Historiker Wolff glaubt nicht an die dritte Generation der RAF

Der Historiker Robert Wolff ist skeptisch, ob die Festnahme von Daniela Klette dazu führt, dass wir mehr über die RAF herausfinden

  • Interview: Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie sehr überraschen Sie die Meldungen über Daniela Klette?

Mit einer Selbstaufgabe der ehemaligen RAF-Mitglieder war nicht zu rechnen. Zu hoch war die Gefahr einer jahrzehntelangen Gefängnisstrafe. Was mich wirklich überrascht, ist, wie öffentlich die Festgenommene agiert hat. Ein Facebook-Konto zu betreiben, da frage ich mich, ob das Hybris oder Unaufmerksamkeit ist, oder ob sie dachte, dass sie gar nicht so viel zu verlieren hat. Das sind drei denkbare Varianten. In den 80er oder 90er Jahren wäre es jedenfalls undenkbar gewesen, dass Untergetauchte so auftreten.
Wie die Polizei agiert hat, wundert mich tatsächlich auch. Normalerweise rückt die Polizei in dem Bereich mit Spezialeinheiten und militarisiertem Gerät an, hier war es nur ein Zielfahndungskommando mit einer Polizeistreife. Ich vermute, auf Behördenseite war man sich auch nicht sicher, ob man nach all den Jahren tatsächlich Daniela Klette festnehmen kann. Dieser Einsatz hätte auch ordentlich schiefgehen können.

Was ist eigentlich über die Biografien von Daniela Klette und den beiden noch gesuchten Männern bekannt?

Für die drei gilt erst mal das Gleiche, wie für die ganze sogenannte dritte Generation, man weiß eigentlich so gut wie gar nichts. Was man bei allen dreien beschreiben kann, ist ein »klassischer Radikalisierungsweg« über verschiedene linksradikale Szenen in den 70er und 80er Jahren. Es gibt eine extreme Altersspanne bei den dreien, Burkhard Garweg ist erst 1968 geboren, Ernst-Volker Staub schon 1954. Staub ist bereits auf der Ebene der RAF-Unterstützer festgenommen und verurteilt worden. Insgesamt weiß man aber über die genauen Wege der drei in die und in der RAF wenig. Die meisten Erkenntnisse über die »dritte Generation« kommen aus Gerichtsakten und von Kronzeugen-Aussagen der RAF-Mitglieder, die in der DDR untergetaucht waren. Es ist sehr umstritten, wie viel von diesen Aussagen stimmen, ich bin da auch skeptisch. Kronzeugen müssen Informationen liefern, wie viel davon wahr sind, eine andere Frage.

Sie gehören zu denjenigen, die dem Begriff der »dritten Generation« kritisch gegenüberstehen. Warum?

Interview

Robert Wolff ist Historiker und arbeitet in der politischen Bildung. Für die Hessische Landeszentrale für politische Bildung hat er einen Themenschwerpunkt »Die RAF in Hessen« aufgebaut. Im Sommer erscheint sein Buch »Im Schatten der ›Landshut‹« über die Flugzeugentfürung nach Entebbe 1976. Außerdem hat Wolff am digitalen Erinnerungsort Olympia-Attentat 1972 des Landratsamtes Fürstenfeldbruck mitgearbeitet.

Es geht mir darum: Es gibt nicht die dritte Generation der RAF, sondern verschiedene Gruppen, die unterschiedlich agierten. Es gibt, wenn man so möchte, ein RAF-Netzwerk, was man durchaus dritte Generation nennen kann, wenn man will. Aber die RAF-Struktur in den 80er Jahren ist eine andere als in den 70ern.

Es gab also erhebliche Strukturveränderungen?

