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Krise der Solarbranche: Zweiter Sonnenuntergang in Freiberg
Mit Meyer Burger steht in der sächsischen Stadt nach 2018 erneut ein großer Photovoltaik-Hersteller vor dem Aus
Am 14. März veröffentlicht der Solarhersteller Meyer Burger turnusgemäß Geschäftszahlen. Bis zu diesem Termin hat die Bundespolitik Zeit, dem Unternehmen unter die Arme zu greifen. Er hoffe auf eine Lösung »auf die allerletzte Sekunde«, sagte CEO Gunter Erfurt. Kommt sie nicht, wird das Werk im sächsischen Freiberg, in dem 500 hoch qualifizierte Mitarbeiter Solarmodule fertigen, Ende April geschlossen. Schon in der ersten Hälfte des Monats März werde die Produktion eingestellt, erklärte Meyer Burger in einer Mitteilung für die Börse.
In Freiberg droht damit der zweite Sonnenuntergang. Vor sechs Jahren war dort bereits die Solarworld AG in die Insolvenz gerutscht, 3000 Beschäftigte verloren ihre Jobs. Die Firma galt lange als Vorzeigeunternehmen der deutschen Energiewende. Dann aber verlor sie wegen der Billigkonkurrenz aus China im weltweiten Wettbewerb zunehmend den Anschluss, rutschte in die Insolvenz und gab 2018 auf.
Drei Jahre später zog Meyer Burger in die verwaisten Hallen am Rand von Freiberg ein, schürte in der sächsischen Stadt neue Hoffnungen auf eine sonnige Zukunft – und scheitert nun an den gleichen Rahmenbedingungen wie einst Solarworld. China flutet den europäischen Markt mit Modulen zu Kampfpreisen, seit diese wegen der aktuellen US-Industriepolitik in Übersee nicht mehr abgesetzt werden können. Von »aktuellen Marktverzerrungen durch Überangebot und Dumpingpreise bei Solarmodulen« ist in der Börsennotiz die Rede. Meyer Burger schrieb im Jahr 2023 Verluste von 126 Millionen Schweizer Franken und hat Module mit 360 Megawatt Leistung auf Lager liegen.
Die Branche hatte auf Unterstützung aus Europa und Berlin gehofft. Allerdings ist ein zu diesem Zweck geschnürtes »Solarpaket 1« vergangene Woche im Bundestag nicht beschlossen worden. Es sieht unter anderem »Resilienz-Boni« vor. Das sind Kaufanreize für Kunden, die sich für Module aus heimischer Produktion entscheiden. Doch die Berliner Koalition ist auch in dieser Frage uneins. Vor allem aus der FDP kommt Widerstand. Deren Bundestagsabgeordneter Frank Schäffler schrieb kürzlich im Twitter-Nachfolger X zum Bild einer Meyer-Burger-Werkhalle: »Wenn ein Geschäftsmodell nur mit Subventionen funktioniert, ist es keins.«
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In den USA wird ein anderer Kurs gefahren; dort wird unter dem »Inflation Reduction Act« viel Steuergeld in den Ausbau von Zukunftsindustrien gesteckt. Voraussetzung ist eine Produktion in den USA. Meyer Burger nutzt diesen Rückenwind und errichtet zwei Werke in Colorado und Arizona. Um das nötige Kapital aufzubringen, wurde gerade zu einer außerordentlichen Generalversammlung eingeladen, auf der es um Bezugsrechteemissionen in Höhe von 200 bis 250 Millionen Schweizer Franken gehen soll. Manager Gunter Erfurt schwärmt vom »hochprofitablen US-Geschäft« und langfristigen Abnahmegarantien. Dies mache »unabhängiger von politischen Entscheidungen in Europa«.
Dort droht der Branche derweil erneut das Aus. Meyer Burger, der größte Hersteller in Europa, wird zwar eine Niederlassung im sächsischen Hohenstein-Ernstthal weiter betreiben, in der Maschinen und Ausrüstungen gefertigt werden. Auch ein Werk im einstigen ostdeutschen »Solar Valley« in Thalheim (Sachsen-Anhalt), wo Siliziumzellen gefertigt werden, läuft als Zulieferer für die neuen US-Niederlassungen weiter. Die Endfertigung in Freiberg aber ist akut bedroht, zum Entsetzen sächsischer Politiker. Man habe »aus politischen Gründen heraus eine Zukunftsbranche vertrieben«, wettert Dirk Neubauer, parteiloser Landrat in Mittelsachsen. Wolfram Günther, grüner Umweltminister im Freistaat, nennt es »absurd«, dass die heimische Solarindustrie in Zeiten eines globalen Solarbooms scheitere. Man laufe Gefahr, »zum zweiten Mal eine strategisch wichtige Branche zu verlieren« und sich in einseitige Abhängigkeit von China zu begeben. Stefan Hartmann, Ko-Landeschef der Linken, übte geharnischte Kritik an Verantwortlichen in Bund und Land. Diese flögen »im Blindflug Richtung wirtschaftlicher Abschwung«. Es brauche keine Schuldenbremse »als religiöser Fetisch des Finanzministers«, sondern gezielte Investitionen in Zukunftstechnologien.
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