Jörg Pauly: Linkes Urgestein und hemmungsloser Optimist

Jörg Pauly ist seit 1958 Parteimitglied und etwas anderes als Die Linke kommt für ihn nicht infrage

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Jörg Pauly ist doppelt Genosse - in der Linken und auch hier beim »nd«.
Jörg Pauly ist doppelt Genosse - in der Linken und auch hier beim »nd«.

»Du musst hemmungsloser Optimist sein, um in dieser Partei zu sein«, sagt Jörg Pauly. 1958 ist er Kandidat der SED geworden und ihren Nachfolgeparteien und der sozialistischen Idee in allen Höhen und Tiefen treu geblieben. Niemals, nicht eine Sekunde lang, habe er den Austritt erwogen, versichert der 84-Jährige. Die Wagenknecht-Partei BSW sei für ihn keine Alternative. »Wer so größenwahnsinnig ist, der Partei den eigenen Namen zu geben ...«, erklärt Pauly.

Für sein jahrzehntelanges unermüdliches Engagement erhielt Pauly Ende November bei einem Landesparteitag einen Blumenstrauß – stellvertretend für die vielen anderen alten Genossen im Landesverband, die genauso handeln wie er. Hinter der Ehrung stand die gute Idee, nicht nur zwei Neumitglieder mit einem Blumenstrauß zu begrüßen, sondern auch zwei langjährige Mitstreiter zu würdigen. Neben Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform wurde Jörg Pauly für diese Ehrung ausgewählt.

Dabei hat er einiges zu kritisieren. Zum Beispiel werde die politische Bildung vernachlässigt, die doch gerade für die Neumitglieder so wichtig wäre, findet Pauly. Denn die müssten sich die Grundlagen der marxistischen Theorie sonst im Selbststudium aneignen. Schulstoff sei dies ja nicht mehr seit dem Ende der DDR. »Ich fand die DDR gut«, bekennt Pauly. Er kann das erklären: »Die DDR war Frieden und es hatten dort fast alle viele Möglichkeiten.«

1939 geboren, ist Pauly ein Kriegskind. Der Vater musste im Zweiten Weltkrieg als Soldat an die Ostfront und kehrte nicht zurück. Die Mutter habe sich lange geweigert, Witwen- und Waisenrente zu beantragen, weil sie hoffte, ihr im Krieg vermisster Mann werde doch noch heimkehren. Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. »Wir hatten es schwer«, erzählt Pauly, der mit vier Geschwistern aufwuchs. 1946 eingeschult, habe er im Winter anfangs nicht zum Unterricht gekonnt, weil er keine Schuhe hatte. Trotz dieser Armut haben vier von fünf Kindern der Familie später studiert. Dafür ist Pauly dem Arbeiter- und Bauernstaat DDR dankbar – zumal er gar kein Arbeiterkind sei. Sein Vater sei bei der Post beschäftigt gewesen. Das alles heißt nicht, Pauly habe in der DDR alles kritiklos hingenommen. Es sei gut gedacht, aber nicht immer gut gemacht gewesen, bedauert er. Doch die Idee des Sozialismus fand er damals schon gut und sie überzeugt ihn noch immer.

Nach der Schule fing der Urberliner beim Haupttelegrafenamt an, wechselte dann in die FDJ-Kreisleitung Berlin-Mitte und wurde zum Fernstudium an die Fachschule für Klubleiter nach Meißen delegiert. Am 1. Januar 1964 wechselte er in den Rat des Stadtbezirks. »Das weiß ich wie heute, weil es so kalt war. Am ersten Arbeitstag war Schneeschippen angesagt.« In den 70er-Jahren qualifizierte sich Pauly nach Feierabend durch ein Fernstudium an der Humboldt-Universität zum Juristen. Bis zur Wende war er dann in der Abteilung Finanzen tätig – erst im Stadtbezirk und dann nach der Zentralisierung dieser Aufgabe beim Ostberliner Magistrat.

Noch am 30. Juni 1990, dem Tag der Währungsunion, habe er Kaufverträge für Grundstücke abgeschlossen, erinnert sich Pauly. Wer sich in der DDR ein Eigenheim baute, hatte für Grund und Boden in aller Regel ein unentgeltliches und unbefristetes Nutzungsrecht. Die Regierung von Ministerpräsident Hans Modrow (SED) hatte es den Betroffenen in weiser Voraussicht dann ermöglicht, die Grundstücke kurz vor Toresschluss noch zu günstigen Konditionen zu erwerben.

Kollegen von Pauly sind vom Westberliner Senat für Verwaltungstätigkeiten übernommen worden. Er selbst wurde 1990 zwei Tage vor Weihnachten vor die Tür gesetzt – »wegen Systemnähe«. Überrascht hat ihn die Kündigung nicht. Er habe gewusst, dass dies nur eine Frage der Zeit sei, erzählt Pauly. Es erging ihm wie vielen anderen Ostdeutschen. Er war arbeitslos, schlug sich mit Weiterbildungen, einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und Gelegenheitsjobs durch, bis er Ende der 1990er Jahre Geschäftsführer der Linksfraktion im Bezirk Friedrichshain wurde und schließlich in Rente ging.

Viele Jahre lang wirkte Pauly beim »Stralauer Kiezblatt« der Partei mit, verfasste Beiträge und verteilte das Blatt. Im Bezirksvorstand Friedrichshain hat er gesessen und im Sprecherrat des Ortsverbands Friedrichshain-Südost ist er noch heute. Er hat in der Kommission politische Bildung und in der AG Senioren mitgearbeitet und im Wahlkampf Plakate aufgehängt. Dafür fühlt er sich gesundheitlich nun nicht mehr in der Lage. Jüngere sollen übernehmen. »Ich kann mit ruhigem Gewissen sagen: Mit 84 Jahren ziehe ich mich aus der aktiven Arbeit zurück. Jetzt gehe ich nur noch zur Versammlung.«

Unverzichtbar bleibt er wie andere alte Genossen. Der Landesverband ist auf ihre Mitgliedsbeiträge angewiesen. Genosse ist Pauly übrigens in doppelter Hinsicht. Er gehört zu den Mitgliedern der Genossenschaft, die das »nd« seit Anfang 2022 herausgibt. Damals zeichnete er für 500 Euro einen Anteil. Als die Zeitung im Sommer 2023 in Existenznot geriet, legte er mit 500 Euro für einen zweiten Anteil nach. Seit den 50er Jahren ist Pauly nd-Leser und möchte auf die Lektüre nicht verzichten. Er hat drei Kinder und drei Enkel.

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