Trumps Präsidentschaft: Good Bye Freihandel

Trumps Präsidentschaft markiert wohl das Ende der neoliberalen Globalisierung. Deren Ideologie ist jedoch schon lange fallen gelassen worden

  • Branko Milanović
  • Lesedauer: 10 Min.
Neue Mauern: Die Abschottung der USA erinnern an einen neuen Merkantilismus
Neue Mauern: Die Abschottung der USA erinnern an einen neuen Merkantilismus

Mit dem Amtsantritt Donald Trumps als Präsident der Vereinigten Staaten am 20. Januar endet die Ära der neoliberalen Globalisierung, die mit dem Fall der Berliner Mauer begonnen hat. Aber dieser Tag ist nur ein symbolisches Ereignis. Denn die wichtigsten Grundsätze und Elemente der neoliberalen Globalisierung wurden schon lange zuvor aufgegeben, und zwar von den führenden Wirtschaftswissenschaftlern selbst, die dies bislang nie offen zugegeben haben.

Viele neoliberale Mainstream-Ökonomen betrachten das Auftauchen von Donald Trump gerne wie eine höhere Gewalt. Sie behandeln ihn wie ein Erdbeben oder einen plötzlichen Sturm, dessen Ursprung unergründlich sei. Es wurde jedoch argumentiert – und ich denke, das ist offensichtlich –, dass die Grundlage für seinen Aufstieg in Wirklichkeit von der neoliberalen Politik geschaffen wurde, die nach und nach die Unterstützung der Bevölkerung verloren hat. Es ist kein Zufall, dass 77 Millionen Menschen für Trump gestimmt haben, und es ist ebenso wenig zufällig, dass es derzeit ähnliche Bewegungen gibt, die große westliche Länder wie Deutschland und Frankreich politisch destabilisieren.

Vom Handelspartner zum Gegner

Dieser interne Zusammenhang und die Rolle des Neoliberalismus in der sich verschärfenden Ungleichheit, der verringerten sozialen Mobilität, der erhöhten Krankheitshäufigkeit und Sterblichkeitsrate in den Mittelschichten der USA sowie der sich vom Rest der Gesellschaft abkoppelnden Interessen der Reichen sind in der wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Literatur ausführlich dokumentiert worden. Ich möchte darauf nicht ausführlicher eingehen. Vielmehr möchte ich mich auf die Abkehr von neoliberalen Grundsätzen auf der internationalen Bühne konzentrieren. Dies wird besonders deutlich am Beispiel der britischen Zeitung »Financial Times«, die in Fachkreisen zu Entwicklungshilfe und -politik als maßgebliches Medium angesehen wird. Die »Financial Times« hat eine internationale Perspektive, anders als beispielsweise das »Wall Street Journal«. Aber dieser Blick auf die internationale Ebene hat die Leser*innen darüber hinweggetäuscht, dass der größte Teil des neoliberalen Establishments die Grundsätze der Globalisierung tatsächlich aufgegeben hat – auch wenn dieselben Leute diese Prinzipien über die letzten 20 oder mehr Jahre verteidigt haben.

Zur Person

Branko Milanović arbeitete 20 Jahre als Ökonom und Chefökonom für die Weltbank und forscht zu sozialer Ungleichheit. Jüngst stellte er die These auf, dass mit Donald Trump die neoliberale Globalisierung an ihr Ende gekommen sei. Dafür erntete er unter anderem in der »Financial Times« Kritik, auf die hin er hier seine Thesen erklärt.

Meiner Meinung nach liegt dieses Versäumnis der »Financial Times« in ihrer strikten Anti-China-Agenda und der Obsession mit Chinas Erfolgen begründet. Denn diese Besessenheit vom Erfolg Chinas – oder vielmehr die Abneigung dagegen beziehungsweise der Wunsch nach dem Scheitern Chinas – ergibt nur aus einem rein politischen oder strategischen Blickwinkel Sinn. Von dort aus mag China als großer Konkurrent, Rivale oder sogar als Feind des Westens erscheinen. Aber die Aversion ergibt überhaupt keinen Sinn, wenn man Chinas Erfolg aus einer internationalistischen oder kosmopolitischen Perspektive betrachtet – was aber im Prinzip das ist, was Entwicklungsökonomen tun sollten. Aus diesem Blickwinkel wäre der Erfolg eines jeden Entwicklungslandes, sei es China, Nigeria, Indonesien, Tschad, Paraguay oder Mali, begrüßenswert. Dies ist also die erste Widersprüchlichkeit.

