Verflüchtigte Wasserstoffvisionen

Bei neuen Gaskraftwerken bahnt sich ein Standortkonflikt zwischen dem Osten und dem Süden an

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer früher in die Cottbuser Stadthalle zu einer Energietagung kam, sah sich stets einer von der Kohlegewerkschaft herbeibeorderten, großen Gruppe demonstrierender Bergarbeiter gegenüber. Im Haus selbst machten ausgesuchte Azubis des Lausitzer Braunkohleverstromers Leag darauf aufmerksam, dass der Kohleausstieg ihre Zukunft gefährde. Bei der Strukturwandelkonferenz des Energiebranchenverbandes BDEW stand in deser Woche nur ein kleiner Haufen protestierender Bauern und forderte den Rücktritt des Bundeswirtschaftsministers.

Der Grüne Robert Habeck verlor auf dem Podium in Cottbus über die Kohle zunächst kein Wort. Nach einer Stunde fiel das Wort zum ersten Mal, eingeworfen vom Moderator. Denn für die Leag hatte der Minister eine gute Nachricht: Zu Ostern werde bei der EU-Kommission endlich die Notifizierung der Beihilfe durchgebracht, sagte Habeck. Wegen des Kohleausstiegs 2038 sollen der Leag Gewinne entgangen sein. Dafür hatte die Bundesregierung dem Stromkonzern vertraglich 1,75 Milliarden Euro Entschädigung zugesichert.

Das ist drei Jahre her. Seitdem versucht das Wirtschaftsministerium, der EU-Kommission plausibel zu erklären, warum der Leag eine derart hohe Summe zusteht. Das ist nicht einfach, denn der andere deutsche Braunkohlekonzern RWE steigt schon 2030 aus, weil der Strommarkt und der Klimaschutz die Kohleverstromung unrentabel werden lassen. Beobachter erwarten deswegen, dass die Leag nicht die volle Entschädigungssumme erhalten wird. Zudem ist in Cottbus zu hören, dass auch das Versprechen, die EU-Kommission bis Ostern zu überzeugen, auf wackligem Grund stehe.

War das die gute Nachricht aus Cottbus, so sorgt eine andere aus dem Hause Habeck für neue Sorgenfalten in den Kohleregionen des Ostens: die kürzlich vorgelegte Kraftwerksstrategie. Das Wirtschaftsministerium will zunächst nur 10 000 Megawatt neue Gaskraftwerke bauen lassen, um die schwankende Energieerzeugung aus Wind und Sonne abzusichern. Ursprünglich lautete der Plan, knapp 24 000 Megawatt neue Kraftwerke auszuschreiben, die das Beiwort »H2-ready« tragen, also später mit Wasserstoff statt mit fossilem Erdgas laufen sollen.

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Nicht nur die Kürzung macht der Leag zu schaffen. Die neuen Kraftwerke sollen auch noch bundesweit auf vier Standorte aufgeteilt werden – allein die Leag plant aber die Errichtung an mehreren Standorten. Bei insgesamt nur vier könnte sie nun unter Umständen leer ausgehen. »Händeringend« warte sein Unternehmen auf die Ausschreibungen für die Kraftwerksstrategie, sagte Konzernchef Thorsten Kramer. Für die entsprechenden Anlagen habe die Leag drei Standorte in der Lausitz sowie einen in Leipzig im Blick, die allesamt »beste« Voraussetzungen für H2-ready-Kraftwerke böten. Kramer hofft auf einen fairen Wettbewerb bei den Ausschreibungen und darauf, dass in der Region zwei oder drei der bestehenden Kraftwerksstandorte dann wieder belegt werden. Die neuen Wasserstoffanlagen sollten die Region versorgen, aber auch die Netzstabilität im Osten sicherstellen.

Mit der Netzstabilität argumentieren aber auch andere. So plädieren Vorstände von Energie Baden-Württemberg für eine »Regionalkomponente« in den Ausschreibungen, um die Versorgungssicherheit im Südwesten zu gewährleisten. Die neuen Kraftwerke müssten an den richtigen Standorten entstehen, vorwiegend im Süden.

Habeck bremste allerdings beide Seiten erst einmal aus. Zurzeit kämpfe sein Haus mit der EU-Kommission darum, wann die zunächst erdgasbefeuerten Kraftwerke wirklich auf Wasserstoff umgestellt werden. Die EU wolle nicht, dass Deutschland Gaskraftwerke fördert, sagte Habeck, sondern die Mittel sollten nur Wasserstoffanlagen zuteil werden.

Mit der deutlichen Kürzung bei den neuen Kraftwerken auf 10 000 Megawatt haben sich auch einige der in den östlichen Kohleregionen gepflegten Wasserstoffvisionen verflüchtigt. Mit einem breiten Einsatz des Energieträgers wird nicht mehr vor 2028 gerechnet.

Positiv wurden in Cottbus die Beschlüsse zum Wasserstoff-Kernnetz bewertet. Allerdings schrecken Investoren bisher davor zurück, die Milliarden zur Finanzierung herauszurücken. Die Risiken seien einfach noch zu hoch, war vom Tagungspodium zu hören. Zudem erinnerte BDEW-Vizechefin Kirsten Westphal daran, dass der Einsatz des grünen Wasserstoffs kein Selbstzweck sei, sondern dem Ziel der Klimaneutralität und der Dekarbonisierung diene. Anders gesagt: Es kommt nicht auf die reine Menge des H2 an, sondern auf den sinnvollen Einsatz.

Für weitere Ernüchterung bei den Wasserstoff-Fans sorgten zum Konferenzabschluss die Länderchefs von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Dietmar Woidke (SPD) aus Potsdam will Wasserstoff vor allem regional erzeugen und dann nur stofflich nutzen, beispielsweise für synthetischen Flugzeugtreibstoff. Von dem H2-ready-Konzept, wie es Habeck und die Leag verfolgen, hält der SPD-Politiker nichts. Wenn er höre, jemand baue jetzt ein Gaskraftwerk und wolle dann den Wasserstoff aus Katar oder sonst woher holen und verbrennen, dann könne man das Geld gleich in den Ofen stecken, rief Woidke in den Saal.

Für den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) steckt Wasserstoff noch in den Kinderschuhen. Erst müsse noch geforscht werden. Besonders er zog in Cottbus über die Energiepolitik der Ampel her. Energie sei in Deutschland unglaublich teuer, Unternehmen wanderten ab. Die Energiewende müsse man neu aufsetzen und neu rechnen, forderte er. In der Wirtschaftspolitik werde »mehr Ludwig Erhard und weniger Günter Mittag« gebraucht, Deutschland habe leider mehr vom zweiten, fuhr Kretschmer fort und setzte noch eins drauf: Er lese gerade, die Grünen wollten aus der demokratischen Mitte heraus die Gesellschaft zusammenhalten. Für ihn seien das die Leute, die das Land spalteten.

Wer übrigens nicht weiß, wer Günter Mittag war und wen Kretschmer mit dem Vergleich konkret im Blick hatte, muss bei der sächsischen Staatskanzlei nachfragen.

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