der fetten Wirtschaft und Korruption massiv kritisiert. In seinem Buch »Petrole et Gaz au Senegal, Histoire d’une spoliation« (Öl und Gas in Senegal, Geschichte einer (staatlichen) Plünderung) bezichtigt Ousmane Sonko direkt Präsident Macky Sall und seine »Entourage« der Veruntreuung bei der Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen des Landes. Diese Anschuldigungen halten sich dauerhaft und wurden in einer BBC-Dokumentation vom Juni 2019 bestätigt. Namentlich steht der Bruder des senegalesischen Präsidenten, Aliou Sall, in Verdacht, Bestechungsgelder in Höhe von 245 000 Dollar erhalten zu haben, was von Präsident Macky Sall bestritten wurde.

Nach dem Parteiverbot haben einige frühere Pastef-Mitglieder bei anderen Koalitionen und Parteien angeheuert. Wer hat die besten Karten gegen den Kandidaten der Regierungskoalition?

Die besten Karten hat trotz seiner Inhaftierung Bassirou Diomaye Faye, die rechte Hand von Ousmane Sonko, Er hat die Hürde der so wichtigen »Parrainage« genommen. Dabei muss vorab jeder Kandidat mindestens ein Prozent der Wähler als »Paten« vorweisen, die sich für ihn als Kandidaten aussprechen und in eine Liste eintragen. Dafür ist Bassirou Bassirou Diomaye Faye mit mehreren Oppositionsparteien ein Bündnis namens »Diomaye, Président« eingegangen.

Was sind die dringendsten politischen Projekte, damit der Senegal wieder zur Ruhe kommt?

Am dringlichsten sind – und dafür kämpfen die Senegalesen – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und faire Wahlen. Drei Prinzipien, die derzeit stark infrage gestellt sind. So sind etwa Hunderte politische Gefangene über Monate illegalerweise in Haft genommen, ohne dass sie jemals einem Richter vorgeführt wurden. Eine Schande für den Senegal.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.