Eine weitere Inkonsistenz besteht darin, den chinesischen Erfolg zum Teil damit zu erklären, dass das Land westliche Technologie gestohlen hätte. Nachdem ich mehr als 20 Jahre in der Weltbank gearbeitet habe, kann ich bestätigen, dort die ständige Klage vernommen zu haben, dass die armen Länder »leider« nicht in der Lage wären, die Technologie der entwickelteren Länder erfolgreich zu nutzen, weil sie korrupt oder ungebildet seien – nicht, dass der Westen diese nicht gerne mit ihnen teilen würde. Als daher ein Land wie China schließlich zeigte, dass es westliche Technologie kopieren und verbessern sowie seine Größe als Druckmittel einsetzen kann, hätte dieser Erfolg aus kosmopolitischer Perspektive, der sich die »Financial Times« maßgeblich verschrieben hat, begrüßt werden müssen. Aber Chinas Erfolg wurde verhöhnt und als Diebstahl dargestellt. Die internationalen Organisationen sollten eigentlich Äthiopien und Tansania beraten, wie sie Chinas Aneignung westlicher Technologien nachahmen können, anstatt dies als illegales Vorgehen zu behandeln. Darin liegt die zweite Widersprüchlichkeit.

Zölle und Handelsblöcke

Ein weiterer, und in gewisser Weise mehrfacher Bruch in der Erzählung besteht darin, dass die Aspekte der neoliberalen Globalisierung, die internationale Kooperation und Handel betreffen, eben von denjenigen aufgegeben wurden, die sie einst verteidigten. Ich werde diese Aspekte der Reihe nach erörtern.

Zunächst betrifft es Zölle. Seit der Gründung des Bretton-Woods-Systems 1945 und gemäß den grundlegenden Prinzipien der davon ausgehenden Globalisierung werden Zölle manchmal als notwendiges Übel betrachtet. Grundsätzlich seien sie aber ein Instrument, von dem man abraten und das man so selten wie möglich einsetzen sollte. Diese Politik wurde sowohl von den Industrie- als auch von den Entwicklungsländern seit den frühen 80er Jahren konsequent verfolgt. Die jüngsten Erhöhungen der Zölle in den Vereinigten Staaten und Europa stellen somit eine Abkehr von einem der wichtigsten Grundsätze der Globalisierung dar. Die Erhöhung der Zölle gegen chinesische Importe begann unter der ersten Regierung Donald Trumps, wurde aber sehr schnell von Joe Biden und seiner Regierung übernommen. Darüber hinaus wurde so die Politik des Zollschutzes gegen chinesische Waren noch ausgeweitet und in einigen Fällen sogar damit gedroht, die Einfuhr bestimmter Waren wie Elektrofahrzeuge ganz zu verbieten.

Von »Looking for Freedom« zum Ende des Freihandels: Ist die Ära der neoliberalen Globalisierung vorbei?
Von »Looking for Freedom« zum Ende des Freihandels: Ist die Ära der neoliberalen Globalisierung vorbei?