Die RAF hat von anderen, erfolgreich agierenden Gruppen wie den Revolutionären Zellen (RZ) gelernt und vermutlich auch angefangen, in einem dezentralen Netzwerk zu arbeiten, in dem die unterschiedlichen Gruppen zwar in Kontakt miteinander treten konnten, eigentlich aber autark agiert haben. Einzelne Gruppen in diesem Netzwerk waren sehr gut ausgebildet und konnten hoch eskalative Anschläge begehen. Andere Gruppen verfügten über weniger Kontakte, Waffen und Ausbildung und konnten keine Anschläge in dem Ausmaß durchführen. Die RAF in den 80er und 90er Jahren war völlig anders aufgebaut als in den Anfangsjahren.

Glauben Sie, die Festnahme von Daniela Klette und ein möglicher Gerichtsprozess bieten die Möglichkeit, umfangreiche neue Erkenntnisse über die RAF zu erlangen?

Die Hoffnungen, die Laien im Bereich politische Gewalt und Terrorismus in Gerichtsprozesse setzen, sind oft enorm hoch. Beim NSU-Prozess wurde darauf gehofft, dass man etwas über den NSU erfährt. Aber weder die Staatsanwaltschaft, also in dem Fall der Generalbundesanwalt, noch die Verteidiger haben ein Interesse, dieser historischen Aufarbeitung gerecht zu werden. Die Bundesanwaltschaft will eine Verurteilung und muss deswegen etwas konstruieren, das verurteilt wird. Die Verteidiger haben überhaupt kein Interesse daran, dass Informationen über Tatbeteiligungen ihrer Mandanten bekannt werden. Also die Hoffnung, über einen juristischen Prozess historische Faktizität herzustellen, ist falsch. Das haben auch alle RAF- und RZ-Prozesse der letzten 25 Jahre gezeigt. Es geht darum, was strafrechtlich verwertet und abgewehrt werden kann. Es ist also äußerst unwahrscheinlich, dass sich Daniela Klette äußern wird, und selbst wenn, muss das nicht der »historischen Wahrheit« entsprechen.

Hätte es andere Möglichkeiten der Aufarbeitung gegeben?

Ja, es gab immer wieder in den 80er und 90er Jahren Initiativen, etwa über eine Pauschalverurteilung (Angebot einer Strafe, die sich an der Mindeststrafe orientiert, gegen Zusicherung, sich an der Aufklärung zu beteiligen, d. Red.) auf Strafverfolgung zu verzichten. Dafür gab es aber weder den politischen Willen aufseiten des Staates noch auf der Seite der ehemaligen RAF-Mitglieder. Die Leidtragenden von all dem sind die Opfer und die Hinterbliebenen, für die nur Ungewissheit bleibt. Ich sehe aber leider niemanden auf der politischen Ebene, der diese Gemengelage nach all den Jahren noch mal angeht.

Was sind aus Ihrer Sicht drängende Anliegen für die historische Forschung?

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Da ist an erster Stelle die Öffnung der Archive. Seit den späten 2010er Jahren sind die Akten des Bundeskriminalamts zur RAF bis in die 90er Jahre zugänglich, was aber vollständig fehlt, sind die Geheimdienstarchive. Wir brauchen da einen vollständigen Zugang. Ohne den werden wir nie erfahren, wie es wirklich war. Wir wissen nicht, wer als Agent Provocateur unterwegs war, wir wissen nicht, wer Informationen weitergegeben hat oder wer Informationen nicht weitergegeben hat, mit denen man Menschenleben hätte retten können. Aus den 70ern ist bekannt, dass der Verfassungsschutz beim Aufbau der RAF die Finger im Spiel hatte. Gab es so was später auch? Welche Straftaten wurden dabei begangen? Also das Allerwichtigste ist die vollständige Öffnung aller Archive, das würde einen enormen Forschungsschub auslösen. Außerdem braucht es einen Paradigmenwechsel, die komplette Forschung muss einmal kritisch überprüft und mit den zugänglichen Quellen abgeglichen werden, um erst mal festzustellen, was wir eigentlich wissen und was wir alles nicht wissen. Wichtig ist außerdem, dass wir den Blick auf die Gruppen, die im Schatten der RAF agierten, erweitern.

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