Es ist zudem ein konsequenter Ansatz der Globalisierer gewesen, gegen die Bildung von Handelsblöcken zu argumentieren. Man muss nicht bis zu Friedrich von Hayeks Buch »Der Weg zur Knechtschaft« zurückgehen, um festzustellen, dass Handelsblöcke im Allgemeinen mit militaristischen oder autarkischen Regimen in Verbindung gebracht werden, die versuchen, ihre wirtschaftlichen Einflusszonen auszuweiten. Doch in jüngster Zeit hat genau diese Politik Anklang beim neoliberalen Establishment gefunden, darunter auch bei der stellvertretenden Herausgeberin und Kolumnistin der »Financial Times«, Rana Faroohar. Diese veröffentlichte ein einflussreiches und umfassend rezensiertes Buch, das auf einer Reihe ihrer früheren Schriften und Reden basiert. Darin plädiert sie dafür, die angeblich an China verlorenen Arbeitsplätze in die Vereinigten Staaten zurückzubringen sowie für das sogenannte Friendshoring. Diese Form der Beschränkung des Handels auf Länder mit geteilten Werten ist einfach ein anderes Wort für die Schaffung von politisch motivierten Handelsblöcken. Es handelt sich um eine Politik, die sich nicht traut, ihren wirklichen Namen auszusprechen: Denn es ist dieselbe Politik, wie sie in den 30er Jahren vom Vereinigten Königreich mit dem System der Handelspräferenzen im Commonwealth verfolgt wurde, von Nazideutschland mit der europäischen Großraumwirtschaft oder von Japan mit der »Großostasiatischen Wohlstandssphäre«. Solche Politiken widersprechen jeder gängigen Vorstellung davon, was Globalisierung bedeuten sollte.

Industriepolitik und Zwang

Ebenso wie Zölle werden auch industriepolitische Maßnahmen nur unter extremen Umständen als akzeptabel angesehen. Von den Befürwortern der Globalisierung wurden solche Eingriffe nie begrüßt, weil sie zu einer ungerechten Subventionierung der einheimischen Produktion führen. Aber auch diese Politik hat in letzter Zeit Zustimmung von neoliberalen Mainstream-Ökonomen und sogar der »Financial Times« gefunden. Die Diskussion dreht sich mittlerweile nun nur noch darum, wie eine solche Politik verfolgt werden sollte, und es scheint allgemein anerkannt zu sein, dass Biden mit dem milliardenschweren Inflation Reduction Act einen großen Schritt zur Institutionalisierung dieser Politik getan hat. Das Problem dieser Politik ist auch hier, dass sie mit der Idee der Globalisierung und der Entpolitisierung wirtschaftlicher Entscheidungsfindung unvereinbar ist. Es bringt die internationale Gemeinschaft durcheinander, denn wenn eine solche Industriepolitik gut für die Vereinigten Staaten oder Europa sein soll, stellt sich die Frage, warum man Ägypten oder Nigeria von einer solchen Politik abraten sollte.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Auch wirtschaftlicher Zwang, zum Beispiel durch Sanktionen, wird von liberalen Ökonomen ebenfalls nicht als legitime Praxis akzeptiert. Dieser wird jedoch von den USA und Europa zunehmend ausgeübt: Trump hat die Zahl der Sanktionen gegen politische Regime, die ihm nicht passen, wie Kuba und Venezuela erhöht. Diese Sanktionsregelungen wurden unter Biden fortgesetzt, die USA haben derzeit 38 verschiedene Sanktionsregime in Kraft, die auf die ein oder andere Weise mehr als 50 Länder betreffen. Sanktionen wurden durch die Kriege in der Ukraine und in Palästina sowie durch die Beschlagnahme russischer Vermögenswerte erheblich ausgeweitet, und zwar unverständlicherweise durch die Bestrafung russischer Oligarchen, da sie wohl politisch nicht mächtig genug waren, um Putins Krieg zu stoppen. In jedem Fall ist auch die Anwendung von wirtschaftlichem Zwang mit der Idee der neoliberalen Globalisierung unvereinbar.

Im Prinzip ist auch die Freizügigkeit der Arbeitskräfte ein Ziel der Globalisierung, zumindest ist sie auf der Tagesordnung geblieben. Aus politischen Gründe wurde diese Zielvorgabe nie umgesetzt, aber in der globalistischen Perspektive gibt es keinen Grund, warum der Markt für Arbeit nicht internationalisiert werden und den gesamten Globus umfassen sollte, so wie es der Markt für Kapital tut. In jüngster Zeit wurde jedoch sogar das angestrebte Ziel der Freizügigkeit über Bord geworfen. Es ist nicht nur Trump, der einen Zaun gegen Mexiko errichten ließ. Unter Biden ging der Bau weiter. Ebenso wurden die Abschiebungen von Ausländern ohne Papiere unter Biden fortgesetzt, wie sie auch unter Obama stattgefunden hatten. Das ist nichts, was Trump allein erfunden hat: Die einwanderungsfeindliche Politik der USA hat sich in den letzten 10 bis 15 Jahren schrittweise verschärft. Das Gleiche gilt für die Europäische Union, und zwar in noch dramatischerem Maße. Die EU rühmt sich theoretisch des Multikulturalismus und der Multiethnizität, während sie gleichzeitig harte Außengrenzen errichtet und die Anti-Migranten-Patrouillen im Mittelmeerraum verstärkt hat. Es liegt in ihrem eigenen Interesse, dass die Zahl der Toten, die durch solche Zäune und Patrouillen zu beklagen sind, nie veröffentlicht wird und nur geschätzt werden kann – sie beläuft sich auf mehrere Tausend pro Jahr.

Neomerkantilismus

In der Betrachtung des Gesamtbildes kommen wir also zu dem Schluss, dass alle wesentlichen Bestandteile der neoliberalen Globalisierung von den Mainstream-Ökonomen und der demokratischen Regierung in den USA bereits aufgegeben worden sind – und von Trump weiter aufgegeben werden. In diesem Sinne stellt Trumps Machtübernahme am 20. Januar ein symbolisches Datum für die endgültige Ablehnung dieser Grundsätze dar. Die politischen Ziele sind nicht länger freier Warenverkehr, weil Zölle ihn verhindern; der Technologietransfer ist wegen der sogenannten Sicherheitsbedenken eingeschränkt; der Kapitalverkehr ist zurückgefahren, weil China (und neuerdings auch Japan, wie im Falle des Unternehmens US Steel) oft keine amerikanischen Unternehmen kaufen dürfen; die Freizügigkeit der Arbeitskräfte wurde stark eingeschränkt. Welche grundlegenden Aspekte der neoliberalen Globalisierung wurden also beibehalten?

Es geht mir hier nicht um einen Streit, ob die Aufgabe dieser Grundsätze gut für die Vereinigten Staaten, Europa, für China oder die Welt ist. Vielmehr geht es darum, zu zeigen, dass Trump nicht der einzige Akteur des Wandels ist, sondern dass diese Grundsätze seit mindestens einem Jahrzehnt oder vielleicht anderthalb Jahrzehnten in der Schwebe sind. Die Aufgabe der neoliberalen Globalisierung als Projekt geschieht zum einen aufgrund des geostrategischen Wettbewerbs mit China und zum anderen, weil eine solche neoliberale Politik für die Mittelschichten in den westlichen Ländern bedrohlich wurde.

Ein wichtiges und selten beachtetes Problem dabei ist, dass die Aufgabe dieser Grundsätze das Bretton-Woods-System in die Bredouille bringt. Es gab zwei wesentliche Rahmungen des internationalen Systems: 1944 und dann, wenn auch informeller, in den frühen 80er Jahren mit der Einführung des Washington-Konsenses auf globaler Ebene in den ehemals kommunistischen Ländern sowie in Indien, Afrika und Lateinamerika. Auch wenn dieses Programm zu Recht kritisiert wurde, hatte der Washington-Konsens doch zumindest eine gewisse Konsistenz. Die gegenwärtige Abkehr von den Grundsätzen der neoliberalen Globalisierung lässt den gesamten Bereich der internationalen Entwicklung im Chaos versinken, weil überhaupt nicht klar ist, welche Art von Politik dem Rest der Welt unterbreitet – oder aufgezwungen – werden soll. Man kann sich nicht vorstellen, wie die Weltbank in Ägypten für eine Senkung der Zölle oder der Subventionen plädieren kann, während gleichzeitig das wirtschaftlich und wirtschaftsideologisch wichtigste Land, die Vereinigten Staaten, ihre Zölle und Subventionen anheben.

Der Text ist eine Übersetzung und gekürzte Version des Artikels »How the mainstream abandoned universal economic principles«, der auf dem Blog »Global Inequality and More 3.0« des Autors erschien.